Außenansicht der Universität Utrecht (historisches Akademiegebäude)
luisfpizarro – stock.adobe.com
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Hochschulranking

„Weg von dieser Erbsenzählerei“

Die Universität Utrecht ist aus dem Hochschulranking von Times Higher Education (THE) ausgestiegen. Bemerkenswert daran: Die niederländische Hochschule gehört zu den Topuniversitäten Europas und hat in einschlägigen Ranglisten immer sehr gute Plätze belegt.

Ende September wurde die letzte Ausgabe des THE-Rankings veröffentlicht, die Bilanz für die österreichischen Unis fiel gemischt aus, so konnten sich etwa die Uni Wien, die TU Wien und die Uni Innsbruck verbessern, andere fielen zurück. Warum das so ist, ist nicht eindeutig nachvollziehbar – und das stößt so manchen Universitäten sauer auf. Die Uni Utrecht hat nach jahrelanger Vorbereitung nun die Konsequenzen gezogen. Der Bibliothekswissenschaftler Jeroen Bosman von der Uni Utrecht erklärt die Gründe für diesen Schritt.

Herr Bosman, was sind die Gründe dafür, dass die Uni Utrecht aus dem THE-Ranking ausgestiegen ist?

Jeroen Bosman: Das Ranking von THE ist nur eine von vielen Uniranglisten, in denen wir gelistet sind. Bei manchen hat man darauf keinen Einfluss, weil sie automatisch erstellt werden. Bei THE ist es so, dass man als Universität jährlich Daten beisteuern muss, um dabei zu sein. Das haben wir am Jahresanfang nun erstmals nicht mehr gemacht, der unmittelbare Grund war: Wir wollten keine Zeit mehr dafür aufwenden – und auch keine anderen Ressourcen. Es gibt natürlich Gründe, die darüber hinausreichen. Erstens wollen wir nicht Teil eines Modells sein, das die Konkurrenz zwischen Universitäten so stark betont, während wir der Ansicht sind, dass es mehr Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Forschungsgruppen bräuchte. Zweitens haben wir auch unsere Zweifel an den Methoden, mit denen solche Ranglisten erstellt werden.

Bibliothekswissenschaftler Jeroen Bosman von der Universität Utrecht
privat

Zur Person

Jeroen Bosman ist Bibliothekswissenschaftler an der Universität Utrecht. Forschungsgebiete: Open Science, Open Access und Zitationsdatenbanken.

Wobei man dazusagen muss: Die Uni Utrecht hat bisher durchaus zu den Gewinnern dieses Systems gehört. Sie zählt laut bisherigen Ranglisten zu den Top 15 in Europa.

Bosman: Es gibt wie gesagt auch eine Reihe von Ranglisten, aus denen man nicht aussteigen kann. Wir werden also nicht in der Versenkung verschwinden. Was THE betrifft, sind im Übrigen keineswegs alle Universitäten gelistet, sondern bloß ein kleiner Teil davon. Warum das so ist, müsste man die Leute von THE fragen. Davon abgesehen: Ja, man könnte argumentieren, dass es für eine hochgereihte Universität einfacher ist, sich von einem Ranking zurückzuziehen. Ich persönlich bin mir da nicht sicher, aber wir haben das an der Uni natürlich ausführlich diskutiert. Letztlich geht es dabei um die Frage, wie wir Leistung an unserer Universität belohnen und anerkennen wollen. Die Entscheidung wurde jedenfalls nicht über Nacht getroffen. Dem ging ein jahrelanger Prozess voraus.

Lassen Sie mich auf den Gegensatz von Konkurrenz und Kooperation zurückkommen. Dass Wissenschaft beides braucht, ist offensichtlich. Was Sie kritisieren, ist die falsche Gewichtung?

Bosman: Ja, selbst wenn es gar keine Unirankings gäbe, würde immer noch jede Menge Konkurrenz im System verbleiben. Die Konkurrenz um Jobs, um Fördergelder zum Beispiel. Es geht auch um die Frage: welche Art von Konkurrenz? Dass Forscher und Forscherinnen eine intrinsische Motivation haben, dem gegenwärtigen Wissensstand etwas Neues hinzuzufügen – und zwar in möglichst guter Qualität – ist klar. Es ist aber etwas ganz anderes, Konkurrenz mechanistisch zu deuten, noch dazu mit Daten, die über die Realität eher wenig aussagen.

Zum Beispiel?

Bosman: Ob sich eine Universität in der Rangliste nach oben oder nach unten bewegt, kann völliger Zufall sein. Wenn neue Universitäten hinzukommen oder aus der Liste ausscheiden, rücken die anderen automatisch nach oben oder unten. Ich halte es für gefährlich, Inhalte oder Entscheidungen an diese Dynamik zu koppeln. Wir wollen jedenfalls, dass unsere Entscheidungen eine andere Basis haben: nämlich unsere Ziele und Werte.

