AKW Saporischschja
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Brand in AKW: Risikoforscher „beunruhigt“

Nach dem Angriff russischer Truppen auf das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja blickt Risikoforscher Nikolaus Müllner „sehr beunruhigt“ in Richtung Europas größtem AKW – unmittelbare Gefahr für Österreich sieht er aber nicht.

Eine Anlage wie das AKW in Saporischschja sei für viele Bedrohungen ausgerichtet, für militärische Angriffe jedoch nicht, deshalb blicke er „sehr beunruhigt“ in Richtung Ukraine, sagt Risikoforscher Nikolaus Müllner vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Für eine militärische Übernahme eines Atomkraftwerks gebe es „keinen Präzedenzfall“.

Die rund 1.000 Kilometer von Österreichs Grenze entfernte Anlage in der östlichen Ukraine zählt sechs Reaktoren der Baureihe WWER-1000/320. „Das ist der gleiche Reaktortyp, wie er in Temelin verwendet wird“, so Müllner gegenüber der APA. Es handle sich um einen Druckwasserreaktor, der mit Systemen westlicher Bauart vergleichbar und in vielen Kraftwerken im Einsatz ist. Der Reaktortyp sei jedenfalls „ganz anders als der Typ ‚Tschernobyl‘“. So haben diese Systeme eine Eindämmung um den Reaktor herum, um jegliche radioaktive Freisetzung zu stoppen.

„Sicherheitssysteme springen automatisch an“

Ein Kampf um ein AKW sei deshalb so beunruhigend, weil die Kraftwerke nicht auf einen militärischen Konflikt ausgelegt sind. Bei der Risikoeinschätzung etwa hinsichtlich allerlei Naturgefahren werde eine lange Liste abgearbeitet – eine kriegerische Auseinandersetzung sei nicht darunter, so Müllner. Bleibt das Kraftwerk intakt, habe es aber Sicherheitssysteme, die automatisch anspringen und agieren. Einige Zeit könne die Anlage also auch ohne die Interventionen von Operateuren mit etwaigen Unfallfolgen umgehen.

Ein solcher dürfte aktuell nicht eingetreten sein, da laut Berichten bisher nur Nebengebäude beschossen wurden. Sollte das Werk vom Netz getrennt werden, würde das AKW jedenfalls automatisch heruntergefahren. Das ist laut Angaben der Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) bei einigen Blöcken auch bereits passiert.

Laut Müllner übernehmen in Saporischschja nun vermutlich die Notstromaggregate die Nachkühlung der Reaktoren. „Dazu müssen aber die Sicherheitssysteme weitgehend funktionsfähig bleiben. Es darf bei einem Reaktor nicht passieren, dass diese Systeme bei Kämpfen beschädigt werden und nicht zur Verfügung stehen.“ Verliert man den Netzanschluss und den Notstrom, habe man „eine Situation wie in Fukushima“.

Keine unmittelbare Gefahr für Österreich

Unmittelbare Gefahr für Österreich sieht Müllner nicht. Würde der Fall eintreten, dass dort Radioaktivität austritt, müsste man es für gesundheitliche Auswirkungen in Österreich schon mit einem „unwahrscheinlichen“ großen Unfall zu tun haben. Wird Strahlung freigesetzt, könne man das mit den hierzulande „extrem feinen“ Messgeräten detektieren, „auch wenn wir noch weit weg von einer gesundheitlichen Gefährdung sind“. Käme das Kraftwerk aber selbst unter Beschuss und der Kern der Anlage würde gezielt vernichtet, könnte es natürlich auch zu größeren Freisetzungen kommen.

Bei einem Ausfall des Kraftwerks wäre das vor allem für die Energieversorgung der Ukraine ein großes Problem: „Für das europäische Netz spielt es eher eine untergeordnete Rolle.“ Mit einer elektrischen Leistung von sechs Mal fast 1.000 Megawatt bestehe die Gefahr, dass etwa die Industrie in der Ukraine heruntergefahren werden muss. Man dürfe aber nicht vergessen, dass das Land noch über drei weitere AKWs verfügt.

IAEA „kann nur appellieren“

Prinzipiell sind Kernkraftwerke in Kriegsgebieten ein großes Problem, weil sie verletzbare wichtige Objekte sind. In einem solchen Fall könne leider auch die IAEA und die Internationale Gemeinschaft nicht viel mehr tun, als zu appellieren, solche Kraftwerke nicht zu beschädigen, so Müllner.

Nach dem Vorrücken russischer Truppen zu Europas größtem Atomkraftwerk in der Nähe der Großstadt Saporischschja ist ein Feuer in einem Gebäude der Anlage ausgebrochen. Am Morgen wurde es nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums gelöscht. Gebrannt habe ein Trainingskomplex. Angaben sowohl der ukrainischen als auch der russischen Behörden von Freitagfrüh zufolge wurde zunächst keine erhöhte Strahlung gemessen.