Zwei Kinder lesen ein Kinderbuch
APA/dpa/Marijan Murat
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Kinderbücher

Noch immer mehr männliche Helden

Die Rollenbilder in Kinderbüchern wirken mitunter immer noch vorgestrig. Und auch die meisten Protagonisten sind immer noch männlich, wie eine Analyse von mehr als 3.000 vorwiegend englischen Kinder- und Jugendbüchern zeigt: Die Heldinnen holten in den vergangenen Jahrzehnten aber deutlich auf.

Während Conni mit Tieren und Freundinnen spielt und ihrer Mutter hilft, stellt Greg jede Menge Unfug an. Die beiden Hauptfiguren aus zwei heute sehr erfolgreichen Kinderbuchreihen machen deutlich: Die Kinder- und Jugendliteratur steckt noch immer voller Klischees, und traditionelle Geschlechterbilder sind gang und gäbe – wie sehr, verdeutlicht etwa ein Rechercheprojekt der „Süddeutschen Zeitung“ aus dem Jahr 2019. Grundlage war die größte Fachbibliothek für Kinderliteratur an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main im deutschsprachigen Raum.

Internationale Bestseller

Ein bisschen etwas scheint sich in den vergangenen 60 Jahren allerdings doch getan zu haben. Das legt eine soeben im Fachmagazin „PLOS ONE“ erschienene Studie nahe. Dafür haben die Forscherinnen und Forscher um Stella Lourenco von der Emory University den US-amerikanischen Kinder- und Jugendbuchmarkt analysiert: 3.280 Bücher, die zwischen 1960 und 2020 veröffentlicht wurden, für Kinder und Jugendliche zwischen null und 16 Jahren.

Die allermeisten waren im Original englischsprachig, bei einzelnen handelte es sich auch um Übersetzungen: So finden sich etwa auch „Tintenherz“ von der deutschsprachigen Autorin Cornelia Funke auf der Liste und „Lotta aus der Krachmacherstraße“ von Astrid Lindgren. Auch die meisten analysierten englischsprachigen Werke wurden in andere Sprachen übersetzt und sind zum Teil internationale Bestseller, wie z. B. die schon erwähnte „Gregs Tagebuch“-Reihe, die „Harry Potter“-Bände und „Thomas, die kleine Lokomotive“ für die Kleinsten.

Ein Kind liest ein Buch
dpa/dpa-Zentralbild/Z1003 Jens Büttner
Immer mehr Heldinnen in Kinderbüchern

Ausreichend repräsentiert?

Ausgangspunkt der aktuellen Arbeit von Lourenco und Co. war die Frage: Kommen Frauen bzw. Mädchen in der angebotenen Literatur überhaupt ausreichend vor? Das sei die erste Voraussetzung für eine mögliche Vorbildrolle. Damit die Werke vergleichbar sind, haben die Studienautoren und -autorinnen nur jene miteinbezogen, in denen es eine einzige Hauptfigur gibt. Außerdem gebe es Forschungsarbeiten, die zeigen, dass das Geschlecht der zentralen Protagonisten wesentlich für das Erlernen von Rollenbildern ist, betonen sie.

Die Analyse ergab, dass der Anteil an weiblichen Hauptfiguren seit 1960 stetig zugenommen hat, quer über alle Genres und in allen Altersgruppen. Aber noch heute gibt es einen männlichen Überhang. Besonders bei männlichen Buchautoren kommen noch immer mehr männliche Helden vor, nur bei ihren Büchern für die allerjüngste Leserschaft ließe sich ein deutlicher Rückgang feststellen. Frauen schreiben heute ebenfalls häufiger über Frauen als vor 60 Jahren, bei Büchern von Autorinnen für ältere Kinder gibt es heute sogar mehr Heldinnen als Helden.

Das Verhältnis von weiblichen und männlichen Charakteren hängt laut der Studie noch mit weiteren Faktoren zusammen. Nicht menschliche Figuren – also Tiere, Lokomotiven und Ähnliches – sind häufiger männlich. Bei Kindersachbüchern stehen ebenfalls häufiger Männer im Zentrum.

Hartnäckige Stereotype

Laut den Studienautorinnen und –autoren sind vermutlich mehrere Kräfte für den immer noch bestehenden Männerüberhang in der Kinderliteratur verantwortlich: Es gebe zwar weniger offene Diskriminierungen in der modernen Gesellschaft, aber Geschlechterstereotype halten sich hartnäckig. Auch sprachliche Gründe – die männliche Form ist die dominante – könnten eine Rolle spielen, genauso wie die Vorlieben von Eltern und Kindern.

Nicht nur beim Geschlecht der Hauptfigur, auch in den Beschreibungen, den Charaktereigenschaften und in den Illustrationen spiegeln sich laut Lourenco et al. noch immer viele Klischees. Deswegen sei es nicht nur wichtig, die Anzahl von Heldinnen zu erhöhen, sondern auch die Darstellung zeitgemäßer zu gestalten. Das könnte großen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder und so auch auf die Gesellschaft haben. Aufgrund der wenigen bis jetzt verfügbaren Bücher, in den nicht binäre Menschen vorkommen, konnten diese für die aktuelle Arbeit nicht berücksichtigt werden, betonen die Fachleute. Auch sie sollten in Zukunft mehr Platz haben.