Galaxie NGC 1052-DF2, Illustration für dunkle Materie
AFP/ESA/Hubble
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Axionen

Neue, alte Erklärung für Dunkle Materie

Rund ein Viertel des Universums soll nach aktuellem Wissensstand aus Dunkler Materie bestehen. Das Problem: Woraus diese besteht, ist weiter unklar. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten heute Axionen – hypothetische Elementarteilchen, die schon in den 1970er Jahren vorgeschlagen wurden. Ihre Existenz könnte mit neuen Experimenten vielleicht bald nachgewiesen werden.

Laut dem Standardmodell der Teilchenphysik nehmen die am Nachthimmel sichtbaren Sterne und interstellaren Gase nur rund fünf Prozent der gesamten Masse des Universums ein. „Es gibt aber zu wenig sichtbare Materie im Universum, um zum Beispiel die bisher gesammelten Informationen zur Struktur und der Bewegung von Galaxien zu erklären", so der Teilchenphysiker Josef Pradler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gegenüber science.ORF.at.

Schon länger gehen Forscherinnen und Forscher daher davon aus, dass es auch weitere Energieformen im Universum geben muss. Messungen zur kosmischen Hintergrundstrahlung haben etwa ergeben, dass rund 70 Prozent des Universums auf bis dato kaum erforschte Dunkle Energie entfallen, das restliche Viertel bildet die sogenannte Dunkle Materie.

Unsichtbare Materie im All

In den letzten Jahren wurde ihre Existenz in der Theorie zwar belegt, tatsächlich nachweisen konnte man Dunkle Materie aber noch nicht. Als „dunkel“ wird sie bezeichnet, weil sie nicht direkt sichtbar ist. Woraus Dunkle Materie aber genau besteht, ist bis heute eine der großen unbeantworteten Fragen in der Wissenschaft.

Der Begriff „Dunkle Materie“ entstand bereits in den 1930er-Jahren und wurde vom schweizerisch-amerikanischen Astronomen Fritz Zwicky geprägt. Er hat damals die Bewegung von Galaxien um ihr Gravitationszentrum untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass manche von ihnen schneller rotierten, als es seine theoretischen Berechnungen vermuten ließen. Zwicky nahm schon damals an, dass es neben der uns bekannten sichtbaren Materie noch unbekannte Materieformen im Universum geben muss.

Galaxien im Gleichgewicht

Einen weiteren Hinweis auf die Existenz von Dunkler Materie liefern die in den Galaxien wirkenden Kräfte. Einzelne Sterne in einer Galaxie drehen sich um ihr galaktisches Zentrum. Dadurch entstehen Fliehkräfte, die die Himmelskörper nach außen drücken. Gleichzeitig zieht die Schwerkraft die Sterne aber in Richtung des Zentrums. Damit die Galaxien dabei weder in sich kollabieren noch auseinanderfliegen, müssen diese beiden Kräfte ausgeglichen sein.

Zahlreiche Beobachtungen haben aber gezeigt: Viele Sterne rotieren so schnell um das galaktische Zentrum, dass Galaxien eigentlich auseinanderfliegen müssten, wenn es nur die sichtbare Materie gäbe. Da das nicht passiert wird angenommen, dass zusätzliche Masse in Form von Dunkler Materie die Kräfte in den Galaxien ins Gleichgewicht bringt.

Die Suche nach Teilchen

„Ohne die Dunkle Materie gäbe es keine Galaxien, also auch unsere Milchstraße nicht“, erklärt Pradler. Laut ihm spielt sie eine unabdingbare Rolle für die Struktur unseres Universums. Seit einigen Jahren gehen viele Expertinnen und Experten davon aus, dass darin Teilchen enthalten sind, die nicht im uns bekannten Standardmodell der Teilchenphysik vorkommen. Seitdem läuft die Suche nach diesen hypothetischen Bausteinen auf Hochtouren.

