Streichquartett Ensemble Epitaph am 12. September 2020 im Radialsystem in Berlin
Phil Dera
Phil Dera
Studie

Musik lässt Körper gleich schwingen

Klassische Musik kann dazu führen, dass sich Herzschlag, Atemfrequenz und auch andere körperliche Reaktionen der Menschen im Publikum aneinander angleichen. Das zeigt eine aktuelle Studie aus der Schweiz. Ob und wie stark das passiert, hänge allerdings auch von der Persönlichkeit ab.

Mit Sensoren und Stirnkameras wurden über 130 Besucherinnen und Besucher eines klassischen Konzerts in Berlin für die Studie ausgestattet. So konnten die Forscherinnen und Forscher die Reaktionen des Publikums während des Auftritts verfolgen. Während das Streichquintett Stücke von Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms und Brett Dean spielte, glichen sich die Körperfunktionen der Zuhörerinnen und Zuhörer immer mehr aneinander an, allen voran die Atemfrequenz.

Aber auch beim Herzschlag beobachtete das Forschungsteam um den Psychologen Wolfgang Tschacher von der Universität Bern eine „erhebliche Synchronisierung“. Und sogar bei der elektrischen Leitfähigkeit der Haut, die von der Aktivität der Schweißdrüsen beeinflusst wird und den Grad der Erregung des Nervensystems anzeigt, zeigten sich bei den Menschen im Publikum zunehmend ähnliche Werte.

Streichquartett Ensemble Epitaph am 12. September 2020 in Berlin, Publikum im Experiment
Phil Dera
Vor dem Konzert wurde das Publikum mit tragbaren Sensoren ausgestattet

Die Synchronisierung, insbesondere die der Herzfrequenz, „war höher, wenn die Zuhörerinnen und Zuhörer sich von einem Stück emotional berührt fühlten und in die Musik eintauchten“, schreiben die Autorinnen und Autoren in ihrer Studie, die nun im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde. Nicht zuletzt glichen sich sogar die Bewegungen der Besucherinnen und Besucher einander an.

Mehr Gleichklang unter aufgeschlossenen Menschen

Und noch einen weiteren Aspekt wollten die Forscherinnen und Forscher untersuchen, nämlich ob die Persönlichkeit der Konzertbesucherinnen und -besucher einen Einfluss auf den beobachteten Gleichklang hat. Vor dem Auftritt des Streichquintetts füllten die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer deshalb Fragebögen aus, in denen sie Angaben zu ihrer Persönlichkeit und ihrer momentanen Stimmung machten.

In diesem Teil der Untersuchung bezog sich das Forschungsteam auf das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie, auch „Big Five“ genannt. Laut diesem gibt es fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit: Aufgeschlossenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Bei jedem Menschen sind dem Modell zufolge diese fünf Dimensionen mehr oder weniger stark ausgeprägt.

Bei der Auswertung der gesammelten Daten stellte das Forschungsteam fest, dass jene Personen, die nach Eigenangaben aufgeschlossener und verträglicher sind, sich in ihren körperlichen Reaktionen häufiger anderen Menschen aus dem Publikum anglichen. Bei jenen, die sich extrovertierter und neurotischer beschrieben, war die Wahrscheinlichkeit dafür geringer.

Auch gemeinsames Singen bringt Körper in Gleichklang

Meist wird der beschriebene Gleichklang von Herzschlag, Atemfrequenz und anderen Körperfunktionen durch eine direkte soziale Interaktion zwischen Menschen verursacht. Die Studienergebnisse zeigen, dass auch Musik dies möglich mache, und dass die Persönlichkeit der Menschen einen Einfluss darauf habe, so die Autorinnen und Autoren.

Frühere Forschungsarbeiten zeigten bereits, dass sich etwa Bewegungen der Muskeln und Nervenaktivitäten von Menschen durch gemeinsames Singen im Chor einander angleichen. Eine Studie aus dem Jahr 2013 ergab, dass dies auch für die Herzfrequenz der Chormitglieder gilt. Die aktuelle Untersuchung der Universität Bern deutet nun darauf hin, dass es für den gemeinsamen Herzschlag schon reicht, zusammen im Publikum zu sitzen.