Diabetes, Insulin, Pumpe
lukszczepanski – stock.adobe.com
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Diabetes Typ 1

Hoffnung auf Stammzelltherapie

Typ-1-Diabetes wird in Österreich bei Kindern und Jugendlichen häufiger. Die Behandlungstechnik, etwa bei Insulinpumpen-Systemen, entwickelt sich rasant. Die Autoimmunerkrankung kann dennoch psychisch belastend sein – bis hin zum Burn-out. Hoffnung auf Heilung gibt die Stammzelltherapie.

Bisher gab es in Tirol jährlich zwischen 22 und 25 Erstdiagnosen von Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen. 2023 waren es bis Mai bereits 15.

„In den 1990er bis 2010er Jahren gab es einen kontinuierlichen Anstieg von etwa vier Prozent pro Jahr in Österreich. Zirka ab 2010 hat sich dieser Anstieg etwas verlangsamt, und im Moment hat man eher den Eindruck, dass die Inzidenz wieder Fahrt aufnimmt. In den letzten zwei Jahren haben wir mehr Fälle beobachtet“, erzählt Sabine Hofer, Leiterin der Diabetologie am Department für Kinder- und Jugendheilkunde der Universitätskliniken Innsbruck.

Der Grund für den Anstieg sei noch unklar, eine Verbindung zu Covid-19 werde gerade erforscht, so die Diabetologin im Interview mit science.ORF.at. Der Verdacht liegt nahe: Zwar ist vieles an der Entstehung der Krankheit noch ungeklärt, aber ein Konsens besteht laut Hofer darin, dass eine genetische Veranlagung zugrunde liegt, wobei ein auslösendes Ereignis dazukommen muss – und das kann eine Viruserkrankung sein.

Nicht verwechseln: Typ 1 und Typ 2

„Typ-1-Diabetes wird in der Bevölkerung, aber auch im Gesundheitssystem noch viel zu oft mit Typ 2 verwechselt“, so Gerd Köhler, ärztlicher Leiter am Rehazentrum der Pensionsversicherungsanstalt im steirischen Aflenz. „Durch die veränderte Alterspyramide kommen nun immer mehr ältere Typ-1-Diabetiker in die Krankenhäuser. Dort geht man oft automatisch von Typ 2 aus, dem sogenannten Alterszucker, und achtet zu wenig auf die Insulinversorgung.“

Weil bei Typ-1-Diabetes die körpereigene Regulierung des Blutzuckerspiegels nicht funktioniert, ist die Versorgung mit dem Hormon aber lebenswichtig. Bei gesunden Menschen bildet die Bauchspeicheldrüse Insulin, es wird von den Betazellen in den winzigen Langerhans-Inseln produziert.

Bei Typ-1-Diabetes greift das eigene Immunsystem die Betazellen an, sodass immer weniger Insulin produziert wird. Die Krankheit kann in jedem Lebensalter auftreten, nicht selten schon im Kindes- und Jugendalter. Anzeichen sind laut Diabetologin Hofer extremer Durst und große Trinkmengen, sehr viel Harn (auch nächtlicher Harndrang), Gewichtsabnahme und Müdigkeit.

Pumpen statt Spritzen

Wer Typ-1-Diabetes hat, braucht eine genau angepasste Insulinzufuhr, ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung. Insulin kann auf zwei Arten zugeführt werden: über Spritzen, von denen es mehrere pro Tag braucht; oder durch viele kleine Infusionen über eine Insulinpumpe, die ständig mit dem Körper verbunden ist.

Jemand misst seinen Blutzuckerspiegel
AFP – NIKLAS HALLE’N
Die händische Messung des Blutzuckerspiegels erfordert einen Stich in die Fingerspitze

In den vergangenen Jahren sind die Pumpen sehr viel zuverlässiger geworden und so steigen immer mehr Menschen darauf um. Vorher mussten sie durch Stiche in die Fingerspitze mehrmals am Tag den Blutzucker messen und sich dann selbst eine entsprechende Dosis Insulin spritzen. Gebräuchlich sind dafür hauptsächlich Insulin-Pens – das sind Spritzen, die wie Füllfedern aussehen. Vermutlich nutzt schon mehr als die Hälfte aller Betroffenen in Österreich eine Pumpe, schätzt Köhler.

Sensor, App und Infusion

Unter den verschiedenen Arten von Pumpen erwiesen sich in einer einjährigen Praxisstudie in Italien die automatisierten Hybrid-Closed-Loop-Systeme (HCL) als überlegen. Dabei reguliert ein Algorithmus alle paar Minuten automatisch einen Teil der Insulinzufuhr über die Pumpe, basierend auf aktuellen und vergangenen Glukoseverläufen, die ein Sensor (meist am Oberarm) laufend misst.

