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APA/HERBERT PFARRHOFER
APA/HERBERT PFARRHOFER
Universitäten

Protest gegen prekäre Beschäftigung

80 Prozent des wissenschaftlichen Personals an Österreichs Unis haben befristete Verträge, nach acht Jahren dürfen sie aufgrund der Kettenvertragsregelung nicht weiterbeschäftigt werden. Die Betroffenen protestieren derzeit gegen diese prekäre Beschäftigung, die nicht nur Folgen für sie, sondern auch für Forschung und Lehre hat, wie eine neue Studie zeigt.

Wissenschaftskarrieren beginnen in Österreich mit Unsicherheit: Die Verträge sind befristet und werden meist über Projekte finanziert. 80 Prozent des akademischen Mittelbaus, also aller wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten, haben solche befristeten Verträge. Österreichweit sind das mehr als 32.000 Beschäftigte.

30 Prozent unmittelbar betroffen

Mit der Novelle des Universitätsgesetzes 2021 wurden auch die Befristungen neu geregelt: Haben die Befristungen insgesamt acht Jahre erreicht, müssen sie die Universität verlassen. Eine neue Studie untersuchte nun die Auswirkungen dieser prekären Beschäftigung für Wissenschaft und Forschung und zwar an der Universität Wien, wo etwa 6.000 Forschende und Lehrende des Mittelbaus befristete Verträge haben – 1.100 von ihnen haben an einer Befragung zu ihrer Beschäftigungssituation teilgenommen.

Die Studie zeigt, dass 30 Prozent von ihnen bereits von der Neuregelung betroffen sind. Sie haben mit allen Projektanstellungen und Lehraufträgen die neue Acht-Jahres-Grenze erreicht und müssen die Universität verlassen. Das habe Folgen für die Forschung, sagt die Politikwissenschaftlerin und Koautorin der Studie Julia Partheymüller. Rund 70 Prozent der Befragten haben angegeben, dass ihr Arbeitsbereich derzeit bereits betroffen sei, 80 Prozent, dass dies zukünftig so sein werde. Denn es werde auch immer schwieriger, qualifizierte Forscherinnen und Forscher für Projekte zu gewinnen bzw. beschäftigen zu können.

Folgen für Forschung und Lehre

„Es gibt zum Beispiel allein 58 bewilligte Drittmittelprojekte, die nicht mehr durchgeführt werden können“, sagt Partheymüller. Die betroffenen Forscherinnen hätten das Geld, um diese Projekte zu realisieren, sie hätten sich kompetitiv durchgesetzt und Drittmittel eingeworben, können jedoch aufgrund der Kettenvertragsregel nicht weiter forschen.

Die Betroffenen können ihre Karriere, sofern möglich, an einer anderen österreichischen Universität fortsetzen oder ins Ausland gehen. Darunter leidet allen voran die forschungsgeleitete Lehre. Denn für Bewerbungen an anderen Universitäten, gerade im Ausland, braucht es Publikationen in renommierten Wissenschaftsjournals. Studierende zu unterrichten oder Wissenschaftskommunikation spielten im Lebenslauf keine Rolle, so Partheymüller.

Frauen stärker benachteiligt

Die mit der Befristung verbundene Unsicherheit ist für den Großteil der Befragten belastend, so ein weiteres Ergebnis der Studie. „Die Grundproblematik der Situation an österreichischen Universitäten ist, dass Forschung und Lehre mehrheitlich von Personen betrieben wird, die befristet beschäftigt sind, was langfristige Planung verunmöglicht“, sagt Christian Cargnelli, Präsident IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen. Besonders problematisch sei das im Zusammenhang mit Familienplanung und Betreuungspflichten. Allein an der Uni Wien würde 40 Prozent der Lehre von Lektorinnen und Lektoren absolviert.

Ein Aspekt, den Florian Part, Forscher an der Universität für Bodenkultur Wien und Mitglied des Netzwerks Unterbau Wissenschaft, in diesem Zusammenhang betont, ist die Benachteiligung von Frauen durch die Befristungen: „Im Wintersemester 2021/22 haben sich in ganz Österreich 71 Personen erfolgreich auf eine unbefristete Laufbahnstelle an Österreichs Universitäten bewerben können“. Dem stehen mehr als 30.000 befristet Beschäftigte gegenüber. Diese Bewerbungen erfolgten in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Frauen mit Betreuungspflichten hätten in diesem Wettbewerb viel öfter das Nachsehen.

