Abbildung eines Pferdes in der Höhle La Pasiega. Ein Riss in der Wand repräsentiert Kopf und Ohren des Tiers
Izzy Wisher, courtesy of the Gobierno de Cantabria
Izzy Wisher, courtesy of the Gobierno de Cantabria
Pareidolie

Höhlenkünstler malten, was sie in der Wand sahen

Wenn man in Wolken Tiere sieht und in Autos Gesichter, nennt man das Pareidolie. Laut einer neuen Studie inspirierte das psychologische Phänomen wohl schon Menschen vor mehr als 10.000 Jahren. An Höhlenwände malten sie vorzugsweise Dinge, die sie dort – mit etwas Fantasie – auch sahen.

Pferde, Steinböcke, Hirschkühe und Bisons – die meisten figurativen Darstellungen in steinzeitlichen Höhlen zeigen Tiere. Ob dies einem Jagdzauber oder anderen rituellen Zwecken diente, wird wohl nie restlos geklärt werden. Ziemlich sicher ist hingegen, dass die frühen Künstler für ihre Abbildungen die natürlichen Gegebenheiten der Höhlen nutzen, etwa die Beschaffenheit der Wände oder auffällige Buckel im Felsen.

Blitzschnelle Überinterpretation

Eine Eigenheit der menschlichen Wahrnehmung könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben: Der Mensch neigt nämlich dazu, in unbelebten Dingen oder Strukturen Gesichter, Tiere oder Gegenstände zu erkennen. Man bezeichnet das als Pareidolie.

Diese Überinterpretation könnte für unsere Vorfahren sehr hilfreich gewesen sein, etwa wenn es darum ging, blitzschnell einen Angreifer im Gebüsch zu entdecken. Es liegt also nahe, dass dieses psychologische Phänomen bereits bei steinzeitlichen Kunstwerken zum Tragen kam. In diesem Fall hätten die ersten Künstler vorzugsweise all das auf die Wände gemalt, was sie dort in gewisser Weise schon erkannten.

Besonderheiten der Felswände

Systematisch überprüft wurde diese Vermutung allerdings bisher nicht. Das Team um Izzy Wisher von der Durham University hat das für die soeben im Fachmagazin „Cambridge Archaeological Journal“ erschienene Studie nun versucht. Ausgangsmaterial waren Höhlenmalereien in zwei spanischen Höhlensystemen: Las Monedas und La Pasiega. In ersterer sind vor allem Pferde, Steinböcke und Rentiere abgebildet. Im untersuchten Bereich von La Pasiega tummeln sich unter anderem Hirschkühe, Pferde und Hirsche.

Auerochse in der Höhle La Pasiega: Kopf, Hörner und Hinterbeine des Tiers folgen Rissen in der Wand
Izzy Wisher, courtesy of the Gobierno de Cantabria
Auerochse in der Höhle La Pasiega: Kopf, Hörner und Hinterbeine des Tiers folgen Rissen in der Wand

Die genaue Analyse ergab, dass bei 71 Prozent der Abbildungen in Las Monedas und bei 55 Prozent im untersuchten Teil von La Pasiega die natürlichen Gegebenheiten der Höhlenwände genutzt wurden: Auf kurvenförmige Erhebungen malten die frühen Künstler etwa den Rücken von Pferden. Natürliche Risse dienten unter anderem als Vorlage für die Hörner von Bisons. Noch ein weiterer Umstand spricht laut den Forscherinnen und Forschern dafür, dass unsere Vorfahren Besonderheiten der Felsen als Schablone nutzen: Große Teile der Wände seien leer geblieben. Es könne kein Zufall sein, dass ausgerechnet jene Stellen bemalt wurden, die so gut zu den abgebildeten Tieren passen.

Wie das Team weiter vermutet, sind die von der Natur inspirierten Abbildungen in den meisten Fällen tatsächlich besonders schlicht gehalten. D. h., Details wie Haare oder Augen finden sich kaum.

Inspiration und Kreativität

Dass bei der Malerei auch die Lichtverhältnisse eine wichtige Rolle spielten, ließ sich hingegen nicht nachweisen. Untersucht wurde das mit Hilfe einer Virtual-Reality-Software. Damit konnten Wisher und Co. beispielsweise das Flackern einer Fackel simulieren und schauen, welche optische Veränderungen das auf den Wänden zeitigt. Schon im Vorjahr berichtete die Forscherin gemeinsam mit Kollegen in einer Studie, dass unsere Vorfahren den Feuerschein auch für solche visuellen Effekte nutzten. Bei den nun untersuchten Gemälden, denen die natürliche Beschaffenheit der Wände zugrunde liegt, haben unstabile Lichtverhältnisse aber kaum eine Rolle gespielt, heißt es in der aktuellen Arbeit.

Bison in senkrechter Ausrichtung La Pasiega: Der Rücken folgt einer Wandkante. Das untere Bild zeigt dasselbe Gemälde in VR mit dem Flackern einer Flamme
Izzy Wisher, courtesy of the Gobierno de Cantabria
Bison in senkrechter Ausrichtung La Pasiega: Der Rücken folgt einer Wandkante. Das untere Bild zeigt dasselbe Gemälde in VR mit dem Flackern einer Flamme.

Nachdem Pareidolie anscheinend viele, aber nicht alle Abbildungen inspiriert hat, geht das Team um Wisher von einer Art Wechselspiel zwischen den natürlichen Gegebenheiten in der Höhle und dem Schaffen der frühen Künstler aus. Vermutlich habe man einerseits nach Stellen gesucht, die an bestimmte Tiere erinnern, aber anderseits auch die eigene Kreativität ausleben wollen. „Ähnlich wie ein moderner Künstler sich von einer bestimmten Form inspirieren lässt, von einem Riss im Material oder einem Fleck auf der Leinwand“, erklärt Wisher in einer Aussendung zur Studie.