Bär
Dr. Ole Frobert and Dr. Tobias Petzold
Dr. Ole Frobert and Dr. Tobias Petzold
Thrombose

Wie sich Bären vor Blutgerinnseln schützen

Obwohl sie sich kaum bewegen, bilden sich bei Bären während der Winterruhe keine Blutgerinnsel. Bei Menschen ist das anders: Sie weisen etwa nach Knochenbrüchen schnell ein erhöhtes Thromboserisiko auf. Ein Forschungsteam fand nun heraus, was die Bären schützt – und öffnete damit Türen, um die Behandlung von Thrombosen künftig auch bei Menschen zu verbessern.

Braunbären und Menschen verbindet auf den ersten Blick nur wenig. Unter der Haut sind Menschen den Tieren aber in mancher Hinsicht ähnlicher als bisher gedacht. Zu dieser Erkenntnis kamen Forscherinnen und Forscher, indem sie die Blutproben von 13 schwedischen Braunbären aus freier Wildbahn genauer analysierten. Die Ergebnisse der Untersuchung präsentieren sie aktuell im Fachjournal „Science“.

Ausschlaggebend für die Analysen des internationalen Forschungsteams war die Frage, warum Bären während der Winterruhe keine Blutgerinnsel in ihren Venen entwickeln. Die Tiere bewegen sich in den Wintermonaten kaum, trotzdem laufen sie nicht Gefahr, an einer Venenthrombose zu erkranken. Bei Menschen ist eine eingeschränkte Mobilität hingegen oft ein Problem. Wer sich zum Beispiel ein Bein bricht und deshalb eine gewisse Zeit bewegungsunfähig ist, bei dem steigt das Risiko eines Blutgerinnsels in den Venen schnell an. Wenn die Thrombose unbehandelt bleibt, kann das im Ernstfall sogar lebensgefährlich sein.

Die Forscherinnen und Forscher auf dem Weg zu einer Bärenhöle
Ole Frobert & Tobias Petzold
Die Forscherinnen und Forscher auf dem Weg zu einer Bärenhöhle in Schweden

Natürlicher Schutz vor Blutgerinnseln

Anders sieht es wiederum bei Personen aus, die querschnittsgelähmt oder generell bewegungsunfähig sind. „Diese Patientinnen und Patienten weisen in der chronischen Phase ihrer Erkrankung – also ab circa zwölf Monaten nach dem Einsetzen der Lähmung – überraschenderweise kein erhöhtes Risiko mehr auf, eine Venenthrombose zu entwickeln“, erklärt der Kardiologe Tobias Petzold von der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, war bisher nicht bekannt. Für das internationale Forschungsteam, dem auch Petzold angehörte, war aber sofort klar, dass sowohl die Bären als auch gelähmte Menschen eine Art natürlichen Schutz aufweisen müssen, der sie vor der Entwicklung eines Blutgerinnsels in den Venen bewahrt.

Proteinregulierung verhindert Blutgerinnung

Um diese Annahme zu überprüfen, sammelten die Forscherinnen und Forscher im Sommer und im Winter Blut von schwedischen Braunbären. Anschließend verglichen sie die Proben und suchten nach Unterschieden.

Während der Winterruhe der Bären gebe es „eine deutliche Veränderung der Proteinexpression in den Thrombozyten (Anm.: Blutplättchen), die dann zu einer veränderten Aktivierbarkeit der Zellen führen und damit letztlich die Thromboseentstehung reduzieren“, erklärt Petzold gegenüber science.ORF.at. Konkret konnten die Forscherinnen und Forscher das Protein HSP47 (engl.: Heat Shock Protein 47) identifizieren, dessen Menge auf den Blutplättchen während der Winterruhe der Bären drastisch nach unten reguliert wurde.

Das Protein hängt sonst eng mit der Blutgerinnung zusammen – weniger davon im Körper zu haben, könnte bei den Tieren also dafür sorgen, dass sie auch während der Winterruhe keine Blutgerinnsel entwickeln. Davon zeugen auch die Ergebnisse der Analyse. Durch das Fehlen des Proteins in den Winterruhe haltenden Bären konnten die Blutplättchen die Immunzellen nicht wie sonst aktivieren, was dazu führte, dass die Bildung von Blutgerinnseln ausblieb.

Den schwedischen Bären wurden im Sommer und im Winter Blut abgenommen. Bei den Probeentnahmen waren die Tiere sediert
Ole Frobert & Tobias Petzold
Den sedierten Bären wurde im Sommer und im Winter Blut abgenommen

Artenübergreifender Mechanismus

„Die Frage war natürlich, ob wir diese Erkenntnisse, auch auf Menschen übertragen können“, so Petzold. In einem weiteren Schritt verglichen die Forscherinnen und Forscher daher die Daten der Bären auch mit Blutproben von chronisch bewegungsunfähigen Personen. Dabei fand das Team einige Ähnlichkeiten zwischen den Bären und Menschen: „In der Tat konnten wir zeigen, dass Patientinnen und Patienten, die über ein Jahr lang gelähmt und bei ihren Bewegungen sehr stark eingeschränkt sind, dasselbe Protein herabregulieren wie die Bären.“

Die Reduktion des HSP47-Proteins sei demnach wahrscheinlich ein Mechanismus, der auch andere Säugetierarten vor der Entwicklung von Blutgerinnseln schützt, wenn sie sich längere Zeit nicht bewegen.

Um genauer zu klären, wie die Reduktion des Proteins vonstatten geht, war das Forschungsteam auch an einem Experiment an eigentlich gesunden Menschen beteiligt. Die Probandinnen und Probanden bewegten sich dabei einen gewissen Zeitraum so wenig wie möglich und verbrachten ihre Zeit regungslos im Bett. Nach rund 27 Tagen reduzierte sich die Menge des HSP47-Proteins im Blut der teilnehmenden Personen drastisch.

Lernen von der Natur

HSP47 ist laut den Forscherinnen und Forschern ein vielversprechendes Ziel für künftige Therapien. Bei Personen, die zum Beispiel wegen eines Knochenbruchs nur kurzzeitig bewegungsunfähig sind, könnte die Proteinmenge mithilfe von Medikamenten gesenkt und damit das Thromboserisiko maßgeblich reduziert werden.

Warum Bären keine Thrombose bekommen, ist laut Petzold aber nicht das einzig Interessante an den Tieren. Von ihnen könne man wahrscheinlich noch sehr viele weitere Dinge lernen, die auch für Menschen Relevanz haben.

Bärenklaue im Sommer
Ole Frobert & Tobias Petzold
Laut Petzold kann in den Körpern der Bären wahrscheinlich noch Weiteres entdeckt werden, was auch für Menschen Relevanz hat

Die Forscherinnen und Forscher fanden unter anderem Hinweise darauf, dass die Bären während der Winterruhe kaum Muskelmasse verlieren. Warum, ist noch unklar, aber auch die dafür verantwortlichen Mechanismen könnten, sobald sie identifiziert wurden, Fortschritte mit sich bringen – sowohl in der Medizin als auch im Rahmen von Projekten, die vor allem in Zukunft relevant sein werden. „Wenn man zum Beispiel an die Reise zu weit entfernten Planeten denkt, wird es künftig sicher auch von Bedeutung sein, wie man auf dem Weg dorthin möglichst wenig Muskelmasse einbüßt – dabei sind die Bären sicher ein vielversprechendes Vorbild“, so Petzold.