Oktopus (Bildrechte nur im Rahmen der Studie)
Nir Friedman
Nir Friedman
Gehirnentwicklung

Was Krake und Mensch gemeinsam haben

Kraken sind hochintelligent und mit ihrem raffinierten Nervensystem eine Ausnahme unter den wirbellosen Tieren. Warum das so ist, hat nun ein internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erforscht – und dabei herausgefunden, was die komplexen Gehirne von Kraken und Menschen gemeinsam haben.

Geht man in der Evolutionsgeschichte weit genug zurück, stößt man auf den letzten bekannten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Kopffüßer: ein wurmähnliches Tier mit minimaler Intelligenz. Danach teilten sich Organismen in zwei Gruppen – jene mit und jene ohne Rückgrat. Während sich bei Wirbeltieren, insbesondere bei Primaten und anderen Säugetieren, große und komplexe Gehirne mit vielfältigen kognitiven Fähigkeiten entwickelten, war dies bei den Wirbellosen nicht der Fall. Mit einer Ausnahme: die Kopffüßer, zu denen auch der Krake gehört.

Schon lange wird erforscht, warum sich ein so komplexes Nervensystem nur bei diesen im Meer lebenden Weichtieren entwickeln konnte. Zuletzt stellten etwa Wiener Forscherinnen und Forscher fest, dass Kraken ihre Intelligenz Umbauaktionen auf dem Erbgut zu verdanken haben – science.ORF.at hat berichtet.

Komplexe Gehirne dank microRNAs

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Wissenschaftlern des Max Delbrück Center in Deutschland und des Dartmouth College in den USA fand nun einen möglichen Grund dafür: Kraken besitzen in ihrem Nervengewebe – ähnlich den Wirbeltieren – ein stark erweitertes Repertoire an microRNAs. Das sind Moleküle, die in der Zelle die Aktivität vieler Gene regulieren. Diese kleinen Schnipsel des Erbmoleküls RNA wurden 1993 entdeckt. Beim Menschen sind derzeit über 1.800 verschiedene microRNA-Familien bekannt.

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Kraken haben eines der raffiniertesten Nervensysteme der Tierwelt

Laut der neuen Studie, die im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlicht wurde, ist die Entwicklung der Kraken mit einer drastischen Erweiterung ihres microRNA-Repertoires verbunden. Die Forschungsergebnisse zeigen zudem, dass microRNAs wahrscheinlich eine grundlegende Rolle bei der Entwicklung aller komplexer Gehirne spielen.

Neue microRNA-Familien

„Das ist es also, was uns mit dem Kraken verbindet“, so der Leiter des Forschungsteams Nikolaus Rajewsky vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in einer Aussendung. Von einer Meeresforschungsstation in Neapel erhielt Rajewsky Proben von 18 verschiedenen Gewebearten von toten Kraken. Bei der Analyse fand das Forschungsteam 42 neue microRNA-Familien – besonders im Nervengewebe und vor allem im Gehirn.

Rajewsky plant, sich mit weiteren Krakenforscherinnen und Krakenforschern zu einem europäischen Netzwerk zusammenzuschließen, das einen größeren wissenschaftlichen Austausch ermöglichen soll. Es sei faszinierend, eine Form der Intelligenz zu analysieren, die sich völlig unabhängig von der des Menschen entwickelt hat, so der Systembiologe. Das Interesse an Kraken wachse, auch unter Verhaltensforscherinnen und -forschern.

Zentrales Gehirn und dezentrales Nervensystem

Aus evolutionärer Sicht sind Kraken unter den wirbellosen Tieren einzigartig. Sie haben sowohl ein zentrales Gehirn als auch ein dezentrales Nervensystem, das in der Lage ist, unabhängig zu handeln. Wenn ein Krake einen Tentakel verliert, bleibt dieser empfindlich für Berührungen und kann sich weiterhin bewegen. Der Grund, warum Kraken als einzige Wirbellose so komplexe Gehirnfunktionen entwickelt haben, könnte darin liegen, dass sie ihre Arme sehr gezielt einsetzen – zum Beispiel als Werkzeuge zum Öffnen von Muscheln.