Gesundheitsbedienstete in den USA beim Impfen
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US-Auswertung

Altersbasierter Impfplan nicht ideal

Nicht nur das Alter, sondern auch soziale und kulturelle Faktoren spielen beim Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren und schwer zu erkranken, eine Rolle. Laut US-Forscherinnen und -Forschern hätte man diesen Umstand auch bei der Verteilung der Schutzimpfungen in den USA berücksichtigen sollen, dann wären insgesamt weniger Menschen an Covid-19 verstorben.

In den Vereinigten Staaten haben bis dato knapp über 214 Millionen Menschen zumindest die erste Covid-19-Schutzimpfung erhalten. Das entspricht etwa 64 Prozent der Landesbevölkerung, über 184 Millionen davon gelten als vollimmunisiert (Stand 29. September 2021, Quelle: CDC). Zum Vergleich: In Österreich haben über 5,7 Millionen Menschen mindestens eine Covid-19-Schutzimpfung erhalten – das entspricht ebenfalls etwa 64 Prozent der Gesamtbevölkerung (Stand: 28. September, Quelle: Gesundheitsministerium).

„Die Verteilung der Impfungen in den anfänglichen Stadien der Pandemie, kann man in den USA nur als chaotisch bezeichnen“, erklärt die Soziologin Elizabeth Wrigley-Field gegenüber dem ORF. Gemeinsam mit einem Forscherteam wollte sie herausfinden, welche Risikogruppen am ehesten priorisiert hätten werden müssen, um die damals verfügbaren Impfdosen bestmöglich zu nutzen. Das Ergebnis wurde im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht.

Dezentrale Staaten

Viele der ersten verfügbaren Impfungen wurden in den USA auf Regierungsanweisungen hin an bestimmtes Gesundheitspersonal und an Personen in Langzeit-Pflegeeinrichtungen verteilt. „Das hat natürlich sehr viel Sinn gemacht, aber es war die einzige Vorgabe der Regierung“, so Wrigley-Field.

Ein älteres Paar wird in Kalifornien geimpft
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Am Anfang wurden in den USA vorzugsweise ältere Menschen geimpft.

Laut der Soziologin seien die Vereinigten Staaten in vielen Bereichen dezentralisiert – etwa auch bei den Impfplänen: „Alles andere konnten die einzelnen Bundesstaaten selbst entscheiden, die meisten davon haben sich aber zuerst auf die Risikogruppe der älteren Personen konzentriert.“ Eine ähnliche Impfstrategie wurde auch in Österreich verfolgt: Zu Beginn der Kampagne wurden medizinisches und Pflegepersonal sowie die älteste Bevölkerungsgruppe immunisiert.

Ungleiche Bedingungen

Wrigley-Field: „Unter gleichen Bedingungen haben ältere Personen natürlich ein höheres Risiko, schwer am Virus zu erkranken. Das Problem ist leider, dass die Menschen in den USA nicht unter gleichen Bedingungen leben. Neben dem Alter sind auch der kulturelle Hintergrund und die Hautfarbe der Person relevante Faktoren.“

Indigene, lateinamerikanische und afroamerikanische Personen hätten generell ein größeres Risiko, an einer Covid-19-Infektion zu erkranken und demnach auch daran zu sterben. Gründe dafür gibt es verschiedene, einige davon basieren auf finanzielle Faktoren, so die Soziologin: „Egal ob man in Wohnungen mit mehreren Personen lebt oder in der Arbeit schlechte Schutzvorkehrungen vorfindet – die Gefahr, sich anzustecken, ist für diese Personen leider erhöht.“

Doch auch bei der Behandlung der Infektion gibt es laut der Forscherin gravierende Unterschiede: „Wenn man erkrankt, geht es auch darum, welche Behandlungsmöglichkeiten man vorfindet. Es gibt unter anderem zahlreiche Berichte aus New York, dass afroamerikanische Personen mit Atemproblemen bei Notrufen abgewiesen wurden, weil ihnen die Einsatzkräfte nicht glaubten.“ Laut der Soziologin nur eine Ungleichbehandlung von vielen.

Theoretische Szenarien

Wrigley-Field untersuchte daher mit amerikanischen Forscherinnen und Forschern, welcher Impfplan theoretisch die besten Effekte auf die CoV-Sterberate gehabt hätte, als die Impfungen noch Mangelware waren. Dazu analysierten sie Gesundheitsdaten aus den US-Bundesstaaten Kalifornien und Minnesota.

Impfkampagne in LA
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Bei der Gesundheitsversorgung in den USA kann die Hautfarbe ein Nachteil sein.

Die Forscher konzentrierten sich anfangs nur auf diese Staaten, weil es brauchbare Daten zu deren Bevölkerung gab. „Es hat sich dann aber als glücklicher Zufall herausgestellt, dass in diesen beiden Staaten sehr unterschiedliche Einwohnergruppen leben“, erklärt Wrigley-Field. Der Zusammenhang der Hautfarbe mit einem erhöhten Covid-19-Risiko konnte so besser als anfangs vom Forscherteam erwartet überprüft werden.

Sie analysierten verschieden Szenarien. Bei einer Impfverteilung basierend rein auf dem Alter der Menschen zeigte sich: Menschen mit weißer Hautfarbe, die ein geringeres Risiko aufwiesen, wurden Risikopatienten anderer Hautfarbe bevorzugt. Ein Impfplan basierend auf der Hautfarbe der Menschen, sei hingegen aufgrund mehrerer Faktoren, darunter die Gefahr der Diskriminierung, nicht umsetzbar.

Geographische Regelung

Die Untersuchung ergab, dass eine Verteilung an ältere Personen und an alle Erwachsenen in kleinen geografischen CoV-Risikogebieten die besten Effekte auf die landesweite Sterberate hätte. Die Versorgung der älteren Personen hätte demnach fortgesetzt werden können, einige der Impfdosen wären jedoch an Personen in Nachbarschaften, in denen das Infektionsrisiko höher war, verteilt werden sollen. „Das hätte die Verteilung an die Risikogruppe der älteren Personen zwar etwas gebremst, laut unseren Berechnungen hätte diese Variante aber die besten Auswirkungen auf die Sterberate gehabt“, so die Soziologin.

Diese Option sei vor allem dann effektiv, wenn die Zahl der Impfdosen begrenzt ist, die Nachfrage in der Bevölkerung aber groß. So könne der Impfplan etwa bei eventuell anstehenden Auffrischungsimpfungen eingesetzt werden, so Wrigley-Field. Sie sieht jedoch ein: „Natürlich wäre das Konzentrieren auf einzelne Nachbarschaften teurer als die bisherigen Impfpläne der US-Regierung.“ Dennoch hofft sie auf eine Implementierung der Forschungsergebnisse in künftige Impfpläne. „Die von uns untersuchte Lösung ist nicht nur jene mit den besten Auswirkungen auf die Sterberate, sie ist auch in Sachen medizinischer Gleichberechtigung in der Bevölkerung die beste Option.“