Die Sonne versinkt im Meer
Getty Images/iStockphoto/MaFelipe
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Weltmeere

Wärmere Meere können weniger Wärme speichern

Die Oberflächentemperatur der Weltmeere hat diesen Sommer neue Höchstwerte erreicht. Das hat nicht nur gravierende Folgen für das Meeresleben, sondern auch für das globale Klimasystem. Je wärmer die Meere werden, desto weniger Wärme und CO2 können sie speichern, erklärt der renommierte Ozeanograph Mojib Latif.

Temperaturen an der Wasseroberfläche von 29 Grad Celsius im Mittelmeer, 38 Grad vor den Florida Keys: Höchsttemperaturen, die medial stark rezipiert wurden, den Ozeanograph Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel aber nicht verwundern. Mit der fortschreitenden Klimaerwärmung würden sich auch die Meere weiter aufheizen. „Man darf jetzt nicht den Fehler machen, die aktuelle Situation zu extrapolieren und den falschen Schluss ziehen, dass sich auf einmal die Erderwärmung dramatisch beschleunigt hat“, sagt der Forscher im Interview. Das habe sie nicht. „Aber das, was wir an Erwärmung schon haben in den letzten Jahrzehnten, ist für sich genommen schon dramatisch genug.“

Oberflächentemperatur als schlechter Indikator

Zur fortschreitenden Klimaerwärmung würde sich derzeit das Wetterphänomen El Nino gesellen, das für höhere Temperaturen sorgt. „El Nino wird dazu beitragen, dass höchstwahrscheinlich dieses Jahr wieder ein Rekordjahr wird“, sagt Latif. Aber auf El Nino folgt meist sein Gegenstück La Nina, die für etwas Abkühlung sorgen könnte.

Man müsse den langfristigen Erwärmungstrend von den kurzfristigen Schwankungen trennen, weshalb die Meeresoberflächentemperatur auch ein schlechter Parameter sei, sagt der Forscher. Viel aufschlussreicher sei der Blick auf den Wärmegehalt in den oberen zwei Kilometern. Dieser würde eine kontinuierliche Entwicklung zeigen.

Riesiger Wärmepuffer und wichtige CO2-Senke

Noch verlangsamen die Meere die Klimaerwärmung, weil sie ein wichtiger Puffer sind. Rund 90 Prozent, der durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre zurückgehaltenen Wärme, wird in den Meeren gespeichert. Zudem nehmen sie rund ein Viertel der CO2-Emissionen auf, die der Mensch in die Atmosphäre entlässt. „Dienstleistungen“, die zukünftig weniger werden könnten, denn wärmere Wassermassen können Gase schlechter aufnehmen, sagt Mojib Latif.

Zwar werden Ozeane die CO2-Aufnahme nicht komplett einstellen, meint der Forscher, diese Funktion zukünftig aber weniger effizient ausüben. „Damit verbleibt ein relativ größerer Anteil des CO2-Ausstoßes in der Atmosphäre und das wird die globale Erwärmung beschleunigen.“

Bedrohte Meeresorganismen

Wärmere Meere können auch weniger Sauerstoff aufnehmen. In den letzten Jahrzehnten hat der Sauerstoffgehalt in den Weltmeeren kontinuierlich abgenommen. Sauerstoff-Minimumzonen, auch Todeszonen genannt, werden sich weiter ausdehnen, sagt Latif. Einträge aus der Landwirtschaft, die zu Algenblüten führen, verringern zusätzlich Sauerstoff. Die Gefahr, dass es zu immer mehr schleimigen Meeresgebieten kommt, steigt.

Zudem versauern die Ozeane zunehmend, je mehr CO2 sie aufnehmen. Das Kohlendioxid reagiert mit dem Meerwasser zu Kohlensäure, der pH-Wert sinkt. Das ist vor allem für kalkbildende Organismen wie Korallen, Muscheln oder Schnecken ein Problem.

Meeresspiegelanstieg und Extremwetter

Erwärmen sich große Wasserkörper, wie die Meere, dann dehnen sie sich aus. Lange Zeit war die Wärmeausdehnung der dominierenden Faktor beim Meeresspiegelanstieg, erzählt Mojib Latif. Heute trägt das Schmelzen der großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis den größeren Anteil am Meeresspiegelanstieg. „Wir rechnen damit, dass bis zum Ende des Jahrhunderts die Meeresspiegel etwa um einen Meter steigen werden“, sagt der Ozeanograph. Problematisch sei, dass der Anstieg langsam beginne und sich dann immer weiter beschleunige. Im Jahr 2300 könnte der Anstieg drei bis fünf Meter betragen, je nachdem wie gut es in den kommenden Jahrzehnten gelingt, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Bei wärmeren Ozeanen verdunstet auch mehr Wasser und gelangt als Wasserdampf in die Atmosphäre. Die Folge seien heftigere Unwetter, da mehr Wasser und mehr Energie im System sind. Starkniederschlagsereignisse und Überschwemmungen werden zum neuen Normal, meint der Forscher. Durch die globale Erwärmung würden sich gleichzeitig auch die globalen Windsysteme verändern. Die Folge sind mehr Dürrephasen in bestimmten Regionen, wie etwa dem Mittelmeerraum. „Insofern müssen wir uns an dieses Wechselspiel gewöhnen. Auf der einen Seite extreme Hitze, Dürre, Trockenheit und auf der anderen Seite dann immer wieder diese sintflutartigen Niederschläge.“ Besonders verhängnisvoll seien „compound effects“, wenn zum Beispiel Starkniederschläge auf Dürren folgen, wie es diesen Sommer in Griechenland oder Norditalien der Fall war.

Viele offene Fragen

Ozeane seien komplexe Systeme und ihre Entwicklung ließe sich derzeit noch nicht im Detail berechnen, räumt Mojib Latif ein. Noch sei unklar, wie sich die zunehmende Wärme auf die Tiefsee auswirkt. Ebenso sei die Entwicklung der Meeresströmungen schwer zu bewerten, weil es erst seit rund 20 Jahren Messungen gibt. Kurzfristige Schwankungen ließen sich daher noch schwer von langfristigen Entwicklungen unterscheiden.

„Insofern führen wir ein gewaltiges Experiment mit unserem Planeten durch“, sagt der Forscher. Ein Experiment, das man aufgrund der noch vorherrschenden Wissenslücken nicht zu weit treiben sollte. Vielmehr sei die Unkenntnis der beste Grund, die Treibhausgasemissionen global drastisch zu reduzieren.