Diabetes Ozempic
APA/AFP/Joes Saget
APA/AFP/Joes Saget
Diabetes-Medikament

Einsatz als „Diätspritze“ sorgt für Probleme

Ohne großen Aufwand ein paar Kilos abnehmen – mit Medikamenten wie Ozempic ist das möglich. Der Einsatz als Lifestyleprodukt sorgt aber für Probleme, denn die als Diabetes-Medikament entwickelte Arznei ist in den Apotheken zunehmend schwer zu bekommen. Personen, die darauf angewiesen sind, gehen derzeit oft leer aus – und auch die „unreflektierte Anwendung“ kann laut Fachleuten zu Problemen führen.

Ozempic und andere Medikamente mit ähnlichen Wirkstoffen sind in Österreich nur noch „eingeschränkt verfügbar“, bestätigte die Österreichische Apothekerkammer auf Anfrage von science.ORF.at. Das bedeutet, dass die Arzneien derzeit „nicht mehr kontinuierlich und in ausreichendem Maße“ in den Apotheken abgegeben werden können.

Bei der vom Versorgungsengpass betroffenen Arzneimittelgruppe handelt es sich eigentlich um wirksame Diabetes-Medikamente. Ozempic wurde für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 entwickelt und kommt aufgrund der Erstattungskriterien der Gesundheitskassen bei Menschen mit Adipositas und nicht optimal eingestellten Blutzuckerwerten zum Einsatz. Das Medikament hilft, den Blutzuckerspiegel zu senken, die Gefäße zu schützen und dabei noch einige für die Patientinnen und Patienten oft sehr wichtige Kilos loszuwerden.

Der in Ozempic enthaltene Wirkstoff Semaglutid ist dazu in der Lage, das Hormon GLP-1 nachzuahmen, das im menschlichen Darm produziert wird. Es erzeugt ein Gefühl der Sättigung, verlangsamt die Magenentleerung und regt die Bauchspeicheldrüse dazu an, abhängig vom Blutzuckerspiegel mehr körpereigenes Insulin auszuschütten. Außerdem erhöht sich die Insulinsensitivität, und Semaglutid wirkt sich auf das Belohnungssystem aus: Die Lust auf sehr fett- und kohlenhydratreiches Essen nimmt ab.

Promis fachten Hype an

Doch nicht nur Menschen mit Typ 2 Diabetes fragen nach den Arzneien. Seit der Wirkstoff Semaglutid auch zur Bekämpfung von starkem Übergewicht zugelassen ist, gibt es weltweit einen regelrechten Hype um Medikamente wie Ozempic. Promis wie Kim Kardashian und Elon Musk verdanken kürzliche Abnehmerfolge laut eigenen Angaben den „Diätspritzen“ und erhöhten damit das internationale Interesse enorm.

Das ist auch in den österreichischen Arztpraxen zu spüren. „Spannenderweise kommen tendenziell normalgewichtige Frauen und Männer zu uns in die Ordination, die das Medikament privat kaufen wollen“, so die Wiener Allgemeinmedizinerin Naghme Kamaleyan-Schmied im Gespräch mit science.ORF.at: „Das führt natürlich zu Engpässen für unsere kranken Diabetikerinnen und Diabetiker, die auf diese Medikamente wirklich angewiesen wären.“

Nicht ohne Rezept?

Um Ozempic und andere vergleichbare Medikamente dort einsetzen zu können, wo sie tatsächlich gebraucht werden, sind sie in den österreichischen Apotheken nur mit einem gültigen Rezept erhältlich. Normalgewichtige Personen ohne Diabetes-Erkrankung sollten theoretisch nicht an die Arzneien kommen. „Rein rechtlich ist es so. Aber ich kenne genug Patientinnen und Patienten, die das irgendwo privat kaufen“, sagt Kamaleyan-Schmied, die bei der Österreichischen Ärztekammer als stellvertretende Obfrau der Bundeskurie niedergelassener Ärzte fungiert.

