Verschmutzung und Rauch über Lyon
AFP – PHILIPPE DESMAZES
AFP – PHILIPPE DESMAZES
Luftverschmutzung

Feinstaub steigert Risiko für Lungenkrebs

Auch Nichtraucherinnen und Nichtraucher können an Lungenkrebs erkranken. Eine große Rolle spielt dabei Feinstaub – das zeigen aktuelle Studiendaten aus Großbritannien. In Kombination mit bereits bestehenden Mutationen im Lungengewebe lösen die kleinen Partikel Entzündungen aus und wecken Krebsgene. Diese Erkenntnisse könnten künftig dazu beitragen, Krebserkrankungen noch vor ihrer Entstehung zu verhindern.

Lungenkrebs ist eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen und Männern. Laut Daten des Gesundheitsministeriums sterben daran jedes Jahr rund 4.000 Österreicherinnen und Österreicher. Bei Männern gilt Lungenkrebs somit als häufigste Todesursache unter den Krebserkrankungen, bei Frauen liegt er hinter Brustkrebs auf Platz zwei.

Am häufigsten trifft Lungenkrebs Raucherinnen und Raucher: Rund 85 Prozent der Betroffenen greifen mehrmals täglich zur Zigarette oder haben in der Vergangenheit geraucht. Passives Rauchen erhöht das Risiko ebenfalls.

Lungenkrebs bei Nichtrauchern

Aber nicht nur Raucher sind gefährdet, auch viele Nichtraucher entwickeln irgendwann in ihrem Leben ein Lungenkarzinom. „In Großbritannien kommen mittlerweile knapp über zehn Prozent aller Lungenkrebserkrankungen bei Nichtrauchern vor“, so der Krebsforscher Charles Swanton vom britischen Francis-Crick-Institut am Dienstag in einem Pressegespräch.

Neben äußeren Einflüssen wie Asbest, Ruß und Nickelstaub steht unter anderem auch Feinstaub schon seit Jahren im Verdacht, das Risiko einer Krebserkrankung zu erhöhen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte Luftverschmutzung daher schon im Jahr 2013 offiziell als Krebsursache ein. In einem WHO-Bericht aus dem Jahr 2021 wurde geschätzt, dass weltweit jedes Jahr rund 250.000 Lungenkrebsfälle auf die Folgen von Luftverschmutzung zurückzuführen sind.

Erklärungsansatz für Krebserkrankungen

Was genau dahintersteckt, war lange Zeit aber unklar. Swanton machte es sich in den vergangenen Jahren daher zusammen mit einem internationalen Forschungsteam zur Aufgabe, mehr über die Mechanismen herauszufinden, die für die Krebserkrankungen bei Nichtrauchern verantwortlich sind. Die daraus resultierenden Studienergebnisse wurden im September 2022 bereits auf einem Symposium der Europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie (ESMO) vorgestellt. Aktuell präsentieren die Forscherinnen und Forscher um Swanton die überarbeiteten und ergänzten Untersuchungsergebnisse im Fachjournal „Nature“.

Luftverschmutzung korreliert mit Krebserkrankungen

Das Team fand im Rahmen der Untersuchungen tatsächlich eine Erklärung dafür, wie sich die Luftverschmutzung auf die Entstehung des sogenannten nichtkleinzelligen Karzinoms (NSCLC) auswirkt – der häufigsten Form von Lungenkrebs.

Dazu untersuchten die Forscherinnen und Forscher Daten von mehr als 32.000 Menschen aus England, Südkorea, Taiwan und Kanada, um ihr Krebsrisiko zu analysieren. Gleichzeitig sammelte das Team aber auch Informationen über die Luftverschmutzung und Feinstaubbelastung, die in den Heimatregionen der Probandinnen und Probanden gemessen wurden. Es zeigte sich, dass eine höhere Feinstaubbelastung auch mit einem größeren Lungenkrebsrisiko bei Nichtrauchern einherging.

Partikelgröße entscheidend

„Eine hohe Feinstaubbelastung allein führt aber noch nicht zur Entstehung von Lungenkrebs“, stellte Swanton klar. Zwei Faktoren seien dabei entscheidend – wenn beide zusammenspielen, steige auch das Krebsrisiko.

Einerseits sei die Größe und Menge der Feinstaubpartikel wichtig. Je kleiner Feinstaub ist, desto tiefer können die Teilchen in die Lunge eindringen. Vor allem Feinstaubpartikel, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind, sind demnach eine Gefahr für die Lunge und die generelle Gesundheit. Immerhin steht eine zu hohe Feinstaubbelastung auch mit anderen Krebsarten wie Mund- und Rachenkrebs in Verbindung.

Genetische Voraussetzungen

Andererseits spielt laut den Studiendaten aber auch die Genetik der Menschen eine wichtige Rolle. Lungenkrebs wird seit langem mit Mutationen des sogenannten EGF-Rezeptors (EGFR) und des KRAS-Gens in Verbindung gebracht. Auch in gesundem Lungengewebe von Nichtrauchern treten diese Mutationen aber häufig auf, wie die Studiendaten zeigen.

