3-D-Blick auf das Coronavirus
APA/PETER MINDEK
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„Virus ist ein Meister des Entkommens“

Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 wandelt sich durch Mutationen – und kann sich so dem Zugriff des Immunsystems entziehen. Eine neue Datenbank soll nun helfen, die Fluchtwege des Erregers zu blockieren.

Was den an der Technischen Universität München tätigen Österreicher Andreas Pichlmair schon lange vor der gegenwärtigen Pandemie interessiert hat, ist die Fähigkeit von Coronaviren, „eigene RNA-Moleküle zu verändern, damit das Virus nicht vom angeborenen Immunsystem erkannt wird“.

Coronaviren seinen „Masters of Escape“ – also Meister des Entkommens, wie es der Forscher ausdrückt, der an der Veterinärmedizinischen Universität Wien studiert und am Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Akademie der Wissenschaftlen gearbeitet hat.

Mehr als 1.000 Protein-Wechselwirkungen

„Im Prinzip sind Viren Gen-Fähren, die ihre Gene von einer Zelle in die nächste bringen. Uns interessiert daher, wie das Virus in Summe, aber auch die einzelnen Gene funktionieren“, sagt Pichlmair. Im Rahmen einer nun im Fachblatt „Nature“ erschienen Studie analysierten Pichlmair und sein Team, wie die Genprodukte – sprich Proteine – von SARS-CoV-2 an Zell-Proteine binden. Sowohl die Versuche des Erregers, die Zellen zu kapern, wie auch die Gegenmaßnahmen des Immunsystems lösen nämlich komplexe Signalfolgen aus.

Mit modernen Verfahren verfolgten die Forscher diese Abläufe in über 1.200 Proben mit. So konnten sie insgesamt 1.484 Protein-Interaktionen nachweisen und auf Basis ihrer Erkenntnisse eine frei zugängliche Datenbank erstellen. Im Endeffekt erlaubt der Zugang auch, die Interaktionen dahin gehend abzuklopfen, welchen Effekt sie in der Zelle haben. „Wir beschreiben also die Aktivitäten der einzelnen Proteine“, sagt Pichlmair. Man könne so quasi einen Schalter herausgreifen und dann beobachten, welche Aktionen das Umlegen desselben in infizierten Zellen auslöst.

Neue Ansatzstellen für Wirkstoffe

Dieses Bild sei nun sehr genau. So konnten in dem großen Netzwerk „Hotspot“-Proteine gefunden werden, die die Erreger besonders oft ansteuern. Was man durch bekannten oder experimentelle Wirkstoffe verhindern könnte: Die Kunst, so Pichlmair, bestehe nun darin, diese großen Netzwerke richtig zu deuten und Schlüsse daraus zu ziehen.

Als Ansatzpunkte haben sich zum Beispiel Signalwege, die mit dem zellulären Abbau (Autophagie) zusammenhängen, entpuppt. Seither testen die Wissenschaftler Medikamente, die in solche Abläufe eingreifen können, ob sie im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 auch antiviral wirken. „Aufgrund solcher Informationen kann man natürlich viel genauer Therapien ansetzen. Man weiß, was das Virus macht und kann dann ganz gezielt diese Signalwege modulieren.“

Suche nach Hotspots

Zur Überraschung der Wissenschaftler entpuppten sich manche Wirkstoffe, die eigentlich das Virus hemmen sollten, als „proviral“. Im Gegensatz dazu fand man aber auch schon etwa aus der Krebstherapie bekannte Medikamente, die das Viruswachstum einschränkten, und bisher nicht im Zusammenhang mit Covid-19 getestet wurden: „Außerdem entwickeln wir derzeit ein Scoring-System, eine Methode, um Hotspots automatisiert zu finden.“

Für Menschen, die sich fortgeschritten mit den Proteinen und dem Virus beschäftigen, soll die neue Datenbank Inspiration bereitstellen. „Für jeden Wissenschaftler ist das vermutlich eine Goldgrube“, zeigte sich Pichlmair überzeugt. Man sehe hier detailliert, wie das Virus letztlich eine Zelle verändert. Das eröffne auch den Blick auf „ganz neue Sachen, die man vorher noch nie gesehen hat“. Letztlich diene dieser Forschungsansatz dem Aufbau eines größeren Bildes, das hoffentlich auch in kommenden drohenden Pandemien hilfreich ist.