Universum Wildtiere Pandemie
MDR/inonemedia/Roland Gockel
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Studien

Wie sich Wildtiere im Lockdown verhielten

Hungernde Krähen in Paris, Bärensichtungen in den Dörfern Südtirols und wachsende Jungfischbestände in der Donau: Die Covid-19-Lockdowns haben in vielen Teilen der Welt für veränderte Verhaltensweisen von Wildtieren gesorgt. Neue Studien schaffen nun mehr Klarheit, welchen Einfluss der Mensch auf die Tierwelt ausübt.

Frühjahr 2020: Mit der Ausbreitung des Coronavirus und den daraus folgenden Ausgangssperren musste nahezu die Hälfte der Erdbevölkerung für Wochen oder gar Monate zuhause bleiben. Ein neuer wissenschaftlicher Fachbegriff für die globale Verringerung der menschlichen Aktivität etablierte sich – die Anthropause. Weltweit nutzten Forscherinnen und Forscher diese Zeit, um das Verhalten von Tieren während der Lockdowns zu studieren. Die Ergebnisse sind beachtlich.

Städtische Vogelarten bekamen die Auswirkungen sofort zu spüren. Untersuchungen des französischen Ornithologen Frédéric Jiguet zeigen, dass für Krähen in Paris die Futterbeschaffung während der Lockdown-Wochen zur großen Herausforderung wurde. Denn zu ihren Hauptnahrungsquellen zählen Essensreste, vor allem Fastfood, die sie sich aus den Mülleimern holen. Aufgrund der Schließungen von Parks und Restaurants blieben diese jedoch leer – zum Leidwesen der Krähen.

Krähen in Paris leiden unter der Abwesenheit der Menschen im Lockdown. Ganz plötzlich versiegen ihre gewohnten Nahrungsquellen: Die Mülleimer, aus denen Krähen normalerweise fressen, bleiben leer.
MDR/inonemedia/Matthias Jim Günther
Krähen in Paris litten unter der Abwesenheit der Menschen im Lockdown, weil ihre gewohnten Nahrungsquellen versiegten

„Die Folge war ein sehr schlechter Bruterfolg und auch die Jungvögel hatten es schwer“, so Jiguet. In den Folgemonaten wurden deutlich weniger Exemplare gezählt. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Rotschwingenstare in Kapstadt, wie eine Studie zeigt. Der untersuchten Population auf dem Campus der Universität Kapstadt fehlte es ebenso an Fastfood-Abfällen. Sie wurden deutlich schlanker, und verloren im Durchschnitt vier Gramm an Gewicht, was in etwa drei Prozent der Körpermasse der kleinen Vögel ausmacht.

Hohe Sterblichkeit bei Graugansküken

Die halbzahme Grauganspopulation, Nachfahren der Graugänse des Zoologen Konrad Lorenz, war während dem ersten Lockdown einem sehr starken Fraßdruck gegenüber Füchsen ausgesetzt. Gab es in den Jahren vor der Coronavirus-Pandemie unter dem Nachwuchs eine Sterblichkeit von rund 50 Prozent, stieg diese während der ersten Lockdown-Wochen auf 90 Prozent an.

Als Grund für diese Übersterblichkeit lässt sich die Abwesenheit des Menschen vermuten. Denn jeden Tag machten sich die Graugänse auf den Weg in den Wildpark Cumberland. Was zunächst nach einem Standortwechsel aufgrund des Futterangebotes aussah, entwickelte sich, durch Verhaltensforschung, als ein Schutzmechanismus der Gänse. Denn dort, wo der Mensch war, fehlten die Füchse. Mit dem Schließen des Parks zu Beginn der Pandemie ging dieser Schutz jedoch verloren. Die noch flugunfähigen Küken wurden zur leichten Beute der Füchse.

