Emanuel Loos und Lilian Konicar beim Neurofeedback-Training
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Neurowissenschaft

„Star Wars“-Training hilft bei Autismus

In den Science-Fiction-Filmen „Star Wars“ bewegt der Jedi-Meister Yoda Objekte nur mit der Kraft seiner Gedanken. Tatsächlich gibt es eine Gehirntrainingsmethode, bei der nur mittels Gedankenströmen Gegenstände auf einem Bildschirm bewegt werden. Eine Studie zeigt, dass dieses Neurofeedback-Training Menschen mit Autismus helfen kann.

Emanuel Loos kann sein Leben mit Autismus auf einen Satz herunterbrechen: „Es kommt immer sehr auf den Moment an, ob man als Hochbegabter gesehen wird, oder als Behinderter.“ So verfügt Emanuel zwar über außerordentliches technisch-analytisches Verständnis und hat es bereits in der Volksschule österreichweit unter das beste Prozent einer Mathe-Olympiade geschafft – die einfachen Divisionen, die in der nächsten Mathematikstunde durchgerechnet wurden, konnte er aber als einziger in seiner Klasse nicht abliefern.

Emanuel kann sich stundenlang in komplexen Themen vertiefen, so betreibt er etwa seit Jahren seine eigenen Onlinedienste, unabhängig von den IT-Konzernen – er verliert jedoch oft komplett das Zeitgefühl. Und kommt es auf eine Dauerleistung an, die er erbringen muss, so überlastet ihn das: Konzentration aufzubringen, um wiederholt zu zeigen, was er längst beherrscht, fordert ihm enorm viel Kraft ab.

Jeder Mensch mit Autismus ist anders

Eines der Hauptmerkmale bei Autismus ist ein Mangel an kognitiver Empathie, was soziale Interaktionen, in denen die Übernahme einer Perspektive benötigt wird, oft erschwert. Wiederholungen in der Körpersprache oder Verhaltensweise sind weitere Kennzeichen einer Autismus-Spektrum-Störung.

Emanuels Mutter hat viele autistische Kinder kennengelernt und erlebt, dass jedes anders ist: „Sie sind genauso individuell, wie jeder Mensch individuell ist. Bei Emanuel ist das Spezielle wohl die Zeitwahrnehmung und dass er sich extrem schwer tut mit dem Wechseln von einer Tätigkeit zur anderen. Etwa Frühstücken und Sachen packen. Was bei den meisten Menschen routiniert abläuft, ist für ihn anstrengend und braucht oft sehr lange.“

Konzentrationstraining: Virtuelle Gegenstände bewegen

In den berühmten Science-Fiction-Filmen „Star Wars“ gibt es den Jedi-Meister Yoda, der Objekte nur mit Kraft seiner Gedanken bewegen kann. Dies ist jetzt auch in der Realität möglich: Mit der Messung von Hirnströmen können virtuelle Gegenstände bewegt werden. Was auf den ersten Blick wie ein Computerspiel wirkt, kann bei Menschen mit Autismus unter anderem als Konzentrationstraining eingesetzt werden.

Zwar werden heutzutage Autismus und andere Störungen wie Legasthenie und ADHS gerne unter dem Schlagwort Neurodiversität geführt, um im positiven Sinn auf die Vielfalt neurokognitiver Funktionen hinzuweisen – im Alltag wird auf individuelle Begabungen und Bedürfnisse jedoch oft nicht eingegangen. So kann der 17-jährige Emanuel im kommenden Jahr zwar zur Matura antreten, bis dahin war es jedoch ein steiniger Weg. Er hat Mobbing erfahren und viele Bildungseinrichtungen wollten nur eins: ihn loswerden. Emanuels Familie musste sogar von Wien ins Burgenland ziehen, damit ihm ein neuer Schulplatz zugewiesen wurde. Sonst wäre er schon in der ersten Klasse Volksschule auf die Vorschule zurückgestuft worden, wodurch er danach ziemlich sicher in der Sonderschule gelandet wäre.

Therapie und Training statt Medikamente

Autismus kann nicht geheilt werden, doch es gibt verschiedene Therapien und Trainingsmethoden, die Menschen wie Emanuel helfen können, den Alltag besser zu bewältigen. Als relativ neue Möglichkeit gibt es nun eine computergestützte Form der Verhaltenstherapie, das Neurofeedback. Nun wurde an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im ABC Brain Lab untersucht, wie sehr es Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung helfen kann.

