Kreuz vor blauem Himmel
APA/BARBARA GINDL
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Studie

Glaube beeinflusst Kampf gegen den Tod

Religiöser Glaube beeinflusst die Art, wie sich Menschen dem Tod nähern. Laut einer US-Studie nehmen Gläubige etwa eher lebenserhaltende Maßnahmen in Anspruch und wollen auch eher wiederbelebt werden als Nichtgläubige. Offenbar wollen sie den Sterbeprozess nicht abkürzen.

Mit der Prognose einer schweren Krankheit ändert sich das Leben von Betroffenen oft schlagartig. Wie sie damit im weiteren Krankheitsverlauf umgehen, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab – zum Teil aber auch davon, wie sehr ihr spiritueller oder religiöser Glaube in ihrem Leben verankert ist. Das fanden US-amerikanische Forscherinnen und Forscher um die Palliativexpertin Jennifer S. Scherer heraus, die ihre Ergebnisse im Fachjournal „JAMA Network Open“ präsentierten.

Dialyse-Patienten wurden befragt

Über 930 Erwachsene aus den US-Bundesstaaten Washington und Tennessee wurden von den Forscherinnen und Forschern im Rahmen der Studie befragt. Sie alle waren im Untersuchungszeitraum von 2015 bis 2018 auf medizinische Unterstützung in Form von Dialyse-Behandlungen angewiesen. Das Durchschnittsalter der Erwachsenen betrug rund 62 Jahre.

Um herauszufinden, ob sich der Glaube der Personen auf den Kampf mit ihrer Krankheit auswirkt, stellten die Forscherinnen und Forscher zuerst fest, wie gläubig die Dialyse-Patientinnen und -Patienten waren. Dazu sollten diese unter anderem den folgenden Satz bewerten: „Mein religiöser oder spiritueller Glaube steht hinter meiner gesamten Lebenseinstellung.“ Rund 46 Prozent der Befragten, also 435 Personen, erklärten, der Satz treffe definitiv zu. Nur knapp über 14 Prozent distanzierten sich von Religion oder Spiritualität komplett. Der Großteil der Patientinnen und Patienten gab an, dem christlichen Glauben anzugehören.

Klare Unterschiede unter Befragten

In der Studie wurden auch Fragen zu der Dialyse-Behandlung und zu medizinischen Verfahren im weiteren Leben der Patientinnen und Patienten gestellt. Dabei zeigten sich klare Unterschiede: Jene Personen, für die der Glaube eine große Rolle spielt, waren etwa eher dazu bereit, Wiederbelebungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Auch lebenserhaltende Behandlungen wie künstliche Beatmung durch Maschinen forderten die Gläubigen öfter als die anderen.

In Sachen Patientenverfügungen stellte das Forscherteam ebenfalls unterschiedliche Meinungen unter den Studienteilnehmern fest. Jene Dialyse-Patientinnen und -Patienten, die meinten sehr gläubig zu sein, waren eher an einer partizipativen Entscheidungsfindung interessiert als andere Befragte. Dabei sind Arzt und Patient bei der Frage nach weiteren medizinischen Behandlungen gleichberechtigt. Jene Personen, die sich vom Glauben distanzierten, waren hingegen eher dazu geneigt, nur selbst über weitere Behandlungen zu entscheiden.

Laut den Forscherinnen und Forschern um Scherer scheinen gläubige Menschen sich auch aktiver mit ihrer Krankheit auseinanderzusetzen – sie suchen etwa mehr den Kontakt mit anderen Erkrankten. Und: Während rund 38 Prozent der weniger gläubigen Personen bereits in Erwägung gezogen hatten, die Dialyse-Behandlung vorzeitig zu beenden, gaben nur etwa 25 Prozent der sehr gläubigen Befragten an, darüber schon nachgedacht zu haben.

Nichtgläubige nehmen Ende vorweg

Warum gläubige Personen eher an den lebenserhaltenden Maßnahmen interessiert sind, wird von dem US-Forscherteam nicht beantwortet. Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner war an der Studie nicht beteiligt, bietet aber eine Erklärung dafür an. „Personen, die nicht gläubig sind und meinen, dass nach dem Tod definitiv alles aus ist, sind wahrscheinlich eher dazu geneigt, das Leid am Lebensende zu verkürzen, den Tod sozusagen vorwegzunehmen", so Zulehner gegenüber dem ORF.

Gläubige Personen haben laut Zulehner hingegen generell ein anderes Weltbild. „Diejenigen, die über den Tod hinaus hoffen und für die der Tod nicht das definitive Ende ist, möchten das Sterben tatsächlich auch vollbringen.“ Ein durch das Unterlassen von Maßnahmen beschleunigter Tod würde diesen für Gläubige „existentiellen Bestandteil“, so Zulehner, behindern. Lebenserhaltende Maßnahmen seien hingegen ein „Gestalten des Prozesses“. Zusammenfassend erklärt der Pastoraltheologe: „Wenn es um einen Übergang in eine andere Existenzweise geht, dann bleibe ich drinnen im Sterbeprozess. Wenn es aber ein Vorspiel zum definitiven Ende ist, dann kann ich den Prozess auch verkürzen.“

Leidminderung als ethische Pflicht

Das Leid, das mit dem Tod in Verbindung steht, gehöre zum Sterbeprozess vor allem für gläubige Personen dazu. Dennoch sei es keine Voraussetzung für ein Leben nach dem Tod. Unnötiges Leiden gelte es nämlich „mit allem menschlichen Können“ zu verhindern, so Zulehner. Diese Aufgabe würden zum Beispiel Angebote in der Palliativmedizin einnehmen. „Sie ermöglichen es, nicht durch die Hand eines Menschen, sondern an der Hand eines Menschen zu sterben“, erklärt der Pastoraltheologe.

Das US-Forscherteam konnte keine Unterschiede unter den Befragten feststellen, wenn es darum geht, ob sie palliativmedizinische Behandlungen in Anspruch nehmen möchten. Zulehner erklärt hingegen: „In Österreich gibt es Daten dazu, dass gläubige Personen eher dazu bereit sind, palliativmedizinische Behandlungen zu nutzen als weniger gläubige Menschen.“

Glaube in Behandlung einbinden

Die Forscherinnen und Forscher um Scherer konnten aber nachweisen, dass gläubige Befragte eher daran interessiert waren, mehr über ihre Krankheit und generell über die Behandlungsmethoden zu erfahren als weniger gläubige Personen. Unbeantworteten Fragen und unerfüllten Behandlungsbedürfnissen – etwa in der Palliativmedizin – beschäftigten aber alle Studienteilnehmer in gleicher Weise.

Die Studie soll laut dem Forscherteam daher aufzeigen, dass der Glaube von Patientinnen und Patienten in ihrer medizinischen Behandlung berücksichtigt werden sollte. So könnten auch gezielt Angebote für Interessierte geschaffen werden. Der Forderung um eine Einbindung des Glaubens in die Medizin schließt sich auch Zulehner an. Er erklärt: „Es wäre sehr wichtig, den Glauben der Personen in der Planung medizinischer Behandlungen zu berücksichtigen. Wir drängen schon lange darauf, diesen Aspekt auch in der österreichischen Medizin zu verankern.“