Paradox

Quantenflüssigkeit wird beim Erwärmen fest

In der uns vertrauten Welt, die den Regeln der klassischen Physik folgt, verstärkt die Erwärmung eines Materials die thermische Bewegung der Atome. Dies führt üblicherweise zum Schmelzen eines Feststoffs und schließlich zum Verdampfen der Flüssigkeit. In der Quantenwelt ist auch das anders: Ein Forschungsteam berichtet über eine dipolare Quantenflüssigkeit, die beim Erwärmen fest wird.

Hintergrund der Arbeit, die im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht wurde, sind sogenannte „Suprafestkörper“. Deren Existenz wurde bereits in den 1950er-Jahren theoretisch vorhergesagt. Aber erst 2019 gelang es Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Innsbruck und zwei anderen Gruppen unabhängig voneinander einen solchen Suprafestkörper zu formen.

Wird eine Quantenflüssigkeit erwärmt, können kristalline Strukturen entstehen
Aarhus University
Wird eine Quantenflüssigkeit erwärmt, können kristalline Strukturen entstehen

Dabei bilden Quantengase aus stark magnetischen Atomen bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) gleichzeitig einen Kristall und eine suprafluide – also widerstandsfrei fließende – Flüssigkeit. Anders als bei teilweise geschmolzenem Eis gibt es in Suprafestkörpern aber nicht nebeneinander einen festen und flüssigen Anteil, sondern die zwei Zustände überlagern sich dabei auf quantenmechanische Art und Weise. Die Atome sind gleichzeitig Teil des Kristalls und der Supraflüssigkeit.

Suprafeste Strukturen

Dieses ungewöhnliche Verhalten wurde erstmals 2021 bei Experimenten unter der Leitung von Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beobachtet. Sein Ursprung blieb jedoch rätselhaft. In der neuen Arbeit hat sich das Innsbrucker Team mit Theoretikern unter der Leitung von Thomas Pohl von der dänischen Universität Aarhus zusammengetan, um die Natur dieses Phänomens zu enthüllen.

Sie untersuchten dazu derartige Zustände in einem Gas stark magnetischer Dysprosium-Atome. In diesen machten sie eine unerwartete Beobachtung: „Ein Temperaturanstieg fördert die Entstehung von suprafesten Strukturen“, so Claudia Politi aus dem Team Ferlainos in einer Aussendung.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen entwickelten ein theoretisches Modell, das die experimentellen Ergebnisse erklärt. Das überraschende Verhalten ergibt sich demnach aus der Richtungsabhängigkeit (Anisotropie) der Dipol-Dipol-Wechselwirkung der stark magnetischen Dysprosium-Atome, die sowohl abstoßend als auch anziehend wirkt. Auf Basis seiner Arbeit konnte das Team erstmals ein Phasendiagramm, also ein Zustandsschaubild, erstellen, das die Entstehung suprafester Zustände in Abhängigkeit von der Temperatur zeigt.