Gliederfüßer

Eine Meeresspinne als Regenerationswunder

Bei der knotigen Asselspinne handelt es sich um einen urtümlichen Vertreter der Gliederfüßer. Der Meeresbewohner entpuppte sich nun als Regenerationswunder: Sie kann nicht nur Extremitäten, sondern auch zentralere Körperteile wie Rumpfelemente, Darm oder Geschlechtsteile nachwachsen lassen.

Bei den Gliederfüßern, zu denen die Insekten, Tausendfüßer, Krebs- und Spinnentiere sowie die seit Jahrmillionen ausgestorbenen Trilobiten zählen, handelt es sich um die artenreichste Tiergruppe der Welt. Zum Beispiel ein verlustig gegangenes Bein können mehrere Vertreter dieser Gruppe ersetzen, geht es aber um Körperteile, die sich näher an der Körperhauptachse befinden, sieht die Sache anders aus. Das Forschungsteam um den Wiener Zoologen Georg Brenneis vom Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien, dem auch Kollegen von den Unis Greifswald und Berlin angehörten, überprüfte diese Annahme nun anhand von Asselspinnen (Pycnogonum litorale) und berichtet darüber im Fachjournal „PNAS“.

Diesen Tieren rückte eigentlich bereits der Medizin-Nobelpreisträger Thomas Hunt Morgan (1866-1945) zu Leibe, berichtete aber über keine Beobachtungen zur Regeneration von zentralen Bereichen des Körpers. Das prägte wiederum die gängige Lehrmeinung nachhaltig. Allerdings beobachteten Brenneis und Kollegen immer wieder Tiere mit überzähligen oder missgebildeten Beinen, wie er gegenüber der APA erklärte. Die Idee dazu war, dass hier auch überschießende Regeneration mit am Werk sein könnte.

Erwachsene Meeresspinne nach vollständiger Regeneration des dritten rechten Beines sowie des gesamten letzten Rumpfsegmentes mit dem vierten Beinpaar und Körperende.
Georg Brenneis
Erwachsene Meeresspinne nach vollständiger Regeneration des dritten rechten Beines sowie des gesamten letzten Rumpfsegmentes mit dem vierten Beinpaar und Körperende.

Dass Thomas Hunt Morgan, der für seine genetische Forschungen mit Taufliegen (Drosophila melanogaster) 1933 den Nobelpreis erhielt, dies nicht beobachten konnte, dürfte an der Haltung der Spinnen damals gelegen haben, so Brenneis. Im Gegensatz zu den historischen Studien wurden die Tiere in der aktuellen Studie aber durchgehend und ausreichend mit Futter versorgt.

Erstaunliche Nachbildungen

Die neuen Untersuchungen der Zoologen erbrachten nun tatsächlich andere Einblicke: Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nahmen 23 Exemplare von Pycnogonum litorale mit modernen Analysemethoden wie Fluoreszenzmikroskopie und Röntgen-Mikro-Computertomographie unter die Lupe. Dabei stellte sich heraus, dass sich bei den eigentümlichen Tieren in den Monaten nach der Entfernung von Beinpaaren oder diverser hinterer Teile ihres Körpers erstaunlich viel tat.

Mit den neuen Methoden konnte das Team auch feststellen, wie weit Organe bzw. Teile davon nachgebildet wurden. Dokumentieren konnten die Zoologen teils erstaunliche Entwicklungen bei vielen untersuchten Tieren. Neben Ersatz-Gliedmaßen beobachtete man die Nachbildung „von fast vollständigen hinteren Rumpfsegmenten mit Muskulatur und Mitteldarmschläuchen“, außerdem entstanden „der hinterste Körperanhang mit Enddarm und Anus, sowie fehlende Elemente der Geschlechtsorgane neu“, so Brenneis in einer Aussendung.

Interessant für Medizin

Tiere mit derartigen Fähigkeiten – das bekannteste Beispiel ist vermutlich der Axolotl, der sein Leben im Larvenstadium verbringt und Gliedmaßen sowie sogar Teile des Rückenmarks nachwachsen lassen kann – sind nicht nur aus medizinischer Sicht interessant. Sie könnten auch Antworten auf die evolutionsbiologische Frage liefern, warum sich diese eigentlich vorteilhafte Fähigkeit nicht breiter im Tierreich durchgesetzt hat.

Darauf gibt es laut Brenneis „bisher keine wirklich zufriedenstellende Antwort“. Bei Säugetieren ist die Fähigkeit jedenfalls auf wenige Organe, wie die Leber, auf das Blut und beispielsweise die Fingerspitzen beschränkt. Klar ist, dass Regeneration hohe physiologische Kosten verursacht. Warmblüter, die ihre Körpertemperatur durchgehend hoch halten müssen, können sich eine nachwachsende Gliedmaße daher kaum „leisten“. Viele Fische oder Amphibien, die Körperteile nachwachsen lassen können, wachsen auch kontinuierlich. Bleibt der Körper zeitlebens im Wachstum, scheint das auch die Regeneration zu fördern, erklärte Brenneis.

Da es sich bei der Asselspinne um einen sehr frühen Vertreter des heute weit verzweigten Gliederfüßer-Stammbaumes handelt, glauben die Wissenschaftler, dass erstaunliche Regenerationsfähigkeiten bei sehr alten Vertretern der Tiergruppe weit verbreitetet gewesen sein könnten. Das dürfte ihnen dabei geholfen haben, eine derartige Artenvielfalt auszubilden. Ob auch in anderen Gliederfüßern solche Fähigkeiten schlummern, die der Wissenschaft bisher verborgen blieben, will das Team in weiteren Untersuchungen klären.