Baby liegt auf dem Bauch, Mund geöffnet
FrankBoston/stock.adobe.com
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Sprachentwicklung

Männliche Babys plaudern mehr

Schon im Alter von ein paar Monaten beginnen Babys vor sich hinzuplappern. Dabei sind nicht alle gleichermaßen „gesprächig“. Eine Studie an Tausenden Kindern belegt nun einen überraschenden Unterschied zwischen den Geschlechtern: Kleine Buben produzieren im ersten Lebensjahr deutlich mehr sprachähnliche Äußerungen als Mädchen.

Babys quietschen, gurgeln und verbinden bereits einzelne Laute zu Silben. Im Lauf des ersten Lebensjahres werden diese Äußerungen immer sprachähnlicher. Aus den sogenannten Protophonen werden später Wörter, Phrasen und ganze Sätze. Nicht alle Kinder betreiben dieses Sprachtraining im selben Ausmaß, manche plappern mehr, andere weniger.

Im Rahmen einer früheren Studie hat ein Team um den Sprachforscher D. Kimbrough Oller von der University Memphis dabei etwas Überraschendes festgestellt: Männliche Babys sind anscheinend redseliger als weibliche. Üblicherweise nehme man nämlich an, dass Frauen mehr reden als Männer beziehungsweise etwas sprachbegabter sind, so Oller in einer Aussendung seiner Universität. Insgesamt seien diese Unterschiede – wenn überhaupt messbar – aber sehr klein und hängen von vielen Umständen ab, schreibt das Team in seiner aktuellen nun im Fachmagazin „iScience“ erschienenen Arbeit.

Ein Zehntel mehr Geplapper

Untersuchungen zeigen jedenfalls, dass beide Geschlechter sehr viel reden, an die 16.000 Wörter am Tag. Schon Babys in der Plapperphase sind recht „gesprächig“, täglich produzieren sie Tausende Protophone. Dass es dabei tatsächlich einen Geschlechterunterschied gibt, hat die Analyse eines deutlich größeren Datensatz nun bestätigt.

Oller und Co. zeichneten die Äußerungen von fast 6.000 Kindern aus verschiedenen US-Bundesstaaten in den ersten zwei Lebensjahren automatisiert auf. Am Ende waren das gut 450.000 Stunden an Material – laut Oller die bisher größte Datensammlung zur Sprachentwicklung am Lebensanfang. Bei der automatisierten Analyse wurden alle nicht sprachähnlichen Lautäußerungen ausgeschlossen, also etwa Weinen, Lachen oder Schluckauf.

Grafik zur Gesprächigkeit von Buben und Mädchen in den ersten zwei Lebensjahren
iScience/Oller et al.

Es zeigte sich, dass Buben im ersten Jahre zehn Prozent mehr Protophone von sich gaben als Mädchen. Im zweiten Jahre drehte sich das Verhältnis allerdings um. Am Ende „plauderten“ Mädchen um sieben Prozent mehr, mittlerweile waren natürlich schon echte sprachliche Elemente enthalten.

Plappern als Überlebensvorteil

Aber warum plappern männliche Kinder ausgerechnet im ersten Jahr deutlich mehr? Laut den Forscherinnen und Forscher gibt es einige denkbare Erklärungen. Man wisse, dass Buben generell körperlich aktiver sind, die sprachliche Aktivität könnte das widerspiegeln. Dagegen spreche, dass diese männliche „Redseligkeit“ ab dem 16. Lebensmonat deutlich zurückgeht, das körperliche Aktivitätslevel hingegen bleibt hoch. Es könnte auch sein, dass Eltern und andere Betreuungspersonen mehr mit dem männlichen Nachwuchs sprechen. Die Daten zeigen: Das Gegenteil ist der Fall, mit Mädchen reden sie in der Regel mehr.

Eine dritte – von den Forschern und Forscherinnen bevorzugte – Erklärung hat mit der fernen Vergangenheit zu tun. Das meist zufriedene Plappern sei eine Art evolutionäres Fitnesssignal, das dem Nachwuchs einen Überlebensvorteil beschert. Die Babys zeigen damit, dass es ihnen gut geht und es sich lohnt, sie weiter zu versorgen. Das erste Lebensjahr sei nämlich eine extrem kritische Phase, die Sterblichkeit deutlich höher als in den Folgejahren und Buben dabei besonders gefährdet. Das zeigen auch aktuelle Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Buben sind daher vermutlich unter einem sehr hohen Selektionsdruck“, erklärt Oller. Durch die Redseligkeit in dieser heiklen Zeit sichern sie sich die Zuwendung der Betreuungspersonen, so die These des Teams.

Natürliche Sprachbegabung

Als die frühen Menschen beziehungsweise ihre letzten Vorfahren in immer größeren Gruppen lebten, konnte der Nachwuchs mit seinem Geplapper Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das war überlebenswichtig, sind doch Menschenkinder besonders lange auf die Fürsorge von Erwachsenen angewiesen. Denn erst viel später als die allermeisten Tiere können sie ein selbstständiges Leben führen.

Laut den Forscherinnen und Forschern spricht einiges dafür, dass sich in diesem Kontext die menschliche Neigung zur spontanen Lautäußerung überhaupt erst entwickelt hat, ohne die es die menschliche Sprache womöglich gar nicht gäbe. Auch für die individuelle Sprachentwicklung sei sie entscheidend. Diese natürliche sprachliche Begabung lasse sich schon bei Babys sehr gut beobachten: Sobald sie atmen können, benützen sie ihre Stimme. Ohne Grund und sogar, wenn niemand in der Nähe ist, beginnen sie zu plappern, spielen mit den Lauten und genießen das offensichtlich sehr.