Maus schaut über eine Barriere
Alekss/stock.adobe.com
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Schlaganfalltherapie

Photosynthese im Gehirn

Forscher aus China beschreiten neue Wege in der Schlaganfalltherapie: Blaualgen könnten akuten Sauerstoffmangel im Gehirn ausgleichen – und somit Neuronen vor dem Zelltod schützen. Versuche an Mäusen verliefen vielversprechend.

Fünf Millionen Menschen sterben jährlich weltweit an Schlaganfällen. Ist die Blutversorgung im Gehirn wegen verstopfter Gefäße gestört, droht das Hirngewebe abzusterben – Gegenmaßnahmen gibt es, zum Beispiel die intravenöse Thrombolyse, also die Auflösung von Blutgerinnseln mit Hilfe von Medikamenten. Doch solche Maßnahmen wirken nur in einem engen Zeitfenster, nach drei bis sechs Stunden ist es normalerweise zu spät. Gibt es Alternativen?

Eine solche haben jetzt Forscher um Lin Wang von der Universität Huazhong in Wuhan vorgestellt. Ihre Idee: Wenn der Sauerstoff im Hirngewebe knapp ist, könnten Blaualgen der Art Synechococcus elongatus Abhilfe schaffen. Diese zur Gruppe der Cyanobakterien gehörenden Einzeller sind ebenso wie Pflanzen zur Photosynthese fähig, können also Licht, Wasser und CO2 zu Kohlenhydraten und Sauerstoff umwandeln. Die Zellen ins Hirngewebe zu injizieren ist zumindest im Tierversuch kein großes Problem, schwieriger zu klären ist indes die Frage: Wie kommen die Algen im Gehirn der Versuchstiere zum nötigen Licht?

Energiequelle: Infrarotlicht

Um diese Hürde zu überwinden, nützten Wang und sein Team eine Eigenschaft von langwelligem Licht an der Grenze zum Infrarot aus. Lichtwellen mit einer Länge von 800 Nanometern können nämlich im Gegensatz zum sichtbaren Licht die Schädeldecke durchdringen, sofern man die entsprechende Region gezielt bestrahlt. Das allein genügt freilich auch noch nicht, denn Cyanobakterien brauchen für ihre Photosynthese sichtbares Licht kürzerer Wellenlänge – auch dafür gibt es eine Lösung, wie Wang und Co. nun im Fachblatt „Nano Letters“ schreiben.

Zellen unter dem Mikroskop im Vergleich, mit und ohne therapeutische Intervention
Nano Letters 2021, DOI: 10.10.21/acs.nanolett.1c00719
Weniger beschädigte Neuronen (grün): Im Tierversuch wirkt die Therapie

Sogenannte „upconversion nanoparticles“ haben die Fähigkeit, energiearme in energiereiche Lichtteilchen umzuwandeln. Dieser Vorgang, auch als „Photonen-Hochkonversion“ bekannt, ist der dritte Puzzlestein, den es für diesen Ansatz braucht.

Erste Hilfe für Neuronen

Wie die Forscher in ihrer Studie berichten, verlief der Praxistest im Labor durchaus vielversprechend. Zellen, die in einer Nährlösung auf diese Weise behandelt wurden, waren deutlich resistenter gegenüber Sauerstoffmangel.

Ähnliches zeigte sich bei Experimenten an Mäusen. Injektionen von Blaualgen und Nanopartikeln regten die Bildung neuer Blutgefäße im Gehirn der Versuchstiere an und hielten unterversorgte Neuronen am Leben, ohne dass es durch die Fremdkörper zu gröberen Problemen mit dem Immunsystem gekommen wäre. Was den Schluss nahelegt, dass man diese Methode in Zukunft auch als Schlaganfalltherapie einsetzen könnte. Natürlich handelt es sich bei dem Versuch bloß um einen Machbarkeitsbeweis, wie Wang und Kollegen betonen, ähnliche Experimente an Herz- und Tumorgewebe zeigen jedenfalls: Ein klinischer Einsatz am Menschen wäre zumindest vorstellbar.