„Gesetz bleibt vage“

Die Studie an der Universität Wien zeigte auch Einzelfälle auf: Das Marie-Jahoda-Stipendienprogramm der Universität Wien soll Wissenschaftlerinnen nach einer Karriereunterbrechung, etwa wegen einer Karenz, die Rückkehr in die Forschung erleichtern. Dieser Forscherin wurde das Stipendium inklusive Karenz auf ihre Acht-Jahres-Befristung angerechnet, also Zeit, in der sie nicht forschen und publizieren konnte. „Sodass diese Frauenförderungsmasnahme 100 Prozent ins Leere läuft“, sagt Partheymüller.

Das Gesetz bleibe hier vage, wie nun mit solchen Stipendien, mit Projektanstellungen oder kleinen Lehraufträgen zu verfahren sei, ergänzt die Politikwissenschaftlerin, und würde an den verschiedenen Universitäten unterschiedlich ausgelegt. Auch deswegen formiert sich aktuell österreichweit Protest: Die Betroffenen haben den März zum Aktionsmonat erklärt – science.ORF.at hat berichtet. Es finden zahlreiche Veranstaltungen und Diskussionen statt. Am 16. März findet etwa eine Vollversammlung des Mittelbaus an der Johannes Kepler Universität Linz statt, am 23. März ist eine Großdemonstration in Wien geplant.

Wenige unbefristete Stellen

Theoretisch hätten die Universitäten die Möglichkeit, unbefristete Anstellungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszuschreiben. Das System der Befristungen am Beginn der Karriere, so ein Argument, würde dazu führen, dass sich die Besten durchsetzen. Doch solche Stellenausschreibungen gebe es derzeit nicht, sagt Partheymüller: „An der Universität Wien ist derzeit keine einzige unbefristete Stelle ausgeschrieben, über die ganze Universität hinweg, über alle Fachbereiche“. Auch in der Befragung gaben nur acht Forschende an, man habe ihnen so eine unbefristete Stelle in Aussicht gestellt.

Während an Österreichs Universitäten fast 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals befristet beschäftigt sind, sind es mit Bick auf alle unselbstständig Beschäftigten in Österreich nur sechs Prozent, so Cargnelli: „Die Universitäten weigern sich seit Jahren, unbefristete Stellen zu schaffen“. Die Budgets der Universitäten werden für drei Jahre verhandelt. Unbefristete Anstellungen könnten also nicht langfristig finanziell abgesichert werden, hieß es dazu in der Vergangenheit von den Universitäten.

Ministerium verteidigt Regelung

Vom Wissenschaftsministerium heißt es auf Anfrage von science.ORF.at, dass man die Regelung über befristete Arbeitsverhältnissee 2021 genau deshalb neugestaltet habe, um Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern mehr Rechtssicherheit und eine verlässliche Karriereperspektive zu geben. Weiters heißt es in der Stellungnahme, dass die Universitäten eben die Möglichkeit hätten, unbefristete Stellen zu schaffen.

Dieses Tenure-Track-System werde gerade vom Ministerium evaluiert. Das sei gesetzlich alle fünf Jahre vorgesehen, um die rechtlichen Rahmenbedingungen regelmäßig anpassen zu können, falls das notwendig erscheint. Sämtliche Stellen unbefristet zu vergeben, könne jedoch nicht im Sinn der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein, so das Ministerium, denn dann gebe es auf viele Jahre hinaus nur äußerst geringe Chancen, in der Wissenschaft Fuß zu fassen.

Uni-Wien-Rektor sieht „Katastrophe“

Der Rektor der Universität Wien, Sebastian Schütze, hielt gegenüber der APA die Neuregelung der Kettenverträge ebenfalls für eine „Katastrophe“: „Das können wir so nicht gebrauchen, weil es die Situation unserer Nachwuchswissenschaftler erschwert.“ Das habe man schon bei der Erarbeitung der Regelung deponiert. Man werde sich daher nun „sehr genau anschauen, an welchen Stellen Möglichkeiten sind zu entfristen“. Vor dem Sommer werde man dazu einen Vorschlag machen.

Größtes Problem für Schütze ist die rückwirkende Anwendung. „Wenn ich mich auf eine Sache einlasse, von der ich weiß, wie die Bedingungen sind, ist das eine Sache. Wenn ich die Regelung mitgeteilt bekomme, nachdem ich meine Lebensplanung schon gemacht habe, ist das eine andere Sache.“

Ohne befristete Verträge werde man aber nicht auskommen, meinte der Rektor: „Für das Funktionieren des Systems ist es wichtig, dass eine Karriere in bestimmten Stufen erfolgt. Darauf basiert auch der internationale Kreislauf, von dem wir sehr profitieren.“ Was in der Diskussion zu kurz komme, sei auch der Umstand, dass man zuletzt sehr viele Prae- und Postdocstellen geschaffen habe. Diese würden Startchancen bieten, die man dann auch nutzen müsse.