Einstein, Albert (1879-1955), Einstein-Maric, Mileva (1875-1948)
Mileva Marić-Einstein

Im Schatten der Ikone

Heute jährt sich zum 75. Mal der Todestag der Physikerin Mileva Marić. Bekannt wurde sie – oder besser: unbekannt blieb sie – als erste Frau Albert Einsteins. Schon lange wird ihr wissenschaftlicher Beitrag zu seinem Werk diskutiert. Manche sagen, ohne sie hätte es die Relativitätstheorie nie gegeben. Direkte Beweise gibt es bis heute nicht – dafür viel Interpretation und Emotion.

Die Einstein-Marić-Kontroverse lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Eine Seite sieht darin die Geschichte einer Frau, die von einem erfolgsgekrönten Mann und einer patriarchalen Gesellschaft um ihre wissenschaftliche Anerkennung betrogen wird. Die andere Seite kritisiert herumschwirrende Zitate und mündliche Überlieferungen als nicht eindeutig – und verteidigt das Bild der Ikone Einstein, der allein die Wissenschaft revolutionierte.

Wut über Benachteiligung

Wirklich geändert hat sich diese Kontroverse auch heute nicht. Neu ist im Zeitalter der Identitätspolitik vielleicht die offen geäußerte Wut der „Pro-Marić-Fraktion“, deren Vertreterinnen oft selbst aus diskriminierten Gruppen stammen. „Frauen, Schwule, Lesben, Dunkelhäutige und Juden werden seit so vielen Jahren in der Wissenschaft benachteiligt. All das macht mich so wütend“, sagt Pauline Gagnon gegenüber science.ORF.at. Die ehemalige CERN-Physikerin sieht in Mileva Marić ein typisches Beispiel für diese Benachteiligung, sie hat sich intensiv mit ihrer Geschichte beschäftigt und arbeitet gerade an einem entsprechenden Film.

Die Physikerin Pauline Gagnon
ORF, Robert Czepel

„Wir tun immer so, als wäre Albert Einstein das einsame Genie, das alleine die moderne Physik verändert hätte. Nichts könnte ferner von der Realität sein, Mileva war von Beginn an dabei. Ohne sie hätte er keinen Erfolg gehabt“, so lautet ihr Credo. Dem gegenüber könnte man das Buch „Einstein’s Wife: The Real Story of Mileva Einstein-Maric“ aus dem Jahr 2019 stellen. Die beiden Autoren, der Physiker Allen Esterson und der Wissenschaftshistoriker David Cassidy, schildern darin die Serbin darin als eine Frau, die lange tapfer gegen die Widerstände ihrer Zeit gekämpft hat. Um 1900, als Frauen in der Wissenschaft als Eindringlinge galten, studierte sie gemeinsam mit Einstein am Polytechnikum in Zürich (der heutigen ETH) Physik und Mathematik – als erst sechste Frau überhaupt an der Hochschule. Zugleich lässt das Buch aber auch kein gutes Haar an den Hinweisen, die zuvor für eine wesentliche Beteiligung von Marić an Einsteins Arbeit gesammelt wurden.

„Unsere Arbeit über die Relativbewegung“

Ein Hauptargument der „Marić-Fraktion“ ist eine Stelle in einem Brief von 1901, in dem Albert an Mileva schreibt: „Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben!“ In der Verwendung von Pronomen wie „wir“ und „uns“ sehen Gagnon und Gleichgesinnte einen Beleg für die enge Zusammenarbeit der beiden.

Dem entgegnen Esterson und Cassidy, dass Albert seiner Frau hier lediglich gutzusprechen wollte. Die beiden sind zu dieser Zeit nämlich nicht in der gleichen Stadt, und sie vermisst ihn sehr. Das Zitat sei eingebettet in einen Absatz, in dem er sie tröstet, und durch die Pluralpronomen wolle er ihr lediglich seine Zuneigung beteuern. Außerdem schreibe er sonst explizit von „seiner“ Arbeit. Gagnon widerspricht – auch an anderen Stellen schreibe Albert von „unserem Artikel“ und der „gemeinsamen Arbeit“. „Natürlich arbeiteten sie beide separat an Sachen, aber sie tauschten auch viele Ideen aus. Nach heutigen Maßstäben würde man sie ohne Zweifel als Ko-Autoren bezeichnen“, so die Physikerin.

„Sie löst für mich alle mathematischen Probleme“

Einstein wird außerdem vielfach das Zitat zugeschrieben: „Ich brauche meine Frau. Sie löst für mich alle mathematischen Probleme.“ Stellenweise wird das damit ausgeschmückt, Mileva sei in Mathematik besser gewesen als er. Esterson und Cassidy haben den Ursprung des Zitats in Peter Michelmores Buch „Einstein“ von 1962 gefunden – dies entspreche aber nicht wissenschaftlichen Standards. Michelmore habe zwar für die Recherchen mit Alberts Sohn gesprochen, führe das Zitat aber nicht auf ihn zurück. Das ganze Buch könne man laut den Kritikern nicht ernstnehmen, da es auch fiktive Dialoge enthält – auch eine mathematische Überlegenheit von Marić sei nicht beweisbar.

Pauline Gagnon hält dem entgegen, dass „die gemeinsame Zeit der beiden gleichzeitig die produktivste Phase Einsteins war“ – auch sein annus mirabilis 1905 mit fünf wissenschaftlichen Publikationen, etwa zur Speziellen Relativitätstheorie, fällt darunter. Auch das ist kein zwingendes Argument. Der Zusammenhang besteht zwar, doch es ist vorstellbar, dass ganz andere Gründe – beispielsweise der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und später die Auswanderung aus Nazi-Deutschland – Einsteins Schaffen beeinflussten.

