Blick in Innenraum der Es Cárritx-Höhle (Menorca)
ASOME-Universitat Autònoma de Barcelona.
ASOME-Universitat Autònoma de Barcelona.
Europa

Schon in der Bronzezeit nahmen Menschen Drogen

Bereits vor 3.000 Jahren haben Menschen in Europa Drogen konsumiert. Das zeigt die Analyse von Haaren, die in einer Höhle auf Menorca gefunden wurden. In der Bronzezeit diente sie als Grabstätte. Vermutlich nutzten Schamanen die Rauschmittel aus Pflanzen, um sich in einen anderen Bewusstseinszustand zu versetzen.

Psychoaktive bzw. bewusstseinsverändernde Substanzen begleiten den Menschen seit Tausenden Jahren. Dass Rauschzustände schon in prähistorischen Zeiten gesucht wurden, zeigen einschlägige Werkzeuge wie Pfeifen und Mörser, die chemischen Spuren bestimmter Pflanzen in Tongefäßen und deren künstlerische Darstellung.

Den bisher ältesten Hinweis auf Opiumkonsum fand ein israelisches Forschungsteam bei Gefäßen in kanaanitischen Gräbern aus dem 14. Jahrhundert vor Christus. Indirekte Belege für den frühen Konsum von Cannabis stammen beispielsweise aus China. Rückstände in hölzernen Räuchergefäße legen nahe, dass die Droge schon vor 2.500 Jahren verbrannt und inhaliert wurde.

Bronzezeitliche Höhle

Direkte Nachweise von Drogen in menschlichen Überresten sind aber rar, schreiben die Forscherinnen und Forscher um Elisa Guerra-Doce von der spanischen Universidad de Valladolid im Fachmagazin „Scientific Reports“. Besonders aus Europa fehlen gesicherte Belege. Die nun analysierten Funde sollen diese Lücke schließen. Es handelt sich um rot gefärbte Haarsträhnen aus der Es-Càrritx-Höhle auf der Baleareninsel Menorca.

Das erste Mal genutzt wurde die Höhle vor 3.600 Jahren, eine eigene Kammer diente bis vor etwa 2.800 Jahren als Grabstätte. 210 Individuen aus allen Altersgruppen – mit Ausnahme von Babys unter drei Monate und Schwangeren – wurden dort beerdigt. Entdeckt wurden die bronzezeitlichen Überreste in den 1990er Jahren.

Rituelles Färben von Haaren

Wie die Autorinnen und Autoren in ihrer soeben erschienenen Studie schreiben, wurden in den letzten 300 Jahren, in denen die Höhle als Raum für Bestattungen diente, die Haarsträhnen von manchen Verstorbenen einer speziellen Prozedur unterzogen: Einzelne Büschel wurden nach dem Tod rot eingefärbt. Das war damals auch in anderen Grabstätten auf Menorca üblich. Pflanzliche Überreste legen nahe, dass dafür Farbstoffe aus Wiesenlabkraut und dem Balearen-Buchsbaum verwendet wurden. Anschließend wurden die Haare gekämmt, einzelne Locken abgeschnitten und in runde dekorierte Gefäße aus Holz und Horn gesteckt. Normalerweise wurde ein verschlossener Behälter in der Nähe des Verstorbenen platziert.

Künstlerische Darstellung des Haarefärbens bei einem Verstorbenen in der Es Cárritx-Höhle (Menorca)
Oriol Garcia i Quera, ASOME-Universitat Autònoma de Barcelona
Bei manchen Verstorbenen wurden einzelne Haarsträhnen rot gefärbt.

In der Es-Càrritx-Höhle fand man die Haarlocken von zehn Personen gemeinsam mit anderen Artefakten, wie etwa einem Holzkamm, in einem kleinen zusätzlichen Hohlraum. Es sieht so aus, als wären sie absichtlich versteckt worden, heißt es in der Studie. Vermutlich stammen die Überreste von ausgewählten Individuen. Die rötlichen Locken sind bis zu 13 Zentimeter lang. Drei davon haben Guerra-Doce und Co. nun auf Spuren bewusstseinsverändernder Substanzen untersucht. In der Haarstruktur sind die Stoffe noch Wochen und Monate nach dem Konsum dauerhaft gespeichert.