Doch es dauerte nicht lange bis sich wieder das alte Gleichgewicht einstellte, wie Sonia Kleindorfer, Leiterin der Core Facility KLF für Verhaltens- und Kognitionsbiologie, berichtet: „Mit dem Ende des Lockdowns und dem Öffnen des Parks nutzten die Gänse dies sofort wieder für sich aus. Schon einen Tag nach dem Erscheinen der ersten Autos waren auch die Gänse wieder zurück im Park.“

Mehr Jungfische in Österreichs Donau

Eine gegenteilige Wirkung des Menschen konnte während der Ausgangsbeschränkungen an den Donaufischbeständen festgestellt werden. Denn eine erst kürzlich veröffentlichte Studie (PDF), die vom ober- und niederösterreichischen Fischereiverband in Auftrag gegeben wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Populationen von Jungfischen während den Pandemiejahren 2020 und 2021 an der österreichischen Donau erholen und neue Habitate für sich erobern konnten. Als Hauptgrund hierfür wird ein Rückgang des schifffahrtsbedingten Wellenschlages genannt. So wurden im Juni 2020 an der Stauwurzel des Kraftwerkes Aschach bei Engelhartszell sechsmal so viele Jungfische wie im Vergleich zum Referenzjahr 2022.

Doch durch das erneute Aufkommen des Schiffverkehrs nach der Pandemie, kehrt sich dieser Trend rasch wieder um. Für eine nachhaltige Änderung brauche es beispielsweise eine räumliche Einschränkung der Wellenschlagbelastung oder eine Geschwindigkeitsbeschränkung, wie der Studie zudem zu entnehmen ist.

Sendungshinweis

„Universum“ zeigt die Doku „Plötzlich Stille – Wildtiere in der Pandemie“ am 16.5., 20.15 Uhr, in ORF2.

Bären auf Talgang in Südtirol

Die Lockdowns in Italien waren besonders strikt. Es galten vielerorts derart strenge Ausgangsbestimmungen, dass Wälder und Dörfer vollkommen leer blieben. In den Dolomiten führte dies dazu, dass sich die Bären wieder weiter vom Berg herabwagten und auch menschliche Siedlungen kreuzten, um auf die andere Talseite zu gelangen. Was vielen Menschen das Fürchten lehrte, sieht der Wildtierbiologe Andrea Coradini dennoch als ganz wichtiges Ereignis.

„Ohne genetische Durchmischung wird eine langfristige Erhaltung der Art schwierig. Das gefährdet auf lange Sicht die Alpenpopulation“. Für ihn sei es zudem wichtig zu verstehen, dass sich in den auf ersten Blick „grünen Tälern“ viele Barrieren für Bären befinden, wie etwa die Landwirtschaft und auch das Straßennetz.

Keine Ruhe für Wild in Österreich

Anders war die Situation während der Lockdowns in weiten Teilen Österreichs. Denn dort kam es zu einer erhöhten Freizeitaktivität in den Wald- und Berglandschaften, was zum vermehrten Aufscheuchen von Wildtieren führte. Der Dachverband Jagd Österreich bestätigt Beobachtungen, dass Gämse aber auch anderes Wild stark unter Tourengehern und Tourengeherinnen litten, die sich abseits der Wege aufhielten.

Durch das ungewollte Aufhetzen der Tiere können, gerade in den Wintermonaten, Erschöpfungszustände eintreten, die bis zum Tod führen. Zudem sei auch das Rehwild buchstäblich heimlicher geworden, komme also nur mehr bei Dunkelheit aus dem Wald heraus. Anstatt auf den freien Flächen zu fressen, verbeiße es sich nun an den Trieben im Wald – zum Ärger vieler Waldbesitzer.

Hirsche und Rehe in Italien haben in den Wochen des Lockdowns ihren Bewegungsradius erweitert
MDR/inonemedia/Matthias Jim Günther
Hirsche und Rehe in Italien erweiterten in den Wochen des Lockdowns ihren Bewegungsradius

Weniger Straßenverkehr führte zugleich aber in vielen europäischen Ländern zu einer starken Verringerung der Verkehrsfallwildzahlen, wie eine Studie belegt. So wurde der stärkste Rückgang, mit mehr als 40 Prozent, in den ersten Wochen des Lockdowns in Ländern wie Estland, Spanien und Tschechien festgestellt.

Diese Erkenntnisse sind ein erster Eindruck davon, wie weit der Mensch das Leben von Wildtieren beeinflusst und welche Abhängigkeiten entstehen können. Forscherinnen und Forscher weltweit sind gerade dabei viele weitere Ergebnisse zu dieser Thematik auszuwerten. Was die Coronavirus-Pandemie aber wohl allemal gezeigt hat, ist, dass schon kleinste Veränderungen in unserem Verhalten direkten Einfluss auf das Leben von Tieren haben können.