Mileva und Albert Einstein mit ihrem Söhnchen Hans Albert im Garten: Postkarte 1904/05
Mileva und Albert Einstein mit ihrem Söhnchen Hans Albert im Garten: Postkarte 1904/05

Serbische Überlieferungen

Ein weiteres Argument: Milana Bota Stefanović, eine Freundin Milevas, gibt 1929 der serbischen Zeitschrift „Politika“ ein Interview. Sie sagt darin, Mileva „war am meisten berechtigt, über die Theorie [der Relativität] von Einstein zu sprechen, denn sie hat mit ihm an ihr gearbeitet; vor fünf oder sechs Jahren hat sie mit mir schmerzerfüllt darüber gesprochen.“ Esterson und Cassidy sehen auch dieses Argument als wertlos, denn die Freundin hätte schon seit Studienzeiten etwas gegen Einstein gehabt, da er so viel von Milevas Zeit in Anspruch nahm. Demnach sei es nur in ihrem Sinne, Albert schlecht dastehen zu lassen.

Generell halten die beiden Autoren mündliche Überlieferungen von Ereignissen, die teils mehrere Jahrzehnte zurückliegen, für unzuverlässig, und Übersetzungen seien eine zusätzliche Quelle für Fehlinterpretationen. Daran kritisiert Gagnon: „Esterson und Cassidy weisen jedes Zitat, das von einer serbischen Person kommt, sofort ab. Man könne nichts von dem vertrauen, weil Serben nur ihren Nationalstolz unterstreichen würden. Das ist so voreingenommen!“

Nobelpreis als doppelte Anerkennung?

Gagnon nennt noch einen Hinweis auf Milevas akademischen Beitrag: In der Scheidungsvereinbarung 1919 vermacht Albert ihr das Preisgeld des Nobelpreises, sollte er ihn erhalten. Dass er ihn 1922 bekommen wird, weiß er zu dem Zeitpunkt nicht, und es ist nicht auszuschließen, dass er spekulierte, er müsste ihr vielleicht gar nichts zahlen. Gagnon interpretiert das Zugeständnis als indirekte Würdigung Milevas wissenschaftlicher Leistung – er bekommt den Ruhm, sie das Geld. Natürlich steht nirgendwo explizit geschrieben, dass er ihr das Preisgeld aufgrund der wissenschaftlichen Kooperation überlässt – damit ist auch das kein direkter Beweis.

Dass sie nach seinem annus mirabilis auch weiterhin eng zusammenarbeiteten, zeigen Notizen für die ersten Vorlesungen, die Albert im Jahr 1912 in Zürich hält (zu dieser Zeit hatte er bereits mehrere Affären). Diese Zettel tragen Milevas Handschrift. Auch ein Brief an Max Planck ist von ihr verfasst. Ähnlich basiert ein weiteres Argument der „Mileva-Fraktion“ auf einer Interpretation. Aus einem Brief von Albert würde klar, sie hätte ihm damit gedroht, ihre Biografie – samt Offenbarung ihres wissenschaftlichen Beitrags – zu schreiben. Er schrieb ihr daraufhin bösartige Zeilen, sie solle „schön bescheiden sein und das Maul halten“.

Vorwiegend Einsteins Seite der Geschichte

Direkte Beweise für eine wesentliche Beteiligung von Marić an Einsteins Werk gibt es also bis heute nicht. In den genannten Fällen ist es letztlich Auslegungssache, was sie denn bedeuten mögen. Fakt ist: Milevas Geschichte bleibt lange versteckt im Schatten ihres Mannes. 1987 wird eine bis dahin unbekannte Sammlung von Dokumenten rund um Albert Einstein veröffentlicht, darunter 54 Briefe zwischen ihm und seiner ersten Ehefrau. Dabei sind die meisten von ihm verfasst, von Milevas Briefen sind nur elf erhalten.

Liebesbriefe zwischen Maric und Einstein, die 1986 in Los Angeles entdeckt wurden
ASSOCIATED PRESS
Liebesbriefe zwischen Maric und Einstein, die 1986 in Los Angeles entdeckt wurden

Auch Einsteins Nachlassverwalter spielten eine wichtige Rolle. Sie zogen etwa gegen Alberts Familie vor Gericht, um die Publikation von Dokumenten zu verhindern. „Sie hielten unerbittlich daran fest, dass nichts das goldene Image von Albert Einstein beflecken darf“, so Gagnon.

Ehren-Diplom für Mileva Marić?

Über 100 Jahre nach dem Physik- und Mathematikstudium von Marić haben sich die Dinge geändert. Viele Hochschulen versuchen den historischen Ausschluss von Frauen aufzuarbeiten. Die Universität Cambridge etwa hat symbolisch Diplome an 900 Frauen vergeben, denen der Abschluss bis 1948 verweigert worden war. Auch an anderen Universitäten gibt es solche Fälle. Die ETH Zürich ziert sich noch damit, doch seit 2019 läuft eine Kampagne, um Mileva posthum ihren Doktortitel zu verleihen. Theoretisch hätte sie die nötigen Qualifikationen – inklusive einer Diplomarbeit. Was ihr fehlte war lediglich die letzte Prüfung, die sie vielleicht nur deshalb nicht bestand, weil es eine mündliche war.

Welchen Beitrag Mileva Marić wirklich zum Werk ihres Mannes geleistet hat, wird man wohl nie nachvollziehen können. Sie ist eine Frau, die – den Umständen ihrer Zeit geschuldet – auf ihre eigene Karriere verzichten muss und ihr Leben lang im Schatten ihres Ehemannes weilt, obwohl sie dieselbe fachliche Ausbildung genossen hat. Ihre Geschichte zeigt, wie schwierig es damals war, als Frau Erfolg zu haben.