Ein zweigeteiltes Frauengesicht, links eine junge, rechts eine alte Frau, dahinter Viren und Immunzellen
University of Texas Health Science Center
University of Texas Health Science Center
Immunsystem

Warum manche Menschen seltener erkranken

Manche Menschen werden häufig krank, andere wirken bis ins hohe Alter geradezu unverwüstlich. Die Ursachen dafür sind nicht restlos geklärt. US-Fachleute haben nun zwei einfache Messgrößen für die individuelle Widerstandsfähigkeit des Immunsystems vorgestellt – sie könnten auch erklären, warum Frauen länger leben.

Die Gruppe um Sunil Ahuja vom Health Science Center der Universität Texas hat im Fachmagazin „Nature Communications“ eine Vielzahl von Studien an Mensch und Tier zusammengeführt, um ihr Konzept der Immunresilienz zu entwickeln. Mit nur zwei Messgrößen konnte sie die Gesundheitsverläufe von fast 50.000 Menschen erklären.

Das ungleiche Infektionsgeschehen unter anderem bei HIV/AIDS habe der Medizin schon lang Rätsel aufgegeben, erzählt Ahuja im Gespräch mit science.ORF.at: „Wenn HIV-positive Frauen Kinder bekommen haben, bevor es die antiretroviralen Therapien gab, haben sich die Kinder angesteckt – aber nur zehn bis 30 Prozent der Kinder. Ebenso bei Menschen mit Bluterkrankheit: Viele bekamen anfangs leider HIV-verunreinigte Produkte, aber ein Großteil von ihnen hat sich nicht infiziert. Und auch nach einer Infektion mit HIV schritt die Krankheit sehr unterschiedlich voran: Manchen ging es sehr gut, andere starben ohne Therapie sehr schnell. Bei Covid-19 ist es dasselbe.“

Alter reicht nicht als Erklärung

Zwar bedeute ein höheres Alter statistisch gesehen ein größeres Risiko für schwere Covid-Verläufe, doch habe es auch viele Fälle sehr alter Menschen gegeben, die die Erkrankung sehr gut überstanden hätten, während junge Menschen ohne erkennbare Risikofaktoren verstorben seien.

Diese untypischen Verläufe lassen sich nicht durch das Alter oder die Genetik allein erklären, sagt der Professor für Medizin, Mikrobiologie, Immunologie und Biochemie, der hauptsächlich zu HIV/AIDS, Allergien, Autoimmunerkrankungen und Phänomenen des Alterns forscht. Letztlich kam das Team auf eine Kombination zweier Faktoren.

Faktor 1: CD4/CD8-Verhältnis

Die erste der beiden Messgrößen ist nicht neu. Sie wurde bisher unter anderem eingesetzt, um bei HIV-Infizierten zu messen, wie sich die Abwehrkraft über die Zeit hinweg entwickelt. Es handelt sich um das Verhältnis zweier Typen von Immunzellen: den T-Helferzellen (T-Lymphozyten) vom Typ CD4+ und den zytotoxischen T-Zellen (ehemals T-Killerzellen) vom Typ CD8+. Eine bestimmte Mindestmenge an CD4+-Zellen und ein relativer Überschuss an CD8+-Zellen im Vergleich dazu ergibt laut der Gruppe um Ahuja den idealen Immunstatus.

Faktor 2: Aktivitätsmuster von Genen

In der Covid-19-Pandemie wurden bestimmte Aktivitätsmuster von Genen und der von ihnen produzierten Proteine identifiziert: Manche dominierten bei Menschen, die rasch gesund oder gar nicht krank wurden; andere fanden sich in großen Mengen bei jenen, die schwere Verläufe hatten und teilweise auch starben. Wer vom Ersten viel, vom Zweiten wenig hat, kann laut Ahuja Infekte und Entzündungen besser bewältigen und hat auch eine höhere Chance, lang zu leben.