„Werte“ bedeutet Weltanschauung?

Bosman: Durchaus, aber das hat auch sehr praktische Konsequenzen. Wissenschaft würde ohne Zusammenarbeit nicht funktionieren. Das gilt insbesondere für die Gegenwart mit ihren riesigen globalen Problemen, die nur durch internationale Kooperation gelöst werden können. Universitäten in nationale Silos zu stecken und sie dort zu vermessen, hilft uns bei dieser Aufgabe wenig. Unsere Entscheidung ist also keineswegs Kosmetik. Es geht um unser Selbstverständnis als Universität, das wir über Jahre aufgebaut haben.

Kommen wir zur Methodik. Ranglisten implizieren, dass man die Qualität von Forschung und Bildung messen kann. Das führt notwendigerweise zu gewissen Vereinfachungen – unter Umständen auch zu Verzerrungen. Wie sehen Sie das?

Bosman: Ranglisten basieren nicht auf nackten Daten. Man muss sich anschauen, wie die Daten organisiert wurden, speziell dann, wenn sie von kommerziellen Unternehmen stammen. Interessanterweise glauben die meisten Universitäten, dass sie auf darauf nicht verzichten können, obwohl es diese Ranglisten erst seit 15 oder 20 Jahren gibt. Man könnte behaupten: Daten richten keinen Schaden an. Da bin ich anderer Ansicht. Wenn Unternehmen Daten und Algorithmen verwenden, die nicht frei zugänglich oder intransparent sind, dann halte ich das für problematisch. Wir sind uns dieser Risiken bewusst, aber wenn sich Studenten auf Basis einer Rangliste für eine Universität bewerben, dann tun sie das in dem Glauben, es würde sich um objektive Informationen handeln, sozusagen um die Wahrheit. Dass das nicht zutrifft, sieht man unter anderem daran, dass verschiedene Ranglisten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Und wenn man sich die Daten genau ansieht – wir haben das zum Beispiel bei den Untersuchungen von INORMS gemacht -, dann zeigt sich: Hier gibt es substanzielle Verzerrungen.

Nehmen wir das Beispiel von Times Higher Education: Diese Rangliste basiert auf der Datenbank Scopus, die wiederum Elsevier gehört. Wir wissen, dass Scopus nur einen sehr begrenzten Blick auf die weltweiten Publikationen hat. Nicht-englischsprachige Journale werden systematisch ausgeblendet, der globale Süden ebenfalls – entsprechend kommen diese Länder auch kaum in den Ranglisten vor. Wir sind nicht prinzipiell gegen Ranglisten oder Quantifizierungen, aber man muss sich die Sache schon genauer ansehen. Das raten wir auch unseren zukünftigen Studierenden. Wir sagen ihnen: Nehmt Kontakt mit der Uni auf oder mit Leuten, die hier studiert haben.

Die Methodik hinter den Ranglisten ist letztlich eine Black Box?

Bosman: Das kommt darauf an, manche sind besser als andere. Relativ transparent sind zum Beispiel das CWTS Leiden Ranking und U-Mulitrank. Ich habe gelesen, dass die Macher des Leiden-Rankings ihre Rohdaten frei zugänglich machen wollen. Das bedeutet, das man damit spielen und sein eigenes Ranking erstellen könnte. Also ein Gegenprogramm zur verbreiteten Annahme, es ginge in der Wissenschaft bloß um Preise und Publikationen. Und das ist genau das, was wir auch an der Universität Utrecht wollen: Wir wollen weg von dieser simplen Erbsenzählerei.

Würden Sie den Rückzug auch anderen Universitäten empfehlen?

Bosman: Ich würde es begrüßen, wenn sie ähnliche Überlegungen anstellen. Die Entscheidung, was zu tun ist, liegt natürlich bei jeder Universität selbst. Ich muss allerdings hinzufügen, dass es zu diesem Thema schon umfangreiche Kooperationen zwischen Unis gibt, sowohl national als auch auf europäischer Ebene. In Europa haben zum Beispiel mehr als 600 Univesitäten das CoARA-Agreement unterschrieben. Darin steht unter anderem: Man sollte Forscher und Forscherinnen nicht auf Basis von Rankings beurteilen. Und alle CoARA-Mitglieder, das sind etwa 90 Prozent der Unterzeichner, haben sich im letzten Jahr dazu verpflichtet, diese Prinzipien auch aktiv in die Tat umzusetzen.