Biene landet auf Lavendelstrauch
APA/dpa/Frank Rumpenhorst
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Studie

Wetter setzt Insekten unter Druck

Gründe für die kleiner werdenden Insektenpopulationen gibt es viele, einige Ursachen und Zusammenhänge sind dabei aber immer noch nicht vollständig geklärt. Eine neue Studie aus Deutschland belegt nun den großen Einfluss des Wetters auf das Insektensterben – unter Fachleuten sorgen die Ergebnisse allerdings auch für Debatten.

Schon seit Jahren sprechen Expertinnen und Experten von einem erheblichen Rückgang der Insektenmasse und warnen vor den Folgen des weltweiten Insektensterbens. Für besonders viel Aufsehen sorgte dabei vor rund sechs Jahren eine Untersuchung, die seitdem als „Hallmann-Studie“ bekannt ist – benannt nach dem niederländischen Erstautor Caspar Hallmann.

2017 hatte das Team um Hallmann bei der Analyse der Daten von Krefelder Insektenkundlern einen dramatischen Rückgang der Masse an Fluginsekten in Teilen Deutschlands festgestellt. Von 1989 bis 2016 sank deren Gesamtmasse demnach um mehr als 75 Prozent. Die Suche nach den Gründen führte zu keiner eindeutigen Erklärung, wie auch science.ORF.at damals berichtete.

Schwankungen bei Insektenmasse

Die „Hallmann-Studie“ inspirierte daraufhin zahlreiche weitere Forschungsarbeiten, die nach den genauen Gründen für das Insektensterben suchten, dabei jedoch nicht immer zu den gleichen Ergebnissen führten. Hin und wieder fanden sich in den Fallen der Forscherinnen und Forscher überraschend viele Insekten, was dem von Hallmann beschriebenen Abwärtstrend widersprach.

Ähnliches erlebte auch der Ökologe Jörg Müller von der Universität Würzburg. Im Jahr 2022 konnte er auf einem Stein im Garten über einhundert Schmetterlinge zählen, was ihn schließlich dazu veranlasste, nach der genaueren Ursache für die große Insektenanzahl zu suchen.

Alte Daten neu analysiert

„Das Ergebnis der ‚Hallmann-Studie‘ hat mich damals geschockt, als Wissenschaftler haben wir aber natürlich den Anspruch, der Sache auf den Grund zu gehen“, erzählt Müller im Interview mit science.ORF.at. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der TU Dresden, der TU München und der Universität Zürich fing er daraufhin flugfähige Insekten in Bayern, wog sie und verglich das Gesamtgewicht mit den Daten aus der „Hallmann-Studie“.

Das überraschende Ergebnis: „Wir haben damals eine Insektenbiomasse gefunden, die durchschnittlich fast so hoch war wie die Maximalwerte aus der ‚Hallmann-Studie‘“, so Müller. Das Team analysierte anschließend die Daten aus der Studie erneut und aktualisierte sie mit eigenen Insektenzählungen. Außerdem untersuchten die Forscherinnen und Forscher die Daten unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse über einen Zeitraum von insgesamt 34 Jahren.

Ö1-Podcast-Hinweis

Die Welt der Insekten ist noch nicht einmal vollständig entdeckt, und schon sterben pro Tag weltweit rund 100 Insektenarten aus. Im Ö1-Podcast „Was die Welt am Brummen hält“ wird zahlreichen Insekten ein Porträt gewidmet. Alle Folgen sind auch im Ö1-Insektarium abrufbar.

Zu warme und trockene Winter, zu nasse Sommer

Das Team stellte fest, dass in den Jahren ab 2005 überwiegend schlechte Witterungseinflüsse für Insekten herrschten. Dazu zählen unter anderem zu warme und trockene Winter, und zu nasse Sommer. Im Sommer 2021 und der Zeit danach war das Wetter hingegen durchgehend günstig für die Insekten, was auch die relativ hohe Insektenbiomasse im Jahr 2022 erkläre.

