Wittgenstein-Preisträger und Quantenphysiker Hans J. Briegel
FWF/Dominik Pfeifer
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Auszeichnung

Wittgenstein-Preis für Quantenphysiker Briegel

Der mit 1,5 Millionen Euro höchstdotierte Wissenschaftspreis Österreichs, der Wittgenstein-Preis des Wissenschaftsfonds FWF, geht 2023 an den Quantenphysiker Hans Jürgen Briegel von der Universität Innsbruck. Mit dem Preisgeld möchte er seine Forschung zu Quantencomputern und künstlicher Intelligenz ausbauen – eine Technologie, die Alltag und Forschung revolutionieren werde.

Hans Jürgen Briegel zähle zu den „aktivsten und kreativsten Forschenden“ des Landes und zu den „Pionieren im Bereich Quanteninformatik und -technologie“, heißt es in der Begründung der Jury des Wittgenstein-Preises, die sich wie jedes Jahr aus internationalen Forschenden zusammensetzt. Zu den Pionierleistungen Briegels zählt etwa das Konzept des „Einweg-Quantencomputers“, das der heute 60-jährige Quantenphysiker 2001 noch an der Universität München mit dem deutschen Physiker Robert Raussendorf entwickelte – bis heute eine der meistzitierten Arbeiten im Bereich der Quantenphysik.

Quantenverschränkung als Treibstoff

Der Einweg-Quantencomputer sei ein Computer, bei dem die Verschränkung eine zentrale Ressource ist, sagt Briegel im Interview mit science.ORF.at. „Die Verschränkung ist sozusagen ein Treibstoff, um die Rechnung durchzuführen“, so Briegel weiter. Viele miteinander quantenmechanisch verschränkte Teilchen würden nach und nach gemessen und deren Verschränkung dabei zerstört. Daher rührt die Bezeichnung des „Einweg-Quantencomputers“.

Wittgenstein-Preisträger Quantenphysiker Hans J. Briegel
APA/EXPA/JOHANN GRODER

Verschränkung ist eine Schlüsseleigenschaft der Quantentheorie. Handelt es sich um ein verschränktes System, dann bestimmt ein Teilchen, ein Photon etwa, den Zustand eines anderen, unabhängig davon, wie weit die einzelnen Teilchen voneinander entfernt sind. Quantencomputer nutzen dieses Phänomen, um bestimmte Rechenaufgaben hochparallel zu lösen. Das verspricht höhere Geschwindigkeit und höhere Rechenleistungen.

„Lösungsweg interessanter als Antwort selbst“

Die ersten Quantencomputer werden in naher Zukunft marktreif sein. Briegel ist überzeugt, dass sie – wie Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) – nicht nur einen Einfluss auf unseren Alltag, sondern auch die Forschung selbst haben werden. Genau an dieser Schnittstelle forscht der diesjährige Wittgenstein-Preisträger derzeit an der Universität Innsbruck, an die er vor 20 Jahren berufen wurde. „Da geht es einerseits um die Stabilisierung von komplexen Systemen, wie zum Beispiel eines Quantencomputers selbst, andererseits geht es um den Aufbau und die Kontrolle von sicheren Quantenkommunikationsnetzwerken oder das Design von Quantenexperimenten“, so Briegel.

Der Quantenphysiker und studierte Philosoph will hier transparente KI-Systeme entwickeln, um neue Möglichkeiten in der Grundlagenforschung zu eröffnen. „Für uns in der Wissenschaft ist der Lösungsweg oft interessanter als die Antwort selbst“, erklärt Briegel. Nur so könnten wir etwas über die Welt und die Systeme, die wir untersuchen, lernen. „Wir wollen verstehen, was einem Phänomen zugrunde liegt, und kein Orakel, das nur Antworten liefert“, so der Quantenphysiker. Genau diesen Erkenntnisprozess soll die Quantenphysik im Zusammenspiel mit KI mittels Automatisierung beschleunigen.

Natürliche Nähe von Quantenphysik und Philosophie

Dass die quantenphysikalische Forschung naturwissenschaftliche und philosophische Fragestellungen verbindet, habe Briegel seit dem Studium an der Universität München für dieses Fach begeistert. „In der Quantenpyhsik spielen die Forschenden, also die Menschen, die Experimente durchführen, eine wichtige Rolle, sie sind Teil der Theorie“, so Briegel. Man müsse sich stets auch mit den Beobachtenden auseinandersetzen. „Wir sind selbst auch physikalische Systeme, wir können uns selbst auch mit diesen Theorien beschreiben“, so der Quantenphysiker weiter. Deswegen gebe es eine natürliche Nähe zwischen der Quantenphysik und der Philosophie, erklärt Briegel.

Wittgenstein-Preisträger Quantenphysiker Hans J. Briegel
APA/EXPA/JOHANN GRODER

160 wissenschaftliche Arbeiten

Zeitgleich zu seiner Berufung nach Innsbruck wurde er zu einem der Direktoren am neu gegründeten Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck bestellt und bildete – als jüngstes Mitglied – gemeinsam mit Peter Zoller, Rainer Blatt und Rudolf Grimm das kongeniale Quantenquartett an der Spitze dieser Einrichtung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). 2014 legte Briegel seine Funktion am IQOQI zurück und übersiedelte mit seiner Arbeitsgruppe an das Institut für Theoretische Physik der Uni Innsbruck.

Insgesamt hat der Physiker rund 160 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, die über 17.000-mal zitiert wurden. Seine erfolgreiche Forschung will Briegel nun mit dem Preisgeld von 1,5 Millionen Euro, das vom Wissenschaftsministerium zur Verfügung gestellt wird, fortsetzen. Jetzt habe er die Möglichkeit, intensiver an der Entwicklung jener transparenten, erklärbaren KI zu arbeiten, um neue Anwendungen in der Grundlagenforschung zu finden.

Der Vater von zwei Kindern ist in seiner Freizeit gerne in den Bergen unterwegs. Er liebt klassische Musik und Jazz, wobei er ein Fan von Keith Jarrett ist.

START-Preise an aufstrebende Forschende

Neben dem Wittgenstein-Preis an Briegel vergab der FWF am Donnerstag auch acht mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotierte START-Preise an aufstrebende Forschende, die so die Möglichkeit bekommen sollen, ihre Forschung langfristig abzusichern. Zu den Ausgezeichneten zählen in diesem Jahr etwa die Mikrobiologin Barbara Bayer, die den Einfluss von Mikroorganismen im Wasser auf das Klima am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien untersucht, und die Zell- und Entwicklungsbiologin Stephanie J. Ellis, die an den Max Perutz Labs der Universität Wien erforscht, wie Hautzellen interagieren und warum bestimmte Hautzellen von ihren Nachbarinnen „aussortiert“ werden.

Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften erhält der Sozioökonom Stefan Pühringer vom Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Universität Linz einen FWF-START-Preis – er forscht zu neuen Wirtschaftsmodellen, die in eine nachhaltige Zukunft führen sollen. Im Bereich der Psychologie wurde J. Lukas Thürmer vom Institut für Psychologie der Universität Salzburg ausgezeichnet, der mit seinem Preisgeld untersuchen will, wie Gruppen gemeinsam Probleme lösen und Entscheidungen treffen und wie Gruppendynamik funktioniert.