Lange Zeit galten sogenannte Neutrinos als die wahrscheinlichsten Teilchen, die in Dunkler Materie enthalten sein könnten. Heute wird aber angenommen, dass die Massen von Neutrinos dafür definitiv zu klein sind. Ihre Existenz in Dunkler Materie ist aber noch nicht ausgeschlossen, auch Neutrinos werden weiterhin intensiv untersucht.

Axionen als aussichtsreiche Kandidaten

Als wahrscheinlichere Kandidaten für die Dunkle Materie gelten mittlerweile hypothetische Elementarteilchen, sogenannte Axionen. Die bisher ebenfalls nicht nachgewiesenen Teilchen geistern bereits seit den 70er Jahren durch die Köpfe von Theoretikern. Etwas kurios: Benannt sind sie nach einem Geschirrspülmittel. Ursprünglich wurde die Existenz der Axionen von Physikern vorgeschlagen, um damit Probleme der Teilchensymmetrie zu lösen.

Da angenommen wird, dass Axionen eine sehr geringe Restmasse haben und die Teilchen wahrscheinlich bereits früh im Universum in großer Menge entstanden sind, sind sie laut dem aktuellen Kenntnisstand ein idealer Anwärter, um in Dunkler Materie enthalten zu sein.

Technischer Fortschritt

Pradler: „Wir kennen aus Untersuchungen die Massenverteilung von Dunkler Materie recht genau. Bisher ist es aber noch nicht gelungen, auch die Masse ihrer individuellen Teilchen zu bestimmen.“ Genauere Informationen dazu könnten die Suche nach den Komponenten einschränken und stark erleichtern.

Davon zeugt auch ein aktueller Bericht im Fachjournal „Science Advances“. Forscherinnen und Forscher um die Physikerin Francesca Chadha-Day beschreiben darin, dass eine Berechnung der individuellen Teilchenmasse – sofern es Axionen tatsächlich gibt – durch den technischen Fortschritt eventuell schon in den nächsten Jahrzehnten möglich sein könnte. Eine Eigenschaft der hypothetischen Teilchen ist es nämlich unter anderem, dass sie in starken Magnetfeldern zu Photonen umgewandelt werden können. Auch Pradler sieht darin eine Möglichkeit: „Wir sind mittlerweile dazu in der Lage, große und extrem starke Magneten zu bauen, um so noch intensiver nach den Axionen zu suchen.“

Forschung in Österreich

Auch in Österreich wird nach der Dunklen Materie gesucht, unter anderem an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Dort laufen derzeit drei Forschungsprojekte zur direkten Suche nach Dunkler Materie und der Untersuchung von Wechselwirkungen der darin enthaltenen Teilchen.

Der technische Fortschritt ermögliche außerdem noch zusätzliche Experimente. Wie ein Forscherteam um den Physiker Yannis Semertzidis in einem weiteren Bericht im Fachjournal „Science Advances“ erklärt, können auch die Wechselwirkungen von Axionen mit der Gravitation künftig wahrscheinlich gemessen werden. Immer genauere Geräte würden dies ermöglichen. Zahlreiche Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt seien demnach derzeit damit beschäftigt, mehr über die Masse von Axionen zu erfahren.

Viele Fragen offen

Pradler stellt klar: „Dass Dunkle Materie hauptsächlich aus Axionen besteht, ist nur einer von mehreren möglichen Forschungsansätzen. Das Feld ist aber noch sehr offen, weitere Untersuchungen sind nötig.“ Laut dem Teilchenphysiker könne es also auch sein, dass Dunkle Materie doch größtenteils aus weiteren Neutrinos, noch komplett unbekannten Teilchen oder gar aus primordialen Schwarzen Löchern besteht. Pradler ist jedoch optimistisch – er glaubt, dass es in den nächsten Jahren zu großen Durchbrüchen bei der Erforschung der Dunklen Materie kommen könnte.