Eine Skala der Immunresilienz

In der Folge hat das Team vier Stufen von Immungesundheit entwickelt: die Immune Health Grades IHG-I bis -IV. Diese Werte sind laut Ahuja universell. Sie lassen sich bei allen Menschen, bei nichtmenschlichen Primaten und auch bei Mäusen messen. Die durchschnittliche Immungesundheit sei in Bevölkerungen, die Infektionen dauerhaft ausgesetzt seien, schlechter; so etwa in Entwicklungsländern, wo die Wurmerkrankung Bilharziose sehr verbreitet sei. Deshalb konnte HIV in Teilen Afrikas mehr Schaden anrichten als etwa in Europa, sagt Ahuja.

Konstitution kann sich ändern

Wenn man erkranke, bedeute das zunächst, dass die Immunresilienz gesunken sei, so Ahuja. Allerdings stellen Menschen, die vorher gute Werte hatten, ihre Abwehrkraft in der Regel schnell wieder her. Manche jedoch genesen zum Beispiel nach einer Influenza zwar von den Symptomen, doch die Werte der Immunresilienz erreichen nicht das frühere Niveau. „Wenn man sie sechs Monate später untersucht, ist bei manchen Menschen ein kleines Defizit zurückgeblieben. Wenn es diese Menschen das zweite Mal erwischt, sind sie anfälliger für eine schwerere Infektion.“

Bewegung und ausreichend Schlaf

Ajuhas Team empfiehlt ein Monitoring der Immunresilienz. In ihrem Institut werde das bei Risikopatientinnen und -patienten und in Verdachtsfällen bereits gemacht. Eine Untersuchung kostet laut Ahuja rund 100 Dollar. Bei geringer Immunresilienz könne man dann auf Ursachensuche gehen und gegensteuern.

Welche Maßnahmen den Immune Health Grade heben können, dazu hat Ahuja noch keine systematische Untersuchung durchgeführt. Manche der untersuchten Datensätze zeigen aber, dass insbesondere tägliche Bewegung die Werte positiv beeinflusst. Bereits untermauert ist, dass die Immunzellen von ausreichend Schlaf profitieren, zuletzt etwa in einer Studie der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. In einer der von Ahuja analysierten Studien zeigte sich außerdem, dass im REM-Schlaf die positiven Gensignaturen stärker ausgeprägt wurden.

Infekt – Risiko oder Chance?

„Ich weiß nicht, ob ich resilient bin, wenn ich nie angegriffen werde“, sagt Ahuja im Gespräch mit science.ORF.at. Ob ein Infekt für die Immungesundheit längerfristig hilfreich oder schädlich sei, hänge davon ab, wie angemessen das Immunsystem ihn beantworten könne: „Es braucht das richtige Ausmaß am richtigen Ort zur richtigen Zeit und von der richtigen Art.“

Warum Frauen länger leben

Die gesundheitsförderlichen Gensignaturen wurden übrigens vermehrt bei Frauen gefunden und hängen auch mit langem Leben zusammen. Daher könne das Konzept der Immunresilienz auch erklären, warum Frauen statistisch gesehen länger leben als Männer, sagt Ahuja. Er vermutet dahinter einen evolutionsbiologischen Grund: Eine gute Immunresistenz von Frauen fördere in der Schwangerschaft die Gesundheit der Föten und damit die Arterhaltung. Dass der hormonelle Unterschied zwischen den Geschlechtern allein für die Langlebigkeit der Frauen verantwortlich sei, werde durch die aktuellen Ergebnisse unwahrscheinlicher, sagt Ahuja; denn die besseren Immunitätswerte halten über die Menopause hinweg an.

Die Gruppe schließt nicht aus, dass noch weitere Faktoren den Verlauf der Immunresilienz über die Lebensspanne hinweg beeinflussen können. In Frage kommen für sie unter anderem die Rückbildung des Thymus und das Sinken der Stammzellproduktion.