Probenentnahme auf einem der 38 Seen
Veronica Nava
Veronica Nava
Mikroplastik

Seen zum Teil stärker belastet als Ozeane

Plastikmüll ist heute fast allgegenwärtig. In den Ozeanen gibt es besonders viel davon, aber auch in Süßwasserseen findet sich mehr und mehr kleinteiliges Mikroplastik. Ein internationales Forschungsteam mit österreichischer Beteiligung konnte nun aufzeigen, dass manche Seen sogar stärker belastet sind als die Meere.

Dass die Ozeane durch Kunststoffabfälle zusehends verschmutzt werden, ist traurige Tatsache und wissenschaftlich bereits gut belegt. Umfangreiche Untersuchungen und globale Angaben zur Plastikmenge in Süßgewässern fehlten bisher allerdings, kritisiert die Limnologin Katrin Attermeyer vom WasserCluster Lunz und der Universität Wien. Wie viel Plastikmüll in den Seen und Stauseen weltweit tatsächlich enthalten ist, wurde laut der Expertin bisher einerseits noch zu selten, andererseits aber auch meist in einem zu kleinen geografischen Umfang erforscht.

Attermeyer war nun aber Teil eines internationalen Forschungsteams, das laut eigenen Angaben die erste global repräsentative und standardisierte Untersuchung von Seen und Stauseen durchgeführt hat. Die Forscherinnen und Forscher um Barbara Leoni und Veronica Nava von der Universität Mailand-Bicocca (Italien) sammelten dafür Proben aus 38 Seen in 23 Ländern. Das Ergebnis präsentieren sie aktuell im Fachjournal „Nature“.

Wenige Seen, große Vielfalt

Bei der Auswahl der Seen und Stauseen achteten die Forscherinnen und Forscher darauf, eine große Zahl an hydromorphologischen Faktoren wie zum Beispiel unterschiedliche Flächen, Tiefen, Uferlängen und Verweilzeiten des Wassers abzudecken. Außerdem werden Seen unterschiedlich stark von Menschen genutzt – Faktoren wie das Vorhandensein von Kläranlagen und die Bevölkerungsdichte in der Region wurden bei der Auswahl ebenfalls berücksichtigt. Die untersuchten Seen waren zudem geografisch weit gestreut.

Mit Hilfe von an Booten angebrachten Schleppnetzen entnahm das Team Proben von der Wasseroberfläche der 38 Seen – das Sammeln der Plastikteilchen lief dabei nach einem einheitlichen Protokoll ab, um die Ergebnisse anschließend bestmöglich vergleichen zu können. Um die Untersuchung zusätzlich zu standardisieren, analysierte ein einziges Labor in Italien alle gesammelten Proben.

Probenentnahme auf dem Lunzer See
Katrin Attermeyer
Probenentnahme am Lunzer See im Niederösterreichischen Mostviertel

Bei den unzähligen Seen auf der Welt sei es aber natürlich schwierig, allgemeingültige Aussagen über ihre Wasserqualität und andere Faktoren zu treffen. „Meiner Meinung nach können wir jetzt mit Hilfe unserer sehr diversen, aber standardisierten Daten erste aussagekräftige Deutungen anstreben“, erklärt Attermeyer.

Plastikkonzentration sehr unterschiedlich

Das Ergebnis der Untersuchung war laut der Gewässerforscherin ernüchternd. Plastikmüll fand sich in allen untersuchten Seen – sogar in den Gewässern, die auf den ersten Blick natürlich und eigentlich unberührt von menschlichen Einflüssen zu sein schienen. Fast 94 Prozent des gefundenen Plastikmülls kam in den Seen als Mikroplastik vor, bei dem die Partikel und Fasern kleiner als fünf Millimeter sind.

Sichtbare Plastikteilchen aus Seen
Veronica Nava
Neben wenigen großen Plastikteilchen gab es in den Seen vor allem Mikroplastik

Wie stark die Plastikverschmutzung ist, unterschied sich von See zu See jedoch stark. Besonders anfällig für Mikroplastik erwiesen sich zwei Gewässertypen: Einerseits Seen in dicht besiedelten und urbanisierten Gebieten und andererseits flächenmäßig große Seen, die vermutlich wegen ihres großen Einzugsgebiets und der langen Wasserverweildauer besonders belastet sind. „In den großen Seen bleibt der gleiche Liter Wasser oft jahrelang erhalten“, erklärt Attermeyer. Im US-amerikanischen Lake Tahoe verweile das Wasser rund 650 Jahre. Zum Vergleich: Der ebenfalls in die Untersuchung eingeflossene Lunzer See im niederösterreichischen Mostviertel wechselt sein gesamtes Wasservolumen rund dreimal jährlich.

Lunzer See vergleichsweise unbelastet

Der österreichische See schnitt im internationalen Vergleich unter anderem auch deshalb vergleichsweise gut ab. „Im Lunzer See haben wir weniger als einen Partikel Plastik pro Kubikmeter gefunden – das heißt also, es gibt weniger als einen Partikel in tausend Liter Wasser“, sagt Attermeyer. Neben dem Lunzer See fand das Forschungsteam auch in 20 weiteren Seen eine ähnlich geringe Plastikkonzentration.

Lunzer See
Katrin Attermeyer
Der Lunzer See schnitt in der internationalen Untersuchung vergleichsweise gut ab

Drei Seen, darunter auch der Lake Tahoe, stachen hingegen negativ hervor. „Wir haben drei Seen gefunden, die eine sehr hohe Konzentration von über fünf Partikeln pro Kubikmeter aufgewiesen haben“, sagt Attermeyer. Laut der Limnologin übersteigt das sogar die Menge an Mikroplastik in stark verschmutzten Meeresgebieten. Negativer Spitzenreiter war der Luganer See in Italien und der Schweiz mit mehr als elf Plastikpartikeln pro Kubikmeter Wasser.

Individuelle Plastikmüllsignatur

Chemisch bestanden die meisten Kunststoffpartikel in den Seen aus Polyester (PES), Polypropylen (PP) und Polyethylen (PE). „PE und PP machen mehr als die Hälfte der weltweiten Kunststoffproduktion aus, während PES für 70 Prozent der gesamten Produktion von Fasern für die Textilindustrie benötigt wird“, erklärt Attermeyer. Dementsprechend waren bei den gefundenen Kunststoffteilchen auch zwei Formkategorien dominant – Fasern (49 Prozent) und Fragmente (41 Prozent), die als „sekundäres Mikroplastik“ durch die Zersplitterung größerer Kunststoffteile entstehen.

In den Seen mit einer geringen Oberfläche, Maximaltiefe und Uferlänge fanden die Forscherinnen und Forscher vor allem blaue oder schwarze Fasern aus PES, während in großen, tiefen Seen mit ausgedehnter Uferlinie transparente oder weiße Fragmente aus PP und PE dominierten. Jeder See habe quasi seine eigene Plastiksignatur, so Attermeyer, die weiter erklärt: „Die Erfassung dieser Signaturen hilft uns nicht nur bei der Ermittlung möglicher Verschmutzungsquellen, sondern auch bei der Erforschung, welche Auswirkungen die Plastikverschmutzung auf die Umwelt hat.“

Die Ergebnisse der Studie würden jedenfalls unterstreichen, dass neben den Ozeanen auch Seen wichtige Marker für die globale Plastikverschmutzung darstellen und stärker berücksichtigt werden sollten, wenn es um Maßnahmen gegen den Plastikmüll geht.