Buchstabenabfolge der DNA
Ernesto del Aguila III, NHGRI
Ernesto del Aguila III, NHGRI
Erbgut

Pangenom berücksichtigt menschliche Vielfalt

Die seit 2001 als Referenzmodell verwendete Sequenz des menschlichen Erbguts basiert großteils auf dem Genom einer einzigen Person. Nun soll es durch ein Pangenom ersetzt werden, das Daten von 350 Menschen aus aller Welt berücksichtigt und so etwa die Entdeckung seltener Krankheiten erleichtert. Eine erste Version wurde soeben im Fachmagazin „Nature“ präsentiert.

Am 12. Februar 2001 berichteten die beiden führenden Wissenschaftszeitschriften „Nature“ und „Science“ von einem wissenschaftlichen Meilenstein: Erstmals wurde die menschliche Erbsubstanz fast vollständig entschlüsselt. Bis heute dient das damals veröffentlichte Humangenom als Referenz für genetische Analysen und Experimente. Die Sequenz hatte allerdings noch einige Lücken, manche wurden im vergangenen Jahr geschlossen. Forscherinnen und Forscher konnten dank neuer Methoden endlich auch vermeintlich funktionslose Genabschnitte entschlüsseln.

Lückenlos und divers

Neue Methoden – Sequenziertechniken wie Algorithmen – waren auch ein Schlüssel zu dem vor einem Jahr präsentierten Projekt des „Human Pangenome Reference Consortium“ (HPRC), dessen ersten Ergebnissen nun gleich in mehreren Beiträgen im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht wurden. Weitere Publikationen erscheinen zeitgleich in den Fachjournalen „Genome Research“, „Nature Biotechnology“ und „Nature Methods“.

Das Ziel ist ein sogenanntes Pangenom: Damit möchte das Konsortium der Wissenschaftsgemeinschaft eine möglichste lückenlose Sequenz des Erbguts zur Verfügung stellen. Denn trotz der laufenden Ergänzungen, blieben immer noch ein paar blinde Flecken. Im Pangenom werden nun 99 Prozent des menschlichen Genoms mit einer Genauigkeit von 99 Prozent dargestellt.

Außerdem soll das neue Referenzmodell die Diversität der Menschen viel besser abbilden. Davon werde in Zukunft die Wissenschaft und die medizinische Praxis profitieren, betont das internationale Team bei einer Pressekonferenz anlässlich der Veröffentlichungen. In die für kommendes Jahr angekündigte Endversion des Pangenoms wird das Erbgut von 350 Individuen aus aller Welt einfließen, bei der nun veröffentlichten ersten Version wurde die genetische Ausstattung von 47 Personen berücksichtigt.

Kleine, aber wesentlicher Unterschiede

Das Pangenom soll die Erforschung von genetischen Grundlagen menschlicher Krankheiten und die Präzisionsmedizin grundlegend verbessern. Das bisher verwendete Genom hatte nämlich eine entscheidende Schwäche: Es stammte vor allem von einer einzigen Person europäischer Abstammung, nur ein geringer Anteil der genetischen Informationen kam von 20 anderen.

Mehrdimensionales Pangenom im Vergleich zum ursprünglichen Humangenom
Darryl Leja, NHGRI
Mehrdimensionales Pangenom im Vergleich zum ursprünglichen Humangenom

In den allermeisten Teilen passt diese Blaupause zwar für alle, denn zwei beliebige Menschen – egal woher sie kommen – sind zu mehr als 99 Prozent genetisch identisch. Aber, wie in einer Aussendung zu der neuen Forschungsarbeit betont wird, diese kleinen Unterschiede von durchschnittlich 0,4 Prozent sind wesentlich für die Einzigartigkeit einer Person, für ihre Gesundheit, für Krankheiten sowie deren wirksame Behandlung.

Genau deswegen ist es laut dem internationalen Konsortium wichtig, möglichst diverses Erbgut aus allen Teilen der Welt im Pangenom zu berücksichtigen. So kommen zum Beispiel manche Genabschnitte überhaupt nur bei einem kleinen Teil der Menschen vor. In der nun präsentierten ersten Version sind im Vergleich zum bisherigen Referenzmodell 119 Millionen zusätzliche Basenpaare abgebildet. Außerdem repräsentiert das mehrdimensionale Modell viele verschiedenen Varianten menschlicher Genomsequenzen zur gleichen Zeit.

Neuer Meilenstein

Wie Arya Massarat und Melissa Gymrek von der University of California San Diego in einem begleitenden Kommentar zu den Studien schreiben, ist das neue Pangenom ein Meilenstein für die menschliche Genetik. Noch gebe es aber einige Herausforderungen zu meistern. Unter anderem befürchten sie, dass die Übernahme durch die wissenschaftliche Gemeinschaft eine Weile dauern können, etwa wegen der verwendeten neuen Methoden, die viele erst erlernen müssen.

Außerdem plädieren sie für noch mehr Proben aus diversen Gruppen. Auch für Stefan Mundlos, Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und Humangenetik der Berliner Charité und Leiter einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, ist das nun präsentierte Pangenom erst ein Anfang. „Die Diversität wird man nie vollständig abbilden können, denn viele Varianten sind individuell“, betont er gegenüber dem deutschen Science Media Center, das mehrere Experten zu den Forschungsergebnissen befragt hat. Aber das Referenzmodell werde ja noch weiter wachsen.

Mundlos erwartet, dass das Pangenom in Zukunft bei der Diagnose von genetisch bedingten Krankheiten hilfreich sein wird. So sieht das auch Siegfried Schloissnig, Projektleiter am Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP): „Es wird einfacher, Sequenzabschnitte im Genom einer Person, die potenziell mit Krankheiten in Verbindung stehen, zu entdecken.“ Er ortet sogar einen Umbruch in der Genomik, der allerdings eine Anpassung oder eine Entwicklung neuer Ansätze erfordere. Auch Massarat und Gymrek erwarten von der Verwendung des Pangenoms nichts weniger als eine Transformation der Forschung. Es sei zu hoffen, dass die vereinfachte Entdeckung seltener genetischer Varianten zu einer besseren Gesundheitsversorgung vieler Menschen führen wird.