Begrünter Wolkenkratzer nahe Mailand vor einer Blumenwiese
AFP – MIGUEL MEDINA
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Baukultur

Europäisch und grün: Das Neue Bauhaus

Geht es nach der EU, soll ein Neues Bauhaus das Wohnen in Europa klimaneutral machen. Wie bei der historischen Bauhaus-Architektur wird neben Ästhetik auch Wert auf Zugänglichkeit gelegt. Die grüne Wohninitiative begann vor drei Jahren – erste Projekte gibt es bereits, noch sind aber viele Fragen offen.

Designlösungen, die funktional, aber auch schön und leistbar sind: Danach strebte die historische Bauhaus-Bewegung. Und danach solle auch die neue Baukultur streben, zumindest wenn es nach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geht, die das Neue Europäische Bauhaus 2020 initiiert hat. Gebäude sind für rund 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Will die EU ihre Klimaziele erreichen, muss sich der Umgang mit der gebauten Umwelt verändern.

Neues Bild für den gesellschaftlichen Aufbruch

„Indem das Neue Europäische Bauhaus sich auf das historische bezieht, bedient es sich einer Pathosformel der Moderne“, sagt Peter Volgger von der Universität Innsbruck. So wie damals gehe es auch heute nicht nur um den Glauben, dass Design und Architektur die Welt verbessern können, sondern um einen gesellschaftlichen Aufbruch.

Darüber hinaus möchte das Neue Bauhaus auch neue Bilder für Europa schaffen, ist der Architekturtheoretiker überzeugt. „Es geht um die Frage: Wie kann man ein kollektives Imaginäres so schaffen, dass Menschen sich damit identifizieren können?“ Dafür müsse das Europäische Bauhaus erfahrbar werden und zwar dort, wo die Menschen leben und arbeiten.

Ausgezeichnete Projekte

Projekte, die sich den Werten Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion verschreiben, gibt es bereits. Damit sie in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit bekommen, wurde der New European Bauhauspreis ins Leben gerufen. Auch österreichische Projekte haben dabei bereits gewonnen. 2021 wurde die Vorarlberger Fima Lehm Ton Erde für ihre Wände aus Stampflehm ausgezeichnet. Ein Jahr später gewann das Wohnprojekt Gleis 21 einen Preis in der Kategorie „Regaining a sense of belonging“.

„Diese Preise sind wichtig, um Bewusstsein zu schaffen“, sagt Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer für Ziviltechnikerinnen und -techniker – Bewusstsein in der Bevölkerung, aber auch in der Politik und Verwaltung. Beim Neuen Europäischen Bauhaus gehe es nicht nur darum, ökologisch nachhaltiger zu bauen, sondern um eine neue baukulturelle Qualität.

Gemeinsames Nachdenken über Baukultur

Das Besondere am Bauhaus sei, dass es nicht nur auf thermische Sanierung oder ökologische Baumaterialien fokussiert, sondern auch soziale und kulturelle Aspekte berücksichtigt, meint der Architekt. Bereits das historische Bauhaus war interdisziplinär und brachte Architekten, Handwerkerinnen und Planer zusammen. Dieser Ansatz wird in den Labs des Neuen Europäischen Bauhaus kopiert.

Sie dienen der Vernetzung, dem Austausch und dem gemeinsamen Nachdenken, wie Bauen besser gehen kann. Dort werde auch über Förderungen, Vorschriften und Normen diskutiert und über die Frage, wie diese angepasst werden müssen, um Baukultur zu fördern. „Man muss kontraproduktive Förderungen, die zum Beispiel den Bodenverbrauch fördern, hinterfragen“, sagt Daniel Fügenschuh.

Leuchtturmprojekte zeigen, wie es geht

Mit einem eigenen Budget wurde das Neue Europäische Bauhaus bisher nicht ausgestattet. Finanziert wird über verschiedene EU-Programme. Über Horizon Europa wurden etwa sechs Leuchtturmprojekte mit jeweils fünf Millionen Euro ausgestattet. Eines davon wird im Münchner Stadtteil Neuperlach umgesetzt. Die Satellitenstadt aus den 1970er Jahren weist Probleme auf, die viele europäische Stadtviertel kennen: einen sanierungsbedürftigen Gebäudebestand, vernachlässigte Freiflächen und eine im Vergleich zur Gesamtstadt hohe Arbeitslosigkeit.

Im Rahmen von NEBourhoods soll hier nun Neues entstehen. Energiegemeinschaften sollen etabliert werden. Eine mobile Werkstätte will die Reparatur- und Do-it-yourself-Kultur fördern, essbare Begrünung den Stadtteil nachhaltiger machen. Und Wildtiere wie Zauneidechsen, Fledermäuse und Sperlinge sollen Rückzugsorte bekommen.

„Der Stadtteil wird zum Reallabor“, erklärt Sylvia Pintarits, die das Projekt leitet. Gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern wurden beispielsweise Verschattungselemente entworfen. Lange weiße Planen etwa, die für Schatten auf den Fußgängerbrücken sorgen. Dabei haben Forscherinnen und Forscher, die Zivilgesellschaft, Unternehmen und Verwaltung zusammengearbeitet. „Maßnahmen werden nicht am Schreibtisch fix und fertig entwickelt, sondern immer wieder auf ihre Tauglichkeit hin getestet und gegebenenfalls adaptiert.“ Was in Neuperlach gut funktioniert, soll in Handbüchern aufgearbeitet und dieses Wissen an andere Städte weitergegeben werden.

Leere Formel und Konflikt um Nachhaltigkeit

Das Neue Europäische Bauhaus sei ein „leerer Signifikant“, ein Bedeutungsträger, der erst mit Inhalt gefüllt werden muss, erklärt der Architekturtheoretiker Peter Volgger und bezieht sich dabei auf die Hegemonietheorie der beiden Politikwissenschaftler Chantal Mouffe und Ernesto Laclau. Das sei auch notwendig, damit das Neue Europäische Bauhaus viele Perspektiven in sich aufnehmen kann: Design, Investition, Wissenschaft, Innovation und Kultur.

Damit das Europäische Bauhaus zum Erfolg wird, müsse es hegemonial werden. Zudem müsse es im Alltag der Menschen ankommen, ist Peter Volgger überzeugt. Nur dann könne es den Konflikt befrieden, der in seinem Zentrum steht: Welche Rolle spielt Natur für das europäische Projekt? „Begriffe wie Artenvielfalt, Green Deal, Ökocity, die wir in der Architektur verwenden, halten nur bestimmte Bedeutungen zusammen und werden mit der Zeit wieder leer.“ Will das Neue Europäische Bauhaus eine sozio-ökologische Neuorientierung einläuten, müsse es daher zwangsläufig ein politisches Projekt sein.