Lila gefärbte – mikrobielle Matten im Middle Island Sinkhole im Lake Huron
Phil Hartmeyer – NOAA Thunder Bay National Marine Sanctuary
Phil Hartmeyer – NOAA Thunder Bay National Marine Sanctuary
Biologie

Längere Tage schufen Luft zum Atmen

Bei der Entstehung der Atmosphäre mit lebensfreundlichem Sauerstoff hat die Erdrotation möglicherweise eine wichtige Rolle gespielt: Zunehmend längere Tage der jungen Erde ließen laut einer neuen Studie Mikroben mehr Sauerstoff freisetzen und schufen so die Luft, die wir heute atmen.

Die Tage auf der Erde waren nicht immer 24 Stunden lang. „Als das Erde-Mond-System entstand, waren die Tage viel kürzer, vielleicht sogar nur sechs Stunden“, sagt Brian Arbic, Studien-Mitautor und Ozeanograph an der Universität Michigan. Dann drehte sich die Erde zusehends langsamer, verursacht durch die Anziehungskraft des Mondes und die bremsende Wirkung der Gezeiten. Die Tage wurden länger.

Einige Forscherinnen und Forscher vermuten zudem, dass diese Entschleunigung der Erde für etwa eine Milliarde Jahre unterbrochen war, zeitgleich mit einer langen Periode niedriger Sauerstoffwerte. Nach dieser Unterbrechung, als sich die Erdrotation vor etwa 600 Millionen Jahren wiederum zu verlangsamen begann, kam es zu einer weiteren großen Veränderung in der globalen Sauerstoffkonzentration.

Cyanobakterien – „Erfinder“ der Photosynthese

Als Judith Klatt, Geomikrobiologin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, diese Ähnlichkeit im Muster des Sauerstoffgehalts und der Drehung der Erde in geologischen Zeiträumen bemerkte, kam ihr die Idee von einer Verbindung zwischen den beiden. Sie arbeitete dabei gerade zur Photosynthese von Cyanobakterien im Huronsee im US-Bundesstaat Michigan, die unter Bedingungen leben, die der frühen Erde ähneln. Cyanobakterien gelten als die „Erfinder“ der Photosynthese – vor mehr als 2,4 Milliarden Jahren begannen sie, das Sonnenlicht zur Photosynthese zu nutzen und als Abfallprodukt Sauerstoff freizusetzen.

Judith Klatt vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie schabt eine mikrobielle Matte von der Oberseite eines Sedimentkern
Jim Erickson – University of Michigan
Judith Klatt schabt eine mikrobielle Matte von der Oberseite eines Sedimentkerns

Das Wasser in Teilen des Huronsees, wo Grundwasser aus dem Seeboden sickert, enthält sehr wenig Sauerstoff. „Auf dem Boden des Sees leben vor allem Mikroorganismen in sogenannten Matten. Dieser Lebensraum ist wie ein Abbild der Bedingungen, die auch für viele Milliarden Jahre auf der Erde herrschten“, erklärt Bopi Biddanda, Ökologe von der Grand Valley State University und Studien-Mitautor. Die Bewohner sind u. a. Cyanobakterien, die mit anderen, schwefeloxidierenden Bakterien konkurrieren. Dabei haben erstere nur wenige Stunden am Tag Zeit für die Photosynthese.

Längere Tage, mehr Sauerstoff

Die Forscherinnen und Forscher entwickelten eine Open-Source-Software, mit der sie untersuchten, wie die Dynamik des Sonnenlichts mit der Freisetzung von Sauerstoff aus den Matten zusammenhängt. „Intuitiv würde man meinen, dass zwei 12-Stunden-Tage so ähnlich wie ein 24-Stunden-Tag sind. Die Sonne geht doppelt so schnell auf und unter, und die Sauerstoffproduktion folgt im Gleichschritt“, sagt Studien-Mitautor Arjun Chennu. „Tatsächlich tritt aus den Bakterienmatten aber weniger Sauerstoff aus, weil seine Freisetzung durch die Geschwindigkeit der molekularen Diffusion begrenzt ist.“

Um zu verstehen, wie sich die innerhalb eines Tages ablaufenden Prozesse auf die langfristige Sauerstoffanreicherung auswirken können, fügten Klatt und ihr Team ihre Ergebnisse in globale Modelle des Sauerstoffgehalts ein. Dabei zeigte sich, dass die durch längere Tage erhöhte Sauerstofffreisetzung tatsächlich den weltweiten Sauerstoffgehalt zum Ansteigen gebracht haben könnte.

Insgesamt könnten die beiden großen Phasen der Sauerstoffanreicherung in der Erdgeschichte – die Große Sauerstoffkatastrophe vor mehr als zwei Milliarden Jahren und das spätere Neoproterozoische Oxigenierungsereignis – also mit den zunehmend längeren Tagen zusammenhängen. Die längeren Tage hätten demnach die Produktivität der Mikroben am Boden ausreichend angekurbelt, um den atmosphärischen Sauerstoffgehalt zu verändern.