Für die Leiterin der vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Studie Lilian Konicar war dieser Schritt nur logisch: „Für Probanden mit Autismus-Spektrums-Störung gibt es nach wie vor keine medikamentöse Behandlung, die auf die Hauptsymptomatik abzielt. Jedoch haben viele Forschungsergebnisse schon angezeigt, dass es eine neurobiologische Basis für Autismus-Spektrum-Störungen gibt. Deswegen macht es für solche Störungen Sinn, eine neurobiologisch basierte Therapie zu wählen und zu erforschen.“

Mit Neurofeedback das Gehirn trainieren

Bei einem Neurofeedback-Training werden dem Probanden oder der Probandin Elektroden am Kopf befestigt. Die elektrische Hirnaktivität wird in ein Computersystem abgeleitet und auf einem Bildschirm als Objekt wie etwa einem Fisch dargestellt. Dann wird ein Dreieck angezeigt. Zeigt die Spitze nach oben, so soll die Gehirnaktivität gesteigert und umgekehrt gesenkt werden, wenn das Dreieck nach unten zeigt.

Emanuel Loos und Lilian Konicar beim Neurofeedback-Training
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Fisch und Dreieck auf dem Bildschirm

Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin muss dabei individuell herausfinden, was für ihn oder sie funktioniert, damit der Fisch gezielt nach oben oder unten schwimmt. Emanuel hat ebenfalls an der Studie teilgenommen und 24 Einheiten durchlaufen, ihm gelingt die Steuerung der Gehirnaktivität bereits sehr gut: „Um zu entspannen benutze ich ein Mantra, das ich aus der Meditation kenne. Und soll ich die Aktivität steigern, so sage ich innerlich hektisch einfach mehrmals hintereinander ‚rauf, rauf, rauf, rauf, rauf‘.“

Studie belegt Nutzen von Neurofeedback

Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung profitieren vom Neurofeedback-Training, wie das Studienergebnis belegt: Im Durchschnitt hat sich die autistische Kernsymptomatik um das Zehnfache verbessert im Vergleich zur Standardbehandlung. Laut Konicar betrifft das besonders zwei Bereiche stark: „Zum einen sind das die sozialen Kognitionen, also die Beziehungen zu anderen Menschen. Zum anderen die so genannten autistischen Manierismen, das sind etwa repetitive Verhaltensweisen oder eine Wiederholung immer derselben Bewegung.“

Konicar will in einer Folgestudie untersuchen, ob und wie sehr eine weitere Art von Neurotherapie, nämlich Hirnstimulation, auch jungen Menschen mit Depressionen, Aggressionen oder Ängsten helfen kann.

Praktische Anwendung bei Schularbeit

Emanuel setzt die Erfahrung aus dem Neurofeedback-Training nun für Schularbeiten ein: „Ich hab die Gehirnaktivität gesteigert, damit Denkprozesse schneller ablaufen. Das hat mir einen gewissen Vorteil verschafft. Aber so etwas funktioniert nur kurzzeitig. Darum sind auch Regenerationsphasen wichtig, also senke ich die Hirnaktivität bewusst vor der Schularbeit und natürlich danach.“ Er ist davon überzeugt, dass jeder Mensch vom Neurofeedback profitieren würde. Autisten würde es jedenfalls nicht „schaden“.

Die vor allem in den USA angewandte Verhaltensanalyse lehnt Emanuel hingegen ab, nachdem er sich eindringlich damit beschäftigt hat. Er bezeichnet sie sogar als pseudowissenschaftlich: So würden Autisten nur gezwungen werden, ihren Autismus zu verbergen, obwohl es psychisch schmerzhaft und mitunter auch mit körperlichem Unwohlsein verbunden sein könne, beispielsweise Manierismen zu unterdrücken. Solche Behandlungen sollen Betroffene nur gesellschaftstauglicher machen, meint Emanuel: „Ich würde sagen, die Gesellschaft ist einfach nicht für Autisten gemacht.“

Grundsätzlich würden auch in der Fachwelt zu viele Vorurteile bezüglich Autismus vorherrschen: Studien hätten bereits gezeigt, dass bei Autisten keineswegs ein Mangel an Empathie bestünde, so Emanuel. Es könnten sich auch viele Menschen umgekehrt nicht in Autisten einfühlen. Bei Mädchen würde Autismus seltener diagnostiziert, da sie sich häufig weniger auffällig verhielten. Er wünscht sich, dass mehr Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse von Autistinnen und Autisten genommen wird und mehr Unterstützung im Bildungssystem und später im Beruf erfolgt, um die speziellen Begabungen und Interessen auch wirklich ausüben zu können.