Zwei US-Doldaten auf Militärfahrzeugen
AFP – JONATHAN NACKSTRAND
AFP – JONATHAN NACKSTRAND
Putins Invasion

Dialog beibehalten – wie im Kalten Krieg

Russische Universitäten, die Putins Krieg in der Ukraine befürworten, konsequent boykottieren, zugleich aber oppositionelle Forscherinnen und Forscher unterstützen: Das fordert die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny. Sie erinnert daran, dass selbst im Kalten Krieg der Dialog in der Wissenschaft weitergegangen ist – in einer Zeit des atomaren Säbelrasselns.

Die Debatte läuft seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar: Wie mit russischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Zukunft umgehen – speziell mit jenen, die sich in der Öffentlichkeit mutig gegen den Krieg ausgesprochen haben? In einem soeben in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichten Brief plädieren fünf Forschende aus angelsächsischen Ländern für Differenzierung. „Auf Ebene der Regierungen ist die Zusammenarbeit verständlicherweise fast komplett eingestellt“, schreiben sie, „aber das sollte nicht generell alle Personen aus der russischen Wissenschaft betreffen.“ Ein vollständiger Boykott von ihnen wäre ein „Rückschlag für eine Reihe von westlichen und globalen Interessen und Werten“. Dazu zählen laut „Science“-Brief weltweite Herausforderungen wie die Klimakrise und das Beibehalten „nicht-ideologischer Kommunikationskanäle über Nationalgrenzen hinweg“.

“Eint die Menschheit“

Letztere hat auch Helga Nowotny im Sinn, ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC) und Mitglied des Österreichischen Forschungsrats (RFTE). Selbst in den Hochzeiten des Kalten Kriegs habe es in der Wissenschaft einen Ost-West-Dialog gegeben, so die Wissenschaftsforscherin gegenüber science.ORF.at. „Er war damals auf eine Gruppe von Physikern beschränkt, unter anderem mit Andrei Sacharov. Dahinter stand natürlich die Bedrohung durch die Nuklearwaffen.“ Mitglieder der russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau hätten von ihrem Dialog mit amerikanischen Kollegen noch Jahrzehnte später geschwärmt. Ihr Fazit: „Die Wissenschaft kann noch zusammenarbeiten, selbst wenn die Politik schon fast den roten Knopf der Atomwaffen drückt. Wissenschaft braucht die internationale Kooperation, sie ist etwas, das die Menschheit eint.“

Helga Nowotny am Mittwoch, 20. November 2013
APA/HERBERT PFARRHOFER
Helga Nowotny

200 Rektoren und Rektorinnen auf Putin-Linie

Davon ist aktuell freilich zumindest auf institutioneller Ebene wenig zu spüren. Über 200 Rektorinnen und Rektoren russischer Hochschulen haben den Krieg gegen die Ukraine öffentlich begrüßt, 14 von ihnen wurden daraufhin von der Europäischen Universitätenvereinigung EUA suspendiert – ein Schritt, den Helga Nowotny ausdrücklich begrüßt. Denn die russischen Hochschulen seien in den vergangenen Jahren immer stärker an die politische Kandare genommen worden. „Die Veränderung erfolgte schleichend“, sagt die Wissenschaftsforscherin. „Die Universitäten haben deutlich an Autonomie verloren. Es wurden politische Kommissare eingesetzt, die Rektoren konnten nicht mehr selbständig Mitarbeiter auswählen, wie das Rektoren in einem westlichen Land machen würden, sondern sie mussten das OK des Politkommissars einholen.“

Individuelle Hilfe – etwa Jobangebote

Auf individueller Ebene ist das anders. Zahlreiche russische Forscherinnen und Forscher im In- und Ausland haben sich öffentlich gegen den Krieg ausgesprochen, mehr als 8.000 auch einen entsprechenden öffentlichen Brief unterschrieben. Wie es ihnen nach den Moskauer Knebelgesetzen, die es u. a. verbieten, den Krieg „Krieg“ zu nennen, ergeht, ist im Detail nicht bekannt. Es gibt aber Einzelberichte, wonach Unterzeichner ihren Arbeitsplatz verloren haben. Helga Nowotny findet, dass man den Mut der Oppositionellen unterstützen muss – und deshalb den Austausch auf persönlicher Ebene in der Wissenschaft auch nicht einstellen sollte. Russischen Forscherinnen und Forschern sollte Hilfe angeboten werden, etwa in Form von neuen Jobmöglichkeiten im Westen und – wenn gewünscht – Unterstützung, ihr Land zu verlassen. Eine Reihe von Institutionen habe derartige Angebote bereits angekündigt.

Visa und Finanzmittel, um Land zu verlassen

Dies scheint auch den Interessen der Betroffenen zu entsprechen, jedenfalls zeigen das Resultate einer nicht-repräsentativen Online-Umfrage. Der französische Biologe Patrick Lemaire ließ diese vor allem unter Kolleginnen und Kollegen in Moskau und St. Petersburg zirkulieren. Über 400 Personen antworteten, die Mehrheit von ihnen hat den öffentlichen Anti-Kriegsbrief unterschrieben und glaubt auch, dass der überwiegende Teil der russischen Wissenschaft ähnlich denkt. Eine große Mehrheit spürt bereits die negativen Folgen der Boykotte, eine kleinere Mehrheit bezeichnet sie dennoch als „notwendiges Übel“.

Bei der Frage, was der Westen tun könne, um individuelle russische Forscherinnen und Forscher zu unterstützen, erhielt die Antwort „Visa und Finanzmittel, um das Land verlassen zu können“ die höchste Zustimmung. Eine große Mehrheit sprach sich auch gegen persönliche Strafen aus – also etwa gegen da und dort geforderte Publikationsverbote für Personen aus Russland. Für die Zeit „nach dem Krieg“ wünschen sich die Befragten ein spezielles europäisches Fördersystem für russische und ukrainische Wissenschaftler, schon jetzt mehr Zusammenarbeit in Form etwa von Online-Seminaren.

Unterstützung für Ukraine

Während dies aus heutiger Sicht utopisch erscheint, hat die Forschungspolitik in Europa und somit auch in Österreich doppelt reagiert. Neben dem Boykott russischer Einrichtungen gibt es Unterstützungsmaßnahmen für ukrainische Forscherinnen und Forscher. Im Rahmen der Initiative More für Menschen mit Fluchthintergrund fordern etwa Österreichs Unis im Sommersemester 2022 keine Studienbeiträge für alle Studierende mit ukrainischer Staatsbürgerschaft. Dazu gibt es eine Reihe weiterer Unterstützungsmaßnahmen von Hochschulen und vom Wissenschaftsfonds FWF.