Spurensuche in Haarbüschel

Mit Hilfe von hochauflösender Massenspektrometrie und Hochleistungslüssigkeitschromatographie haben die Forscherinnen und Forscher nach Atropin, Scopolamin und Ephedrin gesucht. Die ersten beiden Alkaloide kommen in Nachtschattengewächsen vor und können Wahnzustände, Halluzinationen und eine veränderte Wahrnehmung auslösen. Ephedrin, das in manchen Sträuchern und Nadelhölzern vorkommt, verstärkt Erregungszustände, fördert die Konzentration, macht körperlich aktiv und dämpft Hunger.

Rotgefärbte Haarsträhne aus der  Es Cárritx-Höhle (Menorca)
ASOME-Universitat Autònoma de Barcelona
Eines der untersuchten Haarbüschel

Alle drei Substanzen konnten in den Haarlocken nachgewiesen werden, die Verstorbenen müssen die Rauschmittel also eine Weile vor ihrem Tod – womöglich regelmäßig – zu sich genommen haben. Laut dem Team stammen sie wahrscheinlich von Nachtschattengewächsen wie der Gemeinen Alraune, dem Weißen Bilsenkraut oder dem Gemeinen Stechapfel sowie vom Westlichem Meerträubel.

Medizinische Behandlung

Die bronzezeitliche Bevölkerung auf der Baleareninsel könnte die pflanzlichen Drogen für medizinische Zwecke genutzt haben, heißt es in der Studie. Die Alraune etwa wurde schon früh als Betäubungsmittel bei Operationen eingesetzt. Interessanterweise fand man in der Es-Càrritx-Höhle auch drei männliche Schädel mit Loch, vermutlich sind sie noch zu Lebzeiten einer Trepanation unterzogen worden. Ob es sich um die ehemaligen Träger der drei Haarlocken handelt, sei allerdings unklar. Die Wurzel der Alraune diente früher auch als Schlafmittel. Von Bilsenkraut und Stechapfel wisse man, dass sie in Form von Rauchwaren gegen Asthma verwendet wurden.

Rauschmittel für Schamanen

Laut dem Team um Guerra-Doce sprechen aber einige Indizien dafür, dass die berauschenden Substanzen nicht als Arznei, sondern tatsächlich als Rauschmittel verwendet wurden. Gegen viele der damals häufigen Beschwerden wie schwere Karies, Abszesse oder Gelenkserkrankungen sind die gefundenen Substanzen nämlich kaum wirksam. Außerdem sind sie sehr giftig. Es brauchte also hochspezialisiertes Wissen zum Umgang und um die richtige Dosis. Ein solches besaßen üblicherweise Schamanen, die sich regelmäßig mit Hilfe von Pflanzen in einen anderen Bewusstseinszustand versetzten, etwa um in die Zukunft zu sehen.

Holzschale aus der Bronzezeit aus der Es Cárritx-Höhle (Menorca)
Peter Witte, ASOME-Universitat Autònoma de Barcelona
Holzschale und -löffel aus der Es-Càrritx-Höhle

Dass solche schamanistischen Rituale damals auf Menorca üblich waren, legen Funde aus einer benachbarten Höhle nahe, z. B. ein Gefäß, auf dem ein menschliches Gesicht mit einem Geweih abgebildet ist – womöglich ein Symbol für ein Wesensverwandlung durch die Einnahme von psychoaktiven Substanzen, schreiben die Forscherinnen und Forscher. Es sei gut möglich, dass die Schamanen bzw. ihre sterblichen Überreste bei Begräbnissen besonders gewürdigt wurden. Das könnte wiederum erklären, warum in der Es-Càrritx-Höhle nur die gefärbten Haarsträhnen einzelner Individuen aufbewahrt wurden.

Auf dem Deckel der Holz- und Horngefäße sind außerdem konzentrische Kreise abgebildet – vielleicht ein Hinweis auf die durch den Drogeneinfluss erweiterten Pupillen, so die Vermutung des Teams. Die Darstellung von Augen gelte außerdem als Metapher für Visionen oder veränderte Bewusstseinszustände. In der damaligen Zeit gab es laut den Forscherinnen und Forscher große soziale Veränderungen auf Menorca, womöglich wurden die Gefäße mit den Haarbüscheln deswegen so gut versteckt, um die alte Traditionen für die Zukunft zu bewahren.