Bei einer Coronavirus-Teststation hält jemand die Ausrüstung für einen PCR-Test in der Hand.
APA/BARBARA GINDL
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Coronavirus

Weltweite Infektionsraten vermutlich unterschätzt

Die Analyse von knapp eintausend Antikörperstudien aus den vergangenen Jahren hat ergeben, dass die Infektionsrate von SARS-CoV-2 bisher wahrscheinlich deutlich unterschätzt wurde. Grund dafür sei eine hohe Dunkelziffer bei den gemeldeten Fällen. Insgesamt ist die Immunität der Weltbevölkerung immer weiter gewachsen.

Seit fast drei Jahren sorgt SARS-CoV-2 weltweit für Covid-19-Erkrankungen. Wissenschaftliche Untersuchungen und Analysen auf globaler Ebene gab es dazu bisher kaum. Um tatsächlich etwas über den weltweiten Verlauf der Pandemie herauszufinden und Informationen über die globalen Infektionsraten und die Verteilung der Antikörper zu erhalten, sind umfangreiche und standardisierte Studien nötig.

Vor allem zu Beginn der Pandemie waren derartige Untersuchungen rar. Sie sind aber notwendig, um die erhobenen Daten später auch mit Daten aus anderen Ländern vergleichen zu können. Erst nach und nach haben sich immer mehr Forschungsteam auf der ganzen Welt an einer Vorlage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiert. Daraus entstanden sind einige umfangreiche Untersuchungen, die auch als “WHO Unity Studies“ bekannt sind.

Infektionsrate unterschätzt?

Eine dieser Studien präsentiert ein internationales Forschungsteam derzeit im Fachjournal „PLOS Medicine“. Dort berichten die Expertinnen und Experten der WHO, der Datenplattform SeroTracker und mehrerer Universitäten, dass die globalen Infektionsraten in der CoV-Pandemie vermutlich deutlich höher waren, als es die zum jeweiligen Zeitpunkt gemeldeten Fallzahlen vermuten ließen.

Das ergab die genaue Analyse von knapp eintausend regionalen und internationalen Antikörperstudien aus unterschiedlichen Teilen der Welt – darunter auch einige, die sich an der standardisierten Vorlage der WHO orientiert haben. Das Team analysierte so insgesamt Daten von über 5,3 Millionen Menschen. Die dazu herangezogenen Studien stammen aus der Zeit zwischen Jänner 2020 und Mai 2022.

Globale Immunität steigt

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten unter anderem, welcher Anteil der weltweiten Seroprävalenz, also der Menge der Menschen mit entsprechenden Antikörpern, auf Impfungen und welcher Teil auf eine Infektion zurückzuführen ist. Für jede Studie ab dem Jahr 2021 berücksichtigten sie daher auch die Impfzahlen der jeweiligen Region und berechneten so den Anteil der Menschen, der die Antikörper eher von einer Infektion als von einer Impfung hatte.

Konkret haben die Berechnungen ergeben, dass im September 2021 rund 60 Prozent der Weltbevölkerung impf- oder infektionsbedingte Antikörper gegen das Coronavirus im Blut hatte. Die Impfungen ausgeschlossen waren es laut den Forscherinnen und Forschern immer noch knapp 36 Prozent. In den Anfängen der Pandemie (Juni 2020) wiesen hingegen nur rund acht Prozent der Weltbevölkerung Antikörper gegen das Virus auf. Das globale Immunitätslevel ist über die letzten drei Jahre also deutlich gestiegen.

Die aktuellsten Daten in der Studie stammten aus dem Frühling 2022. Zu diesem Zeitpunkt war die Seroprävalenz in finanziell gut aufgestellten europäischen Ländern bei fast 96 Prozent (durch Infektion und Impfung). Rein durch Infektionen schätzen die Forscherinnen und Forscher, dass rund 48 Prozent der Menschen in diesen Ländern Antikörper im Blut hatten. In Teilen der USA waren es im März 2022 gesamt sogar 99,8 Prozent, auf Infektionen zurückzuführen waren davon rund 34 Prozent.

Vergleich mit Inzidenzzahlen

Die Informationen zur infektionsbedingten Antikörpermenge haben die Forscherinnen und Forscher anschließend mit zahlreichen nationalen Studien zur Inzidenzzahl der jeweiligen Region verglichen. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Infektionsrate von SARS-CoV-2 tatsächlich um einiges höher war, als es die positiv gemeldeten Tests vermuten ließen.

Konkret hat das Team berechnet, dass im dritten Quartal von 2020 weltweit für jede offiziell gemeldete Infektion wahrscheinlich rund 51 positive Fälle unbekannt blieben. Die Dunkelziffer war also sehr hoch, nur knapp zwei Prozent der Fälle wurden demnach zu dieser Zeit weltweit bestätigt.

Im dritten Quartal von 2021 sah es schon etwas besser aus, immer noch gab es laut den Forscherinnen und Forschern aber einige Fälle, die nicht gemeldet wurden. So ergaben die Untersuchungen, dass für jeden gemeldeten Fall zu diesem Zeitpunkt noch knapp über zehn Infektionen unbeachtet blieben. Damals wurden also rund zehn Prozent der gesamten positiven Fälle entdeckt.

Für die Zeit danach war es dem Forschungsteam noch nicht möglich, derartige Berechnungen auf globaler Ebene anzustellen. Dafür gab es ab 2022 zu wenige Daten.

Regionale Unterschiede

Verglichen mit den Erkenntnissen aus der umfangreichen Seroprävalenz-Analyse wurden die globalen Infektionszahlen bei Routinetestungen also oft stark unterschätzt, so die Autorinnen und Autoren. Dabei gab es aber auch klare regionale Unterschiede.

Im dritten Quartal von 2021 fand das Team etwa Hinweise darauf, dass in den USA oder Teilen Europas rund doppelt so viele Menschen Antikörper hatten, wie es die damals berichteten Inzidenzraten vermuten ließen. In ärmeren Ländern, wie etwa in Teilen Afrikas, war die durchschnittliche Seroprävalenz sogar über einhundert Mal höher als die positiv gemeldeten Fälle.

Standardisierung notwendig

Um die weltweiten Infektionszahlen künftig genauer beobachten zu können, fordern die Forscherinnen und Forscher den Einsatz eines globalen und standardisierten Netzwerks für derartige Untersuchungen. Nur so sei es möglich, die globale Seroprävalenz genau zu bestimmen und die Pandemie generell besser im Auge zu behalten.

Ein derart standardisiertes Netzwerk könnte später auch bei anderen Viren und Krankheitserregern zum Einsatz kommen und die internationale Zusammenarbeit in der Wissenschaft deutlich erleichtern.