Verschwommene Menge, Gesichter
Alexander Ozerov – stock.adobe.com
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Wahrnehmung

Wie sich „Super-Recognizer“ Gesichter merken

„Super-Recognizer“ merken sich Gesichter deutlich besser als die allermeisten Menschen. Experimente legen nahe, dass sie ihr Gegenüber auf eine spezielle Art betrachten: Sie scannen das gesamte Gesicht und betrachten alle Details genauer, besonders beim ersten Zusammentreffen.

„Super-Recognizer“ erinnern sich sogar an Gesichter, die sie nur einmal flüchtig gesehen haben, auch wenn sich diese mittlerweile verändert haben oder inzwischen Jahre vergangen sind. Auf diese besondere Begabung sind Fachleute vor gut zehn Jahren eher zufällig gestoßen, eigentlich hatten sie sich mit Gesichtsblindheit beschäftigt, also mit Menschen, die andere schwer bzw. kaum wiedererkennen können. Um die Fähigkeit relativ verlässlich festzustellen, haben Psychologinnen und Psychologen mittlerweile einige Tests entwickelt, wie z. B. den Glasgow Face Matching Test oder den australischen UNSW Test. Laut Auswertungen sollen nicht mehr als ein bis zwei Prozent der Bevölkerung zu den „Super-Recognizern“ zählen.

Wo liegt der Unterschied?

Warum sich Menschen mit der seltenen Begabung Gesichter so besonders gut merken können, ist trotz aller Untersuchungen bis heute unklar. Fest steht, dass sie in anderen Bereichen wie Intelligenz oder Gedächtnis in der Regel durchschnittlich abschneiden. Vermutet wird daher, dass sich die Art der Wahrnehmung unterscheidet.

Bis jetzt dachte man, dass Supererkenner Gesichter ganzheitlich, also mehr oder weniger auf einen Blick erfassen. Dieser These widersprechen die Experimente, die James Dunn und sein Team nun an der University of New South Wales und der University of Wollongong durchgeführt haben. Die Ergebnisse wurden soeben im Fachmagazin „Psychological Science“ veröffentlicht.

Kleine Ausschnitte reichen

Am ersten Experiment nahmen 37 „Super-Recognizer“ und 68 durchschnittlich begabte Gesichtserkenner teil. Dabei hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmern fünf Sekunden Zeit, um ein neues Gesicht zu studieren, insgesamt waren es zwölf. Scharf zu sehen bekamen sie aber immer nur einen kleinen Ausschnitt. Wie der Lichtkegel eines Scheinwerfers wanderte dieser mit dem Blick über ein Gesicht, der Rest war verschwommen zu sehen. Die Größe des Ausschnitts variierte zwischen 60 und zwölf Prozent des ganzen Gesichts.

Anschließend mussten die Probanden und Probandinnen die zwölf bekannten aus insgesamt 24 Gesichtern auswählen. Wenig überraschend schnitten die Supererkenner dabei deutlich besser ab als der Rest; auch wenn der Ausschnitt sehr winzig gewesen war, erkannte sie die meisten zuvor gesehenen Gesichter.

Aufmerksame Betrachter

Also analysierten die Psychologinnen und Psychologen, was die „Super-Recognizer“ konkret anders gemacht hatten. „Wir stellten fest, dass sie viel weniger auf die Augen schauten. Dabei gibt es die Auffassung, dass die Augen sehr wichtig für die Wiedererkennung sind und dass sie die Identität einer Person verraten“, so Dunn in einer Aussendung.

Anstatt sich auf die Augen zu konzentrieren, betrachteten die Supererkenner auch andere Stellen des Gesichts genauer. Insgesamt erfassten sie viel mehr Ausschnitte als die anderen Probanden. Besonders auffällig war das in der ersten Phase des Experiments, wo es darum ging, sich die neuen Gesichter zu merken. Laut den Forscherinnen und Forscher erkunden sie das Gesicht auf eine spezielle Art: „Sie suchen nach Information, die besonders nützlich sind, um die Person später wiederzuerkennen. Wenn ‚Super-Recognizer‘ ein Gesicht erfassen, gleicht das eher einem Puzzlespiel als einem Schnappschuss“, erklärt Dunn. Ein weiteres Experiment bestätigte diese spezielle Art der Wahrnehmung.

Wie es aussieht, sind Supererkenner einfach besonders aufmerksame Betrachter und – wie es in der Studie heißt – auch Superlerner. Im echten Leben hätten sie dabei noch viel mehr Zeit und Möglichkeiten, Detailinformationen zu sammeln als in den fünf Sekunden vor einem Bildschirm. Wie die Forscherinnen und Forscher vermuten, könnten diese speziellen Wahrnehmungs- und Merkfähigkeiten auch in anderen Bereichen hilfreich sein.