Mehrere ineinanderhängende Goldreifen, die mit den anderen Objekten vergraben waren
NHM Wien, Alice Schumacher
NHM Wien, Alice Schumacher
Archäologie

„Goldschatz von Ebreichsdorf“ hat neue Heimat

Beim Ausbau einer Bahnstrecke in Niederösterreich sind Archäologen vor rund vier Jahren auf mehrere goldene Artefakte aus der späten Bronzezeit gestoßen. Am Freitag wurde der „Goldschatz von Ebreichsdorf“ offiziell an das Naturhistorische Museum Wien (NHM Wien) übergeben, wo er ab sofort ausgestellt und künftig noch genauer untersucht wird.

Eine Schale aus Gold, mehrere aneinanderhängende Spiralreifen, Goldfäden und Golddrähte zählen zu den spannendsten Fundstücken, die zum „Goldschatz von Ebreichsdorf“ gehören. Entdeckt wurden sie im Jahr 2019 bei ÖBB-Bauarbeiten an der Pottendorfer Linie zwischen Wien und Wiener Neustadt. “Dort, wo jetzt der Bahnhof Ebreichsdorf ist, hat sich in der Spätbronzezeit eine Siedlung befunden und am Randbereich dieser Siedlung war eben dieser Goldschatz deponiert“, erklärt Karina Grömer, die Direktorin der Prähistorischen Abteilung am NHM Wien.

Gold aus der Bronzezeit

Aufgrund der für die Zeit typische Form der Goldschale konnten Fachleute feststellen, dass die Fundstücke aus der späten Bronzezeit stammen – sie wurden wahrscheinlich vor rund 3.100 Jahren in der prähistorischen Siedlung vergraben. Warum, ist nicht ganz klar – Grömer geht aber davon aus, dass die goldenen Objekte gezielt zusammen verborgen wurden. Darauf deutet auch ein Bündel aus Goldfäden hin, das nicht einfach achtlos weggeworfen, sondern für die Aufbewahrung fein säuberlich mit Golddraht umwickelt wurde.

Die Goldschale aus Ebreichsdorf – rechts original, links Replika
NHM Wien, Alice Schumacher
Die Goldschale: Replikat (li.) und Original (re.)

Handelswege und kultureller Austausch

Das Gold, das in den Artefakten verarbeitet wurde, stammt nicht aus der Region um das heutige Ebreichsdorf. Zu diesem Ergebnis kamen Expertinnen und Experten nach der genauen Analyse des Rohstoffes. „Es handelt sich um Flussgold, das es theoretisch auch in der Donau geben würde. In diesem Fall kommt es aber aus dem böhmischen Mittelgebirge, ungefähr vom heutigen Grenzgebiet von Deutschland und Tschechien“, erklärt Grömer gegenüber science.ORF.at.

Der Herkunftsort des Goldes und der Fundort der Objekte liegen demnach rund 400 Kilometer auseinander. Der Goldschatz von Ebreichsdorf ist laut Grömer daher ein klarer Beweis dafür, dass es schon vor mehr als 3.000 Jahren weitreichende Handelswege und kulturellen Austausch unter den Menschen gab.

Sonnenkult oder diplomatisches Geschenk

Die goldene Schale ist für die Forschung besonders interessant, denn es gibt nur wenig vergleichbare Fundstücke. “Wir haben aus ganz Europa – von Portugal bis Rumänien, von Skandinavien bis Italien – aus diesem Zeithorizont exakt 150 Goldschalen. Das ist also wirklich etwas sehr, sehr Besonderes“, sagt Grömer.

Wozu die Goldschale aus Ebreichsdorf genutzt wurde, ist jedoch nicht eindeutig geklärt. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es damals noch keine Schrift gab, die heute vielleicht Aufschluss über den Verwendungszweck der Objekte geben könnte“, erklärt Grömer. Es sei etwa möglich, dass die Schale als diplomatisches Geschenk anderer Personengruppen in die Siedlung kam.

Der Goldschatz von Ebreichsdorf
NHM Wien, Alice Schumacher
Schale, Spiralreifen und Goldfäden (re.)

Mit ihren feinen Verzierungen ist die Goldschale aus Ebreichsdorf aber einzigartig für den mitteleuropäischen Raum. Darauf zu sehen ist unter anderem ein Sonnensymbol – für die Forscherinnen und Forscher ein möglicher Hinweis darauf, dass die Schale für religiöse und rituelle Handlungen genutzt wurde. Das Sonnensymbol wird gemeinhin mit einem Sonnenkult in Verbindung gebracht. Ähnliche Dekorierungen gibt es etwa auf einem aus dem 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stammenden Kultwagen, der im Jahr 1851 im steirischen Strettweg gefunden wurde.

Kostbare Goldfäden

Auch die gefundenen Goldfäden deuten darauf hin, dass der Goldschatz im Zuge von rituellen Handlungen vergraben wurde. Nach genauen Analysen des Fadenbündels fanden Forscherinnen und Forscher des NHM Wien Hinweise darauf, dass die Fäden früher in ein Textil eingewoben waren. Grömer geht davon aus, dass sie in hochwertigen golddurchwirkten Gewändern zum Einsatz kamen, die vermutlich religiösen Würdenträgern oder anderen hochrangigen Personen vorbehalten waren. „Vergleichbare Textile findet man heute etwa im Domschatz im Stephansdom, in alten liturgischen Gewändern“, erklärt Grömer.

Die Direktorin der prähistorischen Abteilung am NHM Wien sieht in den Goldfäden „wahrscheinlich sogar den kostbarsten Teil des Goldschatzes“, erklärt Grömer. „Man muss sich vorstellen, dass diese rund 0,7 Millimeter dünnen Fäden ohne moderne Werkzeuge hergestellt wurden. Das Fertigen der Fäden und dann auch das Einweben in die Textile war damals also extrem schwierig und aufwendig“, sagt sie.

Der Goldschatz im NHM Wien

Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag wurde der Goldschatz von Seiten der ÖBB offiziell an das NHM Wien übergeben, wo er in der Zentralvitrine im Goldkabinett positioniert wurde. Neben dem Goldschatz wurden dem Museum auch noch dreihundert weitere Kisten mit Fundstücken aus der prähistorischen Siedlung bei Ebreichsdorf geschenkt – darunter Keramikscheiben und andere Objekte, die im Zuge der ÖBB-Bauarbeiten zu Tage kamen. Grömer hofft, dass genauere Untersuchungen dieser Fundstücke noch mehr darüber preisgeben, wie die Menschen in der spätbronzezeitlichen Siedlung gelebt haben.