Die Allgemeinmedizinerin berichtet etwa von einer Patientin, die Ozempic im Irak kauft und nach Österreich schickt: „Wie sie das macht, weiß ich nicht, aber es gibt auf jeden Fall genug Personen, die auch ohne Rezept an die Arzneien kommen.“

Unreflektierte Anwendung

Die Allgemeinmedizinerin rät auf jeden Fall davon ab, Ozempic über inoffizielle Wege aufzutreiben. Der unreflektierte Einsatz der Medikamentengruppe könne auch zu Problemen führen. „Es handelt sich um Medikamente, die nicht einfach so und ohne ärztliche Aufsicht verwendet werden sollten.“ Aus ihrem Praxisalltag berichtete die Ärztin: „Ich habe auch schon gesehen, dass Patienten sehr starke Nebenwirkungen hatten – also vor allem andauernde Übelkeit und starken Durchfall. Außerdem nehmen normalgewichtige Personen tendenziell weniger ab als die Personen, für die die Medikamente entwickelt wurden.“

Auch in der Behandlung von Diabetes sei Ozempic kein Wundermittel, das mit wenigen Spritzen automatisch zu einem gesunden Leben führt. Das Medikament muss wöchentlich gespritzt werden. Wird es abgesetzt, kommt es in vielen Fällen wieder zu einer Gewichtszunahme. Die Therapie wird durch Ozempic also vereinfacht, Änderungen des Lebensstils seien aber unabdingbar. „Die Patientinnen und Patienten müssen, solange sie die Spritzen bekommen, lernen, wie sie ihr Leben gesünder gestalten können“, sagte Kamaleyan-Schmied. Mehr Bewegung und eine Ernährungsumstellung sind daher wichtige Bestandteile der Behandlung.

Oft nicht verfügbar

Der Versorgungsengpass ist auch am Wiener AKH zu spüren. Personen, die die Kriterien für ein Rezept erfüllen würden, können nicht immer versorgt werden. „Wir erleben schon, dass diese Rezepte abgelehnt werden. Also auch die Chefärzte oder Gesundheitskassen sind sich dessen bewusst, dass hier ein Engpass vorliegt“, so der Leiter der Diabetes- und Adipositas-Ambulanzen, Jürgen Harreiter, gegenüber science.ORF.at.

Dass auch viele Diabetes-Patientinnen und -Patienten die verschriebenen Arzneien immer öfter nicht bekommen, führt zu mehreren Problemen. Ein Absetzen der Therapie kann unter anderem den Blutzuckerspiegel in die Höhe treiben. „Das ist für diese Patientengruppe natürlich mehr als suboptimal, und wenn ein sehr hoher Blutzuckerspiegel nicht rechtzeitig behandelt wird, kann das potenziell lebensbedrohlich sein“, erklärte Harreiter.

Es sei derzeit oft auch sehr schwer, schnell einen neuen Arzttermin zu bekommen, um über mögliche Ersatzpräparate zu sprechen. Betroffene Patientinnen und Patienten sollten daher unbedingt rechtzeitig mit ihren behandelnden Diabetes-Teams Kontakt aufnehmen.

Nachfrage übersteigt Angebot

Wie stark die Engpässe mit dem Einsatz als Abnehmmittel zusammenhängen und ob auch in Österreich ungerechtfertigte Rezepte privat verkauft werden, kann Harreiter nicht beurteilen. Klar sei jedoch, dass das große internationale Interesse nicht nur von Menschen mit Typ 2 Diabetes stammt. Aktuell übersteige die Nachfrage eindeutig das Angebot. „Die Produktionskapazitäten sind aufgrund der hohen Nachfrage einfach eingeschränkt. Ich glaube, jede Firma, die in diesem Sektor tätig ist, versucht gerade die Kapazitäten zu erhöhen.“

Wunsch nach mehr Transparenz

Die Österreichische Diabetesgesellschaft schätzt, dass der Engpass bei Medikamenten mit einem Wirkstoff aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten noch bis ins erste Halbjahr 2024 andauern könnte. Bis dahin bleibt vielen Menschen mit Diabetes nur der Umstieg auf Ersatzpräparate – doch auch diese Medikamente sind laut Harreiter zunehmend vergriffen.

Der Leiter der Diabetes- und Adipositas-Ambulanzen am Wiener AKH würde sich mehr Transparenz wünschen. Eine Forderung, die auch Kamaleyan-Schmied unterstützt: „Wir sollten auf jeden Fall wissen, warum es dazu kommt, dass es viele Medikamente in Österreich derzeit nicht gibt.“ Die Allgemeinmedizinerin könnte sich eine Art Taskforce vorstellen: „Man muss klären, was passiert ist, wohin die Medikamente verkauft werden, ob zu wenig produziert wird und warum wir nicht in Europa oder sogar in Österreich produzieren.“