Drei Border Collies
APA/dpa/Daniel Karmann
APA/dpa/Daniel Karmann
Verhaltensforschung

Hunde als „Gedankenleser“

Hunde können möglicherweise zwischen guten und schlechten Absichten von Menschen unterscheiden. In einer Studie der Vetmeduni Wien reagierten sie unterschiedlich darauf, ob sie ein Leckerli nicht bekommen, weil der Mensch einfach nur tollpatschig ist – oder weil er sie foppen will.

Erkennen Hunde die Absichten hinter Handlungen von Menschen? Um diese Frage zu klären, wurden 48 Haushunde verschiedener Rassen nacheinander in einen Testraum des Clever Dog Lab der Veterinärmedizinischen Universität Wien gebracht. Mitten im Raum stand eine Box mit Gittern an drei Seiten und einer durchsichtigen Kunststoffscheibe an der vierten – in der Scheibe ein golfballgroßes Loch.

In der Box saß die Versuchsleiterin und hielt in einer Reihe von Experimenten Hundeleckerlis in Richtung des Loches. Näherte sich der Hund mit seiner Schnauze, ließ sie das Leckerli scheinbar ungeschickt entweder aus ihren Fingern rutschen, sodass es zurück in die Box fiel; oder sie zog den Snack zurück, bevor der Hund ihn schnappen konnte.

Im Clever Dog Lab des Messerli Forschungsinstituts der Vetmeduni finden in sechs Testräumen, die jeweils mit einem Multikamerasystem ausgestattet sind, Verhaltensstudien mit Hunden statt.

„Mehr Geduld bei Unfähigkeit“

Das Ergebnis war also in beiden Fällen dasselbe: Der Hund bekam kein Leckerli. Wurden sie von der Versuchsleiterin gefoppt, schienen sie aber frustrierter zu sein: Sie wandten sich schneller ab. Gab die Versuchsleiterin vor, zwar ihr Bestes zu geben, allerdings ungeschickt zu sein, warteten sie länger vor der Scheibe.

Die Hunde „reagierten ungeduldiger auf Handlungen, die mangelnde Bereitschaft signalisierten als auf Unfähigkeit“, so das das Forschungsteam um Studienerstautor Christoph Völter, Verhaltensforscher am Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni. Die Studie ist bisher als Preprint veröffentlicht, d. h. sie wurde noch nicht im üblichen Peer-Review-Verfahren durch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begutachtet.

In einem dritten Experiment war das Loch in der Scheibe mit einer durchsichtigen Kunststoffplatte abgedeckt. Die Versuchsleiterin versuchte das Leckerli durch das blockierte Loch zu drücken, was naturgemäß misslang. In dieser Situation reagierten die Hunde anders als in den ersten beiden Experimenten: Sie verweilten noch kürzer vor der Scheibe und liefen dann zu einer der anderen Seite der Box, wo keine Scheibe, sondern Gitterstäbe sie vom Leckerli trennten. Ganz so, als würden sie dem Menschen in der Box zeigen wollen, wie diese ihnen den Snack einfacher zukommen lassen könnte.

Große Datenmenge durch 3-D-Tracking-Software

Während des Verhaltensexperiments wurden die Hunde mit acht Kameras aus acht unterschiedlichen Perspektiven gefilmt, erzählt Völter im Interview mit science.ORF.at. Mittels 3-D-Tracking konnte jede noch so kleine Bewegung der Tiere erfasst werden. Kein leichtes Zucken mit einer Pfote, kein noch so geringes Verziehen der Schnauze blieb im Verborgenen.

„3-D-Tracking ist eine sehr neue Technologie, die im Feld der Hundekognitionsforschung noch kaum zum Einsatz gekommen ist. Die 3-D-Daten liefern einen sehr detaillierten Einblick in die Reaktionen der Hunde“, so der Verhaltensforscher. Aus der „sehr großen Masse an Daten“, die dadurch in Verbindung mit maschinellem Lernen generiert werde, lasse sich sehr viel ableiten: „Die Möglichkeiten sind unbegrenzt“.

