Die mumifizierte Leiche des „Ötzi“ in der Kühlkammer im Februar 2011, im Rahmen der Ausstellung „20 Jahre Ötzi“ im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen.
APA/ROBERT PARIGGER
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Anthropologie

„Ötzis“ Vorfahren kamen aus Anatolien

Schon vor mehr als zehn Jahren ist das Erbgut der Gletschermumie „Ötzi“ entschlüsselt worden. Neue Techniken lassen nun noch genauere Schlüsse auf „Ötzis“ Herkunft und sein Aussehen zu: So dürfte er Vorfahren in Anatolien gehabt haben – dazu eine dunkle Haut und eine fortgeschrittene Glatze.

Das berichtete ein Team um Johannes Krause vom deutschen Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift „Cell Genomics“ veröffentlicht wurde.

Vergleich mit Zeitgenossen

Der Genmix heutiger europäischer Menschen ist hauptsächlich aus der Vermischung dreier Ahnengruppen entstanden: Die ursprünglichen Jäger und Sammler Westeuropas gingen nach und nach in den frühen Bauern auf, die vor etwa 8.000 Jahren aus dem Nahen Osten bzw. Anatolien einwanderten, und schätzungsweise beginnend vor etwa 4.900 Jahren kamen dazu noch Steppenhirten aus Osteuropa.

Bei ersten Genanalysen hatte man Spuren dieser Steppenbevölkerung gefunden, die die neuen, verfeinerten Ergebnisse nun nicht mehr zeigen: Die damalige Probe war mit moderner DNA verunreinigt. Seit der ersten Studie wurden nicht nur die Technologien zur Sequenzierung enorm weiterentwickelt, man hat auch viele Genome prähistorischer Europäer, häufig aus Skelettfunden, vollständig entschlüsselt.

Eine Nachbildung des Ötzi im Februar 2011, im Rahmen der Ausstellung „20 Jahre Ötzi“ im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen.
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Das Modell im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen entspricht nicht den aktuellen Studienresultaten: Haut zu hell, keine Glatze.

Damit war es möglich, „Ötzi“ mit Zeitgenossen zu vergleichen. Ergebnis: Unter den Hunderten frühen europäischen Menschen, die zur selben Zeit wie „Ötzi“ lebten und deren Genome zur Verfügung stehen, hat dieser die meisten bäuerlichen Ahnenanteile.

Das Forschungsteam schließt daraus, dass „Ötzi“ aus einer relativ isolierten Bevölkerung mit wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen stammte. „Wir waren sehr überrascht, im neuen ‚Ötzi‘-Genom keine Spuren der osteuropäischen Steppenhirten zu finden, auch der Anteil der Jäger-und-Sammler-Gene beim ‚Ötzi‘ ist sehr gering. Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen“, erklärt Johannes Krause.

Haut der Mumie vermutlich Originalfarbe

Neben den Vorfahren interessierte sich das Forschungsteam auch für das Aussehen der rund 5.300 Jahre alten Gletschermumie. „Ötzis“ Hauttyp, schon in der ersten Genomanalyse als mediterran-europäisch bestimmt, war noch dunkler als bisher angenommen.

„Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat“, sagte der Anthropologe und Mitautor der Studie, Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung bei Eurac Research in Bozen. „Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist das, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend ‚Ötzis‘ originale Hautfarbe. Dies zu wissen ist natürlich auch wichtig für die Konservierung“, hielt er fest.

Ötzi
Südtiroler Archäologiemuseum/EURAC/Marco Samadelli-Gregor Staschitz

Auch soll er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr langes, dichtes Haupthaar, sondern höchstens noch einen schütteren Kranz gehabt haben. Seine Gene zeigten eine Veranlagung zur Glatzenbildung: „Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden“, sagte Zink. Ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes Typ zwei lag ebenfalls in „Ötzis“ Erbanlagen, das kam jedoch dank seines gesunden Lebensstils wahrscheinlich nicht zum Tragen.

Keine Überarbeitung der Rekonstruktion

Das Südtiroler Archäologiemuseum, in dem die Gletschermumie gezeigt wird, merkte jedoch an, dass sich nicht bestimmen lasse, wie weit „Ötzis“ Glatzenbildung fortgeschritten gewesen sei. „Immerhin fanden sich in der Nähe der Mumie neun Zentimeter lange, dunkle Haupthaarlocken“, hieß es. Deshalb ist Museumsdirektorin Elisabeth Vallazza vorsichtig mit der Interpretation der Ergebnisse.

Die Rekonstruktion „Ötzis“ im Museum sei ein „Interpretationsversuch, ein Vorschlag, wie wir uns den Mann aus dem Eis zu Lebzeiten vorstellen. Die Figur wurde 2011 von den Paläokünstlern Adrie und Alfons Kennis geschaffen, auf Basis des damaligen Forschungsstandes. Es ging dabei vor allem darum zu zeigen, dass ‚Ötzi‘ ein moderner Mensch war: mittleren Alters, tätowiert, drahtig, wettergegerbt, ein Mensch wie du und ich. Eine Überarbeitung der Rekonstruktion ist derzeit nicht vorgesehen“, hielt Vallazza fest.