Die Pumpe klebt am Bauch (oder ist per Schlauch mit dem Körper verbunden) und gibt das Insulin mit einer sehr dünnen, dauerhaft einliegenden Kanüle in den Körper ab. Der Mensch wird über eine Handy-App auf dem Laufenden gehalten. Mit HCL-Pumpe schwankt laut der Studie der Blutzuckerspiegel am wenigsten und bleibt damit am längsten im erwünschten Bereich. Die gefürchtete akute Unterzuckerung tritt viel seltener auf.

Doch die Algorithmen sind noch nicht perfekt: Sind die Grenzwerte zum Beispiel für Alarmtöne nicht ideal eingestellt, sorgen häufige Alarme für Stress, so Köhler gegenüber science.ORF.at. Und es brauche auch Vertrauen ins System, was nicht immer einfach ist. Je besser die Technik, desto entlastender für den Alltag – und auch für die Psyche. Vor der Automatisierung waren engmaschige Kontrolle und viel Disziplin gefordert, und das 24/7. Für resultierende Erschöpfungsphasen wurde eigens der Begriff „diabetisches Burnout“ geprägt.

Diabetisches Burnout

„Die Pumpe macht ja auch nicht alles allein. Man muss ihr trotzdem immer sagen, was man isst, wie viele Kohlehydrate das zirka sind; und auf die Bewegung achten“, so Tanja Walchhütter, die als klinische Psychologin am Rehazentrum Aflenz mit möglichen Belastungen durch Typ-1-Diabetes vertraut ist. Die Angst vor einer akuten Unterzuckerung, die lebensbedrohlich werden kann, und vor Folgeerkrankungen sei trotz der Automatisierung für manche Betroffene noch ein ständiger, unterschwelliger Begleiter.

Auch gebe es immer wieder Lebensphasen, wo Achtsamkeit und Disziplin erschlaffen – nicht nur, aber auch in der Pubertät. Das könne für Selbstvorwürfe, Ärger und Ängste sorgen.

„Manche haben auch ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht so flexibel sind; wenn sie zum Beispiel ihre Familie aufhalten, weil sie noch etwas essen müssen, bevor man aufbricht. Oder wenn man eine Bergtour geht, kann man nicht einfach sagen: ‚Ich geh jetzt noch ein paar Stunden weiter‘, sondern dann muss man mitdenken: ‚Hab ich genug zu essen, zu trinken mit?‘ Man muss immer etwas dabeihaben.“

Verantwortung, Stress und Schuldgefühle

Dieser Verlust der Spontanität wird laut Walchhütter manchmal zum Problem, ebenso die große Verantwortung – „weil man eben ständig sein eigener Arzt oder Behandler ist und Entscheidungen treffen muss, die große Auswirkungen haben können“. Manche haben auch Stress beim Vereinbaren der Krankheit mit dem Job, dem privaten Umfeld oder einer Schwangerschaft, bei der besondere Aufmerksamkeit geraten ist.

Einige Betroffene quälen sich sogar damit, dass sie irgendwie selbst schuld an ihrer Autoimmunerkrankung seien, erzählt Walchhütter. „Aber Typ 1 hat man, oder man hat es nicht.“ Anders als bei Typ 2 könne die Krankheit nicht durch Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegung verhindert werden. Doch das sei der Allgemeinheit zu wenig bekannt oder bewusst.

Fallweise werden Menschen, die sich in der Öffentlichkeit eine Spritze setzen, schief angesehen – "so als würden sie sich vielleicht Drogen spritzen. Oder die Leute meinen, dass man als Typ-1-Diabetiker gar keinen Zucker essen darf. Dabei muss man nur das, was sonst im Körper reguliert wird, eben von außen regulieren.“

Wissen, Gespür und Austausch

Am wichtigsten für einen guten Umgang mit Typ-1-Diabetes ist für Walchhütter das Wissen – über Insuline, Ernährung, die Behandlung, den Einfluss von Bewegung. Gerade weil sich alles so schnell verändert, rät sie, immer wieder Schulungen zu machen – entweder in einer Diabetes-Ambulanz eines Krankenhauses, einem Rehazentrum oder bei spezialisierten Ärztinnen und Ärzten. „Ganz streng nach Plan essen muss man zum Beispiel heute nicht mehr. Das zu wissen, erleichtert natürlich.“

Wichtig sei auch, gut zu spüren, was die Blutzuckerschwankungen individuell auslösen: Sie können sich auf die Stimmung auswirken, auf die Konzentration und das generelle Wohlgefühl. Es helfe, sich spezielle persönliche Ziele zu setzen und im privaten und beruflichen Umfeld offen mit der Krankheit umzugehen. Der Austausch in Selbsthilfegruppen gebe zudem das Bewusstsein, nicht allein zu sein.