So haben vorhergehende Studien bereits gezeigt, dass Hunde dazu tendieren, mehr auf der rechten Seite ihres Körpers mit dem Schwanz zu wedeln, wenn sie positiv gestimmt sind. In der aktuellen Studie zeigte die 3-D-Tracking-Software nun, dass die Tiere bei ungeschicktem Verhalten der Versuchsleiterin ebenfalls dazu neigten, auf der rechten Seite mit dem Schwanz zu wedeln – nicht aber, wenn sie gefoppt wurden.

Hunde bilden sich keine Meinung über Menschen

Am Clever Dog Lab finden regelmäßig Verhaltensexperimente mit Hunden statt, in denen die Fähigkeit von Hunden untersucht wird, Schlussfolgerungen über das Verhalten von Menschen zu ziehen; ob sie also zur Perspektivenübernahme fähig sind. Und erst kürzlich erforschte ein weiteres Forschungsteam der Vetmeduni die Frage, ob Hunde und Wölfe sich über Menschen eine Meinung bilden. Die Studie, die im Fachjournal „Plos One“ erschienen ist, fand keine Belege dafür, dass die Tiere dies tun.

Wolf Science Center Ernstbrunn, Vetmed Uni Wien
Rooobert Bayer at WolfScienceCenter
Die Studie wurde im Wolf Science Center der Vetmeduni im niederösterreichischen Ernstbrunn durchgeführt

Das Team um Friederike Range und Hoi-Lam Jim vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vetmeduni ließ in einem Versuch neun von Menschen großgezogene Wölfe und sechs Hunde beobachten, wie eine Person einen Hund fütterte und eine andere ihm Futter verweigerte. Danach durften die Wölfe und Hunde sich aussuchen, ob sie auf den „großzügigen“ oder auf den „geizigen“ Menschen zugehen wollen, um selbst einen Futterhappen zu bekommen. In der Folge gingen nicht statistisch signifikant mehr Hunde oder Wölfe auf den großzügigen Menschen zu.

Viele Puzzleteile notwendig

Das sei „in keiner Weise ein Widerspruch“ zum Ergebnis der aktuellen Studie, die im Clever Dog Lab durchgeführt wurde, so Völter gegenüber science.ORF.at. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Studien sei, dass in der einen die Interaktion zwischen Mensch und Hund direkt stattfand, während in der anderen das Tier eine Interaktion zwischen Mensch und einem anderen Hund beobachtete – mit dem Ergebnis, dass das Tier nicht in der Lage war, daraus Schlüsse für sich selbst abzuleiten.

Beide Befunde seien für die Frage, was in den Köpfen von Hunden vorgeht, interessant. „Eine Studie ist immer nur ein Puzzlestück. Mit einer einzelnen Studie können wir so eine große Frage, wie die, ob Hunde uns und unsere Handlungen verstehen, nicht abschließend beantworten.“ Denn die Erforschung, inwieweit Hunde die Absichten hinter den Handlungen von Menschen verstehen, sei schwierig.

Ähnliches Verhalten wie bei Kleinkindern

Um einen Puzzleteil nach dem anderen in das Bild einzufügen, werden im Clever Dog Lab verschiedene Methoden angewandt, erzählt Völter. Neben der Verhaltensforschung etwa auch Untersuchungen mittels Magnetresonanztomographen (MRT), um zu erkennen, welche Gehirnregionen in bestimmten Situationen aktiv sind.

Über viele Studien hinweg könne man sich so ein Bild über das Denken der Tiere machen: Wie flexibel ihre Informationsprozessierung und ihr Denken ist. Welche Informationen sie in ihre Entscheidungen einbeziehen und welche nicht. „Letztendlich sollte man daraus einen Schluss ziehen können, wie ähnlich Hunde uns Menschen in bestimmten Bereichen sind, etwa inwieweit sie das Denken anderer Lebewesen verstehen können.“

In der aktuellen Studie im Clever Dog Lab verhielten sich die Hunde laut Völter ähnlich Kleinkindern und Menschenaffen. „Und das ist natürlich interessant, denn wenn sich Hunde in einer ähnlichen Situation ähnlich verhalten wie Kleinkinder, dann eröffnet das zumindest die Möglichkeit, dass sie auch ähnliche kognitive Fähigkeiten besitzen.“ Bewiesen sei dies damit zwar noch nicht, auf lange Sicht können diese Studien dennoch helfen, Klarheit darüber zu schaffen, wie ähnlich Hunde uns Menschen sind.