Schmelzendes Meereis in der Arktis

Arktis vielleicht schon in den 2030er Jahren eisfrei

Das Eis in der Arktis schmilzt schneller, als bisherige Prognosen nahelegen. Wie eine aktuelle Studie zeigt, könnte der arktische Ozean schon in wenigen Jahren zumindest in den Sommermonaten eisfrei sein. Auch eine Reduktion der Treibhausgasemissionen kann das nicht mehr verhindern. Für Klimaschutz ist es laut Experten trotzdem nicht zu spät.

Die Arktis gerät durch die steigenden Temperaturen immer stärker unter Druck. Verglichen mit anderen Regionen der Erde erwärmt sich das nördliche Polargebiet rund viermal so schnell. „Darum haben wir dort in den vergangenen Jahren auch einen gigantischen Eisverlust beobachtet“, erklärt der Klimaforscher Dirk Notz von der Universität Hamburg gegenüber science.ORF.at.

Vor allem in den Sommermonaten, etwa im September, zeige sich deutlich, dass auf dem arktischen Meer immer weniger Eis schwimmt. „Vom gesamten Eisvolumen her haben wir in den letzten drei Jahrzehnten im Sommer etwa drei Viertel des arktischen Packeises verloren“, so Notz.

Prognosen bisher ungenau

Der Weltklimarat (IPCC) sagte eine im Sommer eisfreie Arktis bis Mitte des Jahrhunderts vorher – das aber nur bei mittlerem bis hohem Treibausgasausstoß. In dem dafür verwendeten Klimamodell und auch anderen bisherigen Prognoseversuchen wurde die tatsächliche Eisschmelze in der Arktis laut Notz aber meist deutlich unterschätzt.

Daher brauche es exaktere Klimamodelle, um die Zukunft des arktischen Meereises und die Auswirkungen der Eisschmelze so genau wie möglich vorhersagen zu können. Zusammen mit einem internationalen Forschungsteam entwickelte der Klimaforscher daher ein neues Modell, in das neben Satellitendaten aus rund vierzig Jahren auch Informationen aus älteren Klimamodellen und Vergleiche mit dem tatsächlichen Eisverlust der vergangenen Jahre einflossen. Die Forscherinnen und Forscher präsentieren das Ergebnis ihrer Modellrechnung aktuell im Fachjournal „Nature Communications“.

In wenigen Jahren eisfrei

Mitte September erreicht die Ausdehnung des arktischen Meereises normalerweise ihr sommerliches Minimum. Mit Hilfe des neuen Klimamodells kamen die Forscherinnen und Forscher zu dem Ergebnis, dass der erste meereisfreie September in der Arktis wahrscheinlich nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. „Wir haben herausgefunden, dass der Arktische Ozean zum ersten Mal noch vor 2050 eisfrei sein dürfte“, so Notz. Abhängig von der menschenverursachten Emissionsmenge der kommenden Jahre, könnte es sogar schon 2030 so weit sein.

Dass das Eis auf dem arktischen Meer früher oder später verschwindet, ist laut Notz jedenfalls nicht mehr zu verhindern. „Was das auch ein bisschen Deprimierende an unserer neuen Erkenntnis ist, ist, dass wir zeigen konnten, dass das in jedem untersuchten Klimaszenario passiert. Also auch in einem, bei dem wir die weltweiten Klimaschutzanstrengungen wirklich maximieren.“ Das Eis schmilzt also weiter, egal, wie sehr die Treibhausgasemissionen künftig reduziert werden.

Negative Auswirkungen auf Ökosysteme

Nach den warmen Sommermonaten kommt das Packeis laut Notz zwar immer wieder zurück, und das wahrscheinlich auch noch in den kommenden Jahrzehnten – die eisfreie Zeit könnte sich aber trotzdem negativ auf einige Ökosysteme der Arktis auswirken. „Alle Organismen, die sich daran angepasst haben, dass das ganze Jahr über Packeis auf dem arktischen Ozean vorhanden ist, bekommen natürlich große Schwierigkeiten“, so Notz, der hinzufügt: „Auch wenn das Eis nur ein einziges Jahr fehlt, weil einfach der Lebensraum vieler Tiere verschwindet.“

Anpassung überlebenswichtig

Die Forscherinnen und Forscher folgern aus ihrer Prognose, dass unabhängig von den menschenverursachten Emissionsmengen in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten ein noch nie da gewesenes eisfreies arktisches Klima entsteht. Das könnte mitunter auch gewisse Vorteile mit sich bringen, denn durch das schmelzende Eis im Arktischen Ozean könnten klimafreundlichere Routen für die Schifffahrt entstehen.

Wie sich die Eisschmelze aber auf die Umwelt und die in der Arktis beheimateten Tiere auswirkt, sei aktuell noch nicht ausreichend untersucht. „Wir wissen einfach noch zu wenig darüber, wie die arktischen Ökosysteme auf das eisfreie Meer reagieren werden“, so Notz.

Manchen Tieren könnte eine Anpassung wahrscheinlich gelingen – etwa den Eisbären. „Die Bären werden in großen Bereichen der Arktis wahrscheinlich irgendwie durch diese eisfreie Zeit kommen, indem sie sich ans Land zurückziehen und sich dort zum Beispiel durch Müllhalden wühlen. Für andere Teile des arktischen Ökosystems mag das aber möglicherweise nicht gelten“, stellt der Klimaforscher klar.

Klimaschutz trotzdem unabdingbar

Das sommerliche Abschmelzen des arktischen Packeises kann zwar nicht mehr verhindert werden, laut Notz ist es aber trotzdem nicht zu spät, Klimaschutz zu betreiben. Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen könnte nach wie vor dabei helfen, die Häufigkeit und Dauer der eisfreien Zeit in Zukunft zu senken. Wichtig sei nun aber auch, sich in naher Zukunft auf eine saisonal eisfreie Arktis einzustellen und entsprechend zu planen.