Die Witterung und vor allem unübliche Temperatur- und Wetterschwankungen haben demzufolge einen entscheidenden Einfluss auf die Insektenentwicklung und können laut Müller zum Teil für die besorgniserregenden Ergebnisse der „Hallmann-Studie“ verantwortlich gemacht werden. Das Team erstellte mit den aktualisierten Daten außerdem ein Modell, das dazu in der Lage war, die Insektenbiomasse in einer anderen Region vorherzusagen. Dabei zeigte sich eine hohe Übereinstimmung zwischen den Vorhersagen und den tatsächlich beobachteten Biomassen.

Landnutzung vereinnahmt Lebensräume

Prognosen seien zwar immer unsicher, trotzdem ist es laut dem Ökologen in Anbetracht der fortschreitenden Klimaerwärmung wahrscheinlich, dass die Insekten durch die Witterung künftig immer stärker unter Druck geraten. Müller stellt aber auch klar, dass es sich bei der Witterung nicht um die einzige relevante Gefahr für die Insekten handelt: „Die Landnutzung, also natürlich die Landwirtschaft, aber auch jeder Mensch der Flächen für Siedlungsbereiche oder Straßen versiegelt, nimmt den Insekten die Lebensräume weg und viele unserer bedrohten Arten haben deshalb nur noch kleine, fragmentierte Vorkommen.“

Ein Marienkäfer und unzählige Blattläuse auf einer Pflanze
AFP – JEAN-FRANCOIS MONIER

Das Ergebnis der Studie, die nun im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde, sagt zudem nichts über den Artenverlust unter den Insekten aus, sondern nur über die Gesamtheit der Insektenbiomasse, die es in einer Region zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt. Die Biomasse lasse keine Rückschlüsse darauf zu, welche Arten in welchem Maße von den witterungsbedingten Schwankungen betroffen sind, so Müller.

„Wir haben den Rückgang in den Biomassen, genauso haben wir aber die klare Beobachtung, dass uns sang und klanglos seltene Arten aus der Landschaft verschwinden. Bloß haben wir die beiden Dinge bisher nicht wirklich zusammenbringen können. Und ich denke, diese Interaktion aus Witterung und Klimaerwärmung auf der einen Seite und den begrenzten Lebensraumflächen auf der anderen Seite erklärt sehr schön, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.“

„Insekten brauchen aktiv Hilfe“

Um die Insekten in Zukunft besser zu schützen, müsste die Klimaerwärmung augenblicklich stoppen. Da das nicht möglich ist, bräuchten die Insekten zumindest im Bereich der Landnutzung aktiv Hilfe. Laut Müller wäre es daher wichtig, möglichst viele naturbelassene Lebensräume zu schaffen, damit die Insekten große Populationen aufbauen können und so zumindest eine Chance haben, die witterungsungünstigen Phasen zu überstehen.

Faktoren wie Pestizide „zu wenig berücksichtigt“

Fachleute können der neuen Studie einige interessante Aspekte abgewinnen, es gibt aber auch Kritik. „Keinesfalls sollte aus der Studie geschlossen werden, dass Wetterphänomene alleine den dramatischen Verlust an Insektenbiomasse in der Hallmann-Studie erklären können“, so Hans-Peter Piepho, Leiter des Fachgebiets Biostatistik an der Universität Hohenheim in Deutschland. Auch wenn das Team um Müller einen großen Einfluss der Witterung auf die Insektenbiomasse nachweise, bedeute das nicht, „dass andere Faktoren wie der Pestizideinsatz und die Änderung der Landnutzung nicht ebenfalls einen großen Einfluss haben können“.

Auch Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung im deutschen Halle an der Saale sieht Aspekte wie den Pestizideinsatz nicht berücksichtigt: „Wir kommen nicht umhin, den Klimawandel, die Landnutzung und den Verlust von Biodiversität gemeinsam zu denken und anzugehen“. Dennoch stelle die Studie „einen wesentlichen Erkenntnisgewinn“ dar, so der Ökologe.