Dass man mit Typ-1-Diabetes zu einem gesünderen Lebensstil quasi gezwungen ist, kann man auch als Vorteil sehen, findet Walchhütter. Von der Gesellschaft wünscht sich die Psychologin weniger Ratschläge und Mitleid, dafür mehr Verständnis und Rücksichtnahme. Wichtig ist ihr, festzuhalten: „Typ-1-Diabetes muss überhaupt keine Einschränkung bedeuten, wenn die Blutzuckerregulierung funktioniert – weder im Job, noch im Urlaub oder sonst wo.“

Dokumentarfilm

Der Film „The Human Trial“ (USA 2022) von Lisa Hepner begleitet über sieben Jahren hinweg ein Forschungsprojekt zur Stammzelltherapie und thematisiert auch das diabetische Burnout. Gezeigt wird er im Rahmen des Journalismusfestes Innsbruck am 12.5.2023 um 14.30 Uhr im Leokino. Anlässlich der Vorführung wird auch ein Netzwerk für Betroffene in Westösterreich gegründet.

Die Heilung – immer nur fünf Jahre weit weg

Es sei ein Running Gag in der Community – manchmal humorvoll, manchmal bitter –, dass die Heilung nur fünf Jahre entfernt ist, und das seit Jahrzehnten. Die Forschung müsse eben viel versprechen, um Sponsorgelder zu bekommen, sagt Lisa Hepner in ihrem Dokumentarfilm „The Human Trial“, in dem sie ein Forschungsprojekt begleitet.

Bauchspeicheldrüsentransplantationen gibt es seit 1966, doch das erfordert die lebenslange Unterdrückung des Immunsystems, und Spenderorgane sind rar. Für Menschen, die ohnehin eine Organtransplantation, etwa der Niere, unbedingt benötigen und von daher schon lebenslang immunsupprimiert werden müssen, sei das aber eine Möglichkeit, beschreiben die beiden Endokrinologen und Diabetologen Roger Lehmann und Jochen Seufert in einem Überblicksartikel zu den Heilungschancen von Typ-1-Diabetes in der Fachzeitschrift Die Diabetologie.

In den Bestrebungen, die Insulin produzierenden Betazellen zu regenerieren, überzeugte 2019 eine Studie: Bei beginnendem Typ-1-Diabetes konnte der Antikörper Teplizumab eine Verzögerung von zwei bis drei Jahren erzielen.

Große Hoffnung: Stammzellen

Damit der Körper selbst wieder Insulin herstellen kann, ohne ein menschliches Spenderorgan zu brauchen, wurden laut Lehmann und Seufert in den vergangenen Jahren Langerhans-Inseln von Schweinen immer mehr jenen der Menschen ähnlicher gemacht. Doch als fremdes Gewebe müssen sie vor dem Angriff des Immunsystems geschützt werden. Das funktioniert entweder durch Mikro- und Makroverkapselung oder durch lebenslange Immununterdrückung.

Mit dem Einbringen von Inseln aus Stammzellen in den Körper können Spenderorgane ganz umgangen werden. Eigene Zellen werden aber durch jenen Autoimmunangriff zerstört, der Typ-1-Diabetes ausmacht. Fremde Zellen müssen vor der gesunden Abstoßungsreaktion des Immunsystems geschützt werden.

Letzte Hürden

Lehmann und Seufert halten eine Heilung von Typ-1-Diabetes durch Stammzelltechnologie für realistisch. Relativ bald werde man es wohl schaffen, dass die Inseln aus Stammzellen gleich viel und gleich zusammengesetztes Insulin produzieren wie die Originale.

Zwei denkbare Szenarien der Heilung sind Prävention in frühen Stadien oder der Einsatz von Stammzellen, dies aber ohne lebenslange Immunsupression. Damit könnte Typ-1-Diabetes zu den ersten Krankheiten gehören, die mit Stammzellentechnologie heilbar sind. Zuvor braucht es laut Lehmann und Seufert aber noch Grundlagenforschung und die Zusammenarbeit vieler Disziplinen, vor allem um dem Kern der Erkrankung, der körpereigenen Ausschaltung der Betazellen, beizukommen.

Die Heilung bleibt also weiterhin eine Karotte vor der Nase der Betroffenen. Fünf Jahre hält Diabetologin Hofer als Zeitrahmen für zu knapp. Gefragt sind stattdessen Geduld und gute Pumpen.