Künstlerische Darstellung von Coronavirus und Menschen
KYOKO KOJIMA
KYOKO KOJIMA
Evolution

Wie Verhalten das Coronavirus veränderte

Lockdowns, Isolation und Masken sollten die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in den Jahren der Pandemie so gut wie möglich begrenzen. Wie ein japanisches Forschungsteam nun berichtet, haben Verhaltensmaßnahmen wie diese womöglich auch die Evolution des Virus beeinflusst. Unter anderem könnte Isolation dazu beigetragen haben, dass spätere Varianten früher ansteckend wurden.

Alpha, Delta, Omikron, Eris und Pirola – seit seinem Auftauchen vor ungefähr vier Jahren haben sich immer wieder neue Varianten von SARS-CoV-2 entwickelt und durchgesetzt. Diese schnelle Evolution ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass Viren immer einen Wirt brauchen, um zu überleben. Daher setzen sich zufällige Veränderungen im Erbgut der Erreger durch, die diese „Lebensweise“ begünstigen. Besonders mutationsfreudig ist das Coronavirus beispielsweise am Spike-Protein, also jener Struktur, mit der das Virus an die Zelle andockt. Den größten evolutionären Sprung bisher gab es zu Omikron, die Variante ist durch besonders viele Mutationen gekennzeichnet – vermutlich eine Anpassung an seinen wichtigsten Wirt: den Menschen.

Beeinflusst wird diese Evolution natürlich durch Infektionen, Impfungen und Medikamente. Wenn die Bevölkerung mit dem Virus zunehmend vertraut wird, braucht das Virus neue Strategien, um seinen Fortbestand zu sichern. Aber noch ein weiterer Faktor könnte die Anpassung an seinen Wirt beziehungsweise die Durchsetzung bestimmter Mutationen begünstigt haben: menschliches Verhalten in Form von Isolation, Lockdowns und dem Tragen von Masken. Das legt zumindest eine soeben im Fachmagazin „Nature Communications“ erschienene Studie nahe. Dafür hat das Forschungsteam unter der Leitung von Shingo Iwami von der Nagoya Universität die Virusevolution von der Ursprungsvariante bis zu Omikron mit Hilfe künstlicher Intelligenz und mathematischer Modelle auf Basis verfügbarer klinischer Daten untersucht.

Mehr Virusmaterial

Ein wichtiger Aspekt der Entwicklung ist die maximale Viruslast, d. h., wie viel Virusmaterial sich in einem Milliliter Körperflüssigkeit befindet. Eine hohe Last erhöht das Ansteckungsrisiko durch Tröpfchen. Zu viel Material ist aus Sicht des Virus‘ aber auch nicht ideal. Denn dann werden Infizierte zu krank, um überhaupt noch jemanden anzustecken.

Tatsächlich gab es eine deutliche Veränderung bei der durchschnittlichen maximalen Viruslast vom Wildtyp bis zur Delta-Variante, schreiben die Forscher und Forscherinnen in einer Aussendung: Sie habe sich verfünffacht. Auf der anderen Seite wurde das Maximum bei Delta früher erreicht und die Infektion beziehungsweise die ansteckende Phase hatte sich verkürzt. Bei Omikron habe sich die Entwicklung zu einem früheren Höhepunkt der Krankheit fortgesetzt, so die Studienautoren und -autorinnen, aber etwas verlangsamt. Außerdem habe sich die Inkubationszeit im Lauf der Zeit verkürzt und die asymptomatischen Fälle nahmen zu. Insgesamt wurde das Coronavirus ansteckender, aber auch harmloser.

Aus Sicht des Coronavirus waren diese Entwicklungen sehr nützlich: Mit einer höheren Viruslast lassen sich mehr Menschen infizieren. Wenn die maximale Menge schon früher erreicht wird – schon in der präsymptomatischen Phase – oder die Betroffenen gar keine Symptome entwickeln, nützt das ebenfalls der Übertragbarkeit.

Selektionsdruck durch Maßnahmen

Wie die Analysen des Teams nahelegen, sind diese Entwicklungen auch eine Folge der Verhaltensmaßnahmen, die im Lauf der Pandemie immer wieder verordnet wurden: die Isolation von Kranken, Lockdowns und das Tragen von Masken. Das habe den Selektionsdruck auf das Virus erhöht und etwa jene Veränderungen im Erbgut begünstigt, die die Ansteckungen in die symptomlosen Phasen verschoben haben. Wenn Infizierte schon ansteckend sind, bevor sie sich überhaupt krank fühlen, ist eine Isolation von kranken Personen letztlich wirkungslos und das Überleben des Erregers gesichert.

Wenn man alle Gesundheitsmaßnahmen während der Pandemie evaluiert – auch in Hinblick darauf, wie man in Zukunft mit neu auftauchenden Erregern umgehen soll – wäre es laut den Forschern und Forscherinnen wichtig in Betracht zu ziehen, dass auch das menschliche Verhalten Auswirkungen auf das Virus und seine Evolution haben kann. Es war zu erwarten, dass die zunehmende Immunisierung der Bevölkerung durch Infektionen und Impfungen die Evolution des Coronavirus‘ antreibt, erklärt Iwami in einer Aussendung: „Unsere Studie jedoch zeigt, dass auch menschliches Verhalten in einer komplexen Art und Weise dazu beitragen kann.“

Natürlich sei nicht auszuschließen, dass abgesehen von Immunstatus und dem Verhalten der Menschen, noch andere unbekannte Faktoren die Evolution des Coronavirus beeinflusst haben, heißt es in der Studie abschließend. Außerdem betonen die Autoren und -autorinnen, dass Verhaltensmaßnahmen nach wie vor die beste Möglichkeit- sind, die Ausbreitung eines neuen Erregers zu bekämpfen, besonders zu Beginn einer Pandemie – wenn es noch keine Impfung oder wirksame Behandlungen gibt.