Ein Landarbeiter der Betsileo im Hochland Madagaskars
Vincent Porcher, LICCI Project
Vincent Porcher, LICCI Project
Appell

Indigene sollten beim Klimaschutz mehr gehört werden

Gleichgültig ob in der Arktis, auf kleinen Inseln oder in entlegenen Bergregionen: Indigene Völker haben historisch am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen, sind aber überdurchschnittlich von den Folgen betroffen. Fachleute rufen deshalb dazu auf, sie stärker am Klimaschutz zu beteiligen als bisher – und auf ihr traditionelles Wissen zurückzugreifen.

Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Völker sollten mehr in der Wissenschaft gehört werden, etwa beim Erstellen der Weltklimaberichte, aber auch in der Politik beim Entwickeln von Klimaanpassungsmaßnahmen. Das fordert das Forschungsprojekt „LICCI“ (Local Indicators of Climate Change Impacts).

Unterschiedliche Lebensweisen, ähnlich betroffen

Ein Team um die Anthropologin Victoria Reyes-García von der Autonomen Universität Barcelona hat dafür in den vergangenen fünf Jahren 52 Fallstudien zu indigenen und lokalen Gemeinschaften rund um den Globus durchgeführt. Darunter waren etwa die Kolla in den südamerikanischen Anden, die Inughuit auf Grönland und die Dagbani in Ghana. So unterschiedlich ihre Herkunft und Lebensweisen auch sind, so ähnlich sind sie oft von der Klimaerwärmung betroffen – meistens direkter und stärker als die Menschen in den Industrie- und Schwellenländern.

Einige Beispiele aus dem jüngsten „LICCI“-Bericht: Angehörige der Landwirtschaft betreibenden Kolla berichten von Wasserknappheit und schrumpfenden Feuchtgebieten in den Anden. Auftauender Permafrost und schmelzendes Eis zerstören die Behausungen der Inughuit im Norden Grönlands, auch Transport und Jagd sind riskanter geworden. Personen des Volks der Dagbani wiederum leiden unter einer höheren Sterblichkeit ihres Viehbestands aufgrund höherer Temperaturen in Ghana.

Hotspots der Klimaerwärmung

Diese und andere Entwicklungen sind nicht nur Folge der Klimaerwärmung. „Die Indigenen betrachten diese als einen von mehreren Faktoren, die ihre Umwelt verschlechtern“, betonen die Fachleute. Weitere Faktoren, die zum Teil unmittelbar sogar bedrohlicher seien: Überstrapazierung natürlicher Ressourcen etwa bei Fischerei und Holzgewinnung, schlecht geplante Entwicklungsprojekte und neue Infrastrukturmaßnahmen.

Indigene in der argentinischen Hochwüste Puna etwa berichten von schlechteren Bedingungen für ihre landwirtschaftliche Lebensweise, die sowohl mit zunehmender Trockenheit als auch mit dem verstärktem Abbau von Lithium zu tun haben. In vielen Fällen würde die Klimaerwärmung historische Marginalisierungen kleiner Bevölkerungen verschärfen – etwa bei den Korjaken auf der Halbinsel Kamtschatka im äußersten Osten Russlands.

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Vertreterinnen einer lokalen Hirtengemeinschaft nahe Bulgan Soum, in der westlichen Mongolei
Ouerle Chao, LICCI Project
Vertreterinnen einer lokalen Hirtengemeinschaft nahe Bulgan Soum in der westlichen Mongolei
Fischerin der Swahili in Kenya
Mouna Chambon, LICCI Project
Fischerin der Swahili in Kenya
Drei Landarbeiter der Betsileo im Hochland Madagaskars beim Getreidedreschen
Vincent Porcher, LICCI Project
Landarbeiter der Betsileo im Hochland Madagaskars beim Getreidedreschen
Korjaken auf Rentieren auf der Halbinsel Kamtschatka
Drew Gerkey, LICCI Project
Korjaken auf Rentieren auf der Halbinsel Kamtschatka
Bassari beim Anbau von Baumwolle im Senegal
Anna Porcuna, LICCI Project
Bassari beim Anbau von Baumwolle im Senegal

Da die Indigenen sehr oft in Hotspots der Klimaerwärmung leben, seien sie auch gute Quellen für lokale Anpassungsstrategien, schreibt das Team um Reyes-García – und führt erneut Beispiele an. So hätten etwa die Betsileo im Hochland Madagaskars ebenso wie die Bassari im Senegal beim Anbau von Getreidearten umgestellt, um der zunehmenden Trockenheit zu begegnen. Das könne zwar die Folgen mildern, aber auch neue Ungerechtigkeiten mit sich bringen. Bei den Bassari etwa hat der Wechsel zum Anbau von – für den Verkauf bestimmter – Baumwolle dazu geführt, dass die Frauen weniger Kontrolle über das Haushaltsvermögen haben.

Großes Wissen, vielfach ungenützt

Generell würden die Fallstudien zeigen, dass die indigenen Gemeinschaften über ein großes und nuanciertes Wissen über Methoden zur Anpassung an die Klimaerwärmung verfügen. „Sie sind über Generationen hinweg mit ihrer natürlichen Umwelt verbunden und haben ein ganzheitliches Verständnis der Kaskadeneffekte der Auswirkungen des Klimawandels, von Veränderungen atmosphärischer, physikalischer und biologischer Systeme bis hin zu Auswirkungen auf ihre Lebensgrundlagen“, sagt Studien-Hauptautorin Reyes-García.

Dennoch würde auf dieses Wissen beim Klimaschutz vielfach nicht zurückgegriffen, beklagen die Fachleute – auch dort nicht, wo die Forschung nur schlecht Daten sammeln kann, weil die Gegend schlicht zu entlegen ist. Ihre aktuelle Studie verstehen sie als Appell, das zu ändern: „Indigene Bevölkerungen und lokale Gemeinschaften sollten eine zentralere Rolle im wissenschaftlichen und politischen Prozess zu Klimaerwärmung und Anpassungsstrategien haben“, so das Fazit.