EGFR-Mutationen wurden vom Forschungsteam in rund 18 Prozent der eigentlich gesunden Probandinnen und Probanden gefunden, KRAS-Mutationen gab es sogar in 53 Prozent der untersuchten Nichtraucherlungen. „Unsere Untersuchung hat auch gezeigt, dass sich die Zellen mit den krebserregenden Mutationen im Laufe der Zeit auf natürliche Weise anreichern. Ältere Menschen weisen die Mutationen also häufiger auf als junge Erwachsene“, sagte Emilia Lim, eine der Erstautorinnen der Studie, beim Pressegespräch.

Zusammenspiel fördert Krebsrisiko

Eine hohe Feinstaubbelastung in Verbindung mit bereits bestehenden Genmutationen ist laut dem Forschungsteam der wahrscheinlichste Grund für die Entstehung von Lungenkrebs bei Nichtrauchern. Feinstaub kann demnach Entzündungsprozesse in der Lunge auslösen, die wiederum die schon bestehenden, aber noch ruhenden Genmutationen aktivieren. In weiterer Folge kann das zur Bildung von Tumoren und Krebs führen. Den Studienergebnissen zufolge könnte bereits eine dreijährige Belastung mit kleinen Feinstaubpartikeln ausreichen, um die Entwicklung von EGFR-bedingtem Lungenkrebs zu fördern.

„Die Studie liefert starke Argumente dafür, dass die Belastung mit PM2.5 (Anm.: Feinstaubteilchen, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind) mit der normalen Atemluft die Entstehung von Lungenkarzinomen fördern kann – wenn auch in geringerem Ausmaß, als dies ein Teil der Bevölkerung durch Zigarettenkonsum für sich selbst in Kauf nimmt“, so Martin Göttlicher, Professor für Toxikologie und Umwelthygiene an der Technischen Universität München, in einer Reaktion auf die britischen Studienergebnisse.

Der Studie zufolge haben Raucherinnen und Raucher ein bis zu 30-faches Risiko, irgendwann an Lungenkrebs zu erkranken. Nichtraucher mit den Genmutationen und einer deutlichen Feinstaubbelastung weisen im Vergleich zu Personen ohne die mutierten Gene hingegen nur ungefähr das 1,5-fache Risiko auf, dass Lungenkrebs entsteht.

Basis für weitere Untersuchungen

Dass der Feinstaub die Genmutationen nicht hervorruft, sondern lediglich aktiviert, war für Swanton im Rahmen der Untersuchungen besonders überraschend. Er ging selbst lange davon aus, dass krebserregende Stoffe Mutationen erst entstehen lassen müssen, damit diese dann letztendlich zu den Krebserkrankungen führen.

Für die Wissenschaft öffnen sich durch die neuen Erkenntnisse viele Türen, meinen die Forscherinnen und Forscher. Auch andere Krebsarten könnten durch bereits bestehende Mutationen im Körper entstehen, die von äußeren Faktoren und krebserregenden Stoffen nur noch aktiviert werden. Auf Basis dieser Erkenntnis möchte das Forschungsteam in den kommenden Jahren auch weitere Krebsarten untersuchen und ihre Entstehung im Körper genau analysieren.

Prävention statt Therapie

Besonders relevant könnten die britischen Studienergebnisse künftig für die Medizin sein. Da die vom Feinstaub ausgelösten Entzündungsreaktionen in der Lunge das Krebsrisiko erhöhen, könnte das Blockieren derselben Reaktionen auch die Entstehung von Lungenkrebs verhindern. Bei einem Test an Mäusen konnten die Forscherinnen und Forscher das bereits bewerkstelligen.

„Unser Ansatz könnte eine Möglichkeit bieten, die Prävention vor Krebserkrankungen in Zukunft weltweit zu verbessern“, erklärte Swanton. Noch ist kein derartiges Medikament am Markt, der Krebsforscher könnte sich irgendwann aber eine Art Tablette vorstellen, die vor allem in Regionen mit starker Luftverschmutzung zum Einsatz kommt. Bis ein derartiges Medikament aber tatsächlich verfügbar ist, ist laut Swanton noch einiges an Forschung nötig. Für ihn ist aber klar: „Krebserkrankungen vor ihrer Entstehung zu verhindern ist immer besser als eine Therapie, wenn der Krebs einmal da ist – vor allem, weil einige Krebsarten noch immer nicht wirklich behandelbar sind.“

Klimaschutz verringert Krebsrisiko

Krebsprävention sollte laut dem Forschungsteam aber nicht nur auf medizinischer Ebene stattfinden. Da mittlerweile klar ist, dass Feinstaub das Krebsrisiko steigert, fordert Swanton auch politische Entscheidungsträger dazu auf, alles daran zu setzen, die Luftverschmutzung auf globaler Ebene deutlich zu reduzieren.

„Strenge Richtwertgrenzen für Feinstaub könnten jedes Jahr Tausende von Lungenkarzinomfällen weltweit verhindern, insbesondere in Regionen mit einer stärkeren Luftverschmutzung“, erklärt auch der am Universitätsklinikum Heidelberg tätige Facharzt für Innere Medizin, Petros Christopoulos, in einer Reaktion auf die britische Studie.