Stock Photo Pflanze wächst auf Münzen
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Klimaerwärmung

Studie: „Grünes Wachstum“ funktioniert nicht

Bis 2019 ist es laut einer neuen Studie nur elf Industrienationen weltweit gelungen, ihr Wirtschaftswachstum vom Ausstoß von Treibhausgasen zu entkoppeln – eine notwendige Voraussetzung zur Erreichung der Pariser Klimaziele. Doch das Tempo sei viel zu langsam, „grünes Wachstum“ funktioniere nicht, schließen die Autoren.

Das gelte auch für Österreich, eines der elf Länder, das die Entkopplung geschafft hat. Erst vor kurzem zeigten zwar Zahlen des Umweltbundesamts, dass die Treibhausgasemissionen in Österreich 2022 auf dem niedrigsten Wert seit Beginn der Berechnungen im Jahr 1990 lagen. In der aktuellen Studie haben die Autoren Jefim Vogel von der University of Leeds (UK) und Jason Hickel von der Autonomen Universität Barcelona aber errechnet, dass Österreich seine CO2-Reduktionen im Vergleichszeitraum zwischen 2013 und 2019 verdreißigfachen müsste, um die Versprechen des Pariser Klimaabkommens einzuhalten.

Die Experten erinnern daran, dass der Ausstoß verringert werden müsse, um die Klimaerwärmung auf ein „verkraftbares“ Minimum zu reduzieren. In den Pariser Klimazielen wurden 1,5 bzw. zwei Grad Celsius als maximale weltweite Durchschnittserwärmung bis 2100 angestrebt. Mit derzeitigen wachstumsorientieren Strategien werde das nicht gelingen, schreiben Vogel und Hickel soeben im Fachjournal „The Lancet Planetary Health“.

220 Jahre bis Emissionsziele erreicht

Sie verglichen die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Reduktionsziele von 36 einkommensstarken Ländern mit ihren tatsächlichen Emissionen. Nur elf von ihnen schafften im Untersuchungszeitraum 2013 bis 2019 „grünes Wachstum“ – also die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen: Australien, Belgien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, die Niederlande, Schweden, Großbritannien und Österreich.

Die Ergebnisse sind ernüchternd: „Nichts an dem wirtschaftlichen Wachstum dieser Länder ist grün“, so Hauptautor Vogel, der am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit an der University of Leeds (UK) tätig ist. Die Diskrepanzen zwischen den Klimazielen und den derzeitigen Trends sind enorm: Im Schnitt würde es laut Studie noch rund 220 Jahre brauchen, bis die Emissionen der Staaten um die 95 Prozent reduziert werden, die vom Klimaabkommen bis 2050 gefordert sind. Auf dem Weg dahin würden die Staaten 27-Mal so viel emittieren, wie im Pariser Abkommen vereinbart. Durchschnittlich wäre eine Entkopplung notwendig, die zehnmal so hoch ist wie jetzt.

Tatsächliche Emissionsreduktionen vs. Pariser Klimaziele nach Ländern
Jefim Vogel & Jason Hickel, The Lancet Planetary Health
Derzeitige Emissionspfade (rot gestrichelt) versus notwendige Emissionspfade, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten (blau gestrichelt)

Österreich in unterster Klasse

Als Reduktionsziel definierten die Forscher den Anteil, den die Bevölkerung eines Landes an dem vom Weltklimarat IPCC berechneten Kohlenstoffbudget hat, das maximal verbraucht werden darf, um die Pariser Klimaziele noch zu erreichen. Für die Berechnung der tatsächlichen Emissionen verwendeten sie eine konsumbasierte Definition. Darin sind sämtliche Emissionen enthalten, die ein Produkt im Laufe seines Lebens verursacht, ganz egal, in welchem Land sie entstehen.

Österreich ist übrigens nur nach dieser Definition CO2-entkoppelt. Bezieht man sich nur auf die Emissionen, die direkt in Österreich entstehen, so ist das Bruttoinlandsprodukt immer noch von Emissionen abhängig. Mit dem dreißigfachen Handlungsbedarf (bezogen auf den Untersuchungszeitraum 2013-2019) steht Österreich neben Belgien, Australien, Kanada und Deutschland in der Klasse, die am schlechtesten abschneidet. Die CO2-Entkopplungsrate in Österreich ist laut Studie nach Belgien die zweitschwächste der untersuchten Länder.

„Post-Growth“ notwendig

Die Studienautoren argumentieren, das Erreichen der Klimaziele sei mit Wachstum nicht zu erreichen, gleichgültig, ob „grün“ oder nicht. Um dem Klima Gutes zu tun, müsse sich die Wirtschaft generell neu orientieren – an Zielen der Genügsamkeit und Gerechtigkeit. „Wenn die Länder ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen einhalten wollen, sollten sie ,Post-Growth’-Ansätze verfolgen. Das heißt: energieintensive und weniger notwendige Produktionswege runterfahren, den Konsum der Reichen einschränken, ein Umstieg von privaten Autos hin zu öffentlichem Verkehr“, meint Hickel.

Analog dazu solle der Energieverbrauch reduziert werden, gleichzeitig müssten die Staaten in Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien investieren – mit öffentlichen Geldern. Mit einem „Post-Growth“-Ansatz könnten „freiwerdende produktive Kapazitäten wie Fabriken, Arbeitskräfte und Materialien remobilisiert werden, um soziale und ökologische Ziele zu erreichen“.

Hickel spricht etwa von einer „green job guarantee“ sowie von Gesetzen, die die Lebensspanne von Produkten verlängern sollen – etwa eine Garantie auf Reparatur – und der Wiederverwendung von Gebäuden für andere Zwecke, um Neubauten zu vermeiden. Außerdem bräuchte es Vermögenssteuern, um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, eine nachhaltigere Landwirtschaft und mehr vegetarisch lebende Menschen.

Konservative Schätzung

Bei der Studie handelt es sich laut Autoren um eine konservative Schätzung, denn sie enthält keine Emissionsdaten aus Land- und Forstwirtschaft, dem internationalen Flugverkehr und Versand – und berücksichtigt damit etliche der wesentlichen Emissionstreiber nicht. Die Experten sind sich sicher, würden sie diese in ihre Berechnungen miteinbeziehen, wäre eine noch raschere Senkung der Emissionen nötig.