Halskette von Anna Dimitriu
Anna Dimitriu
Anna Dimitriu
Bio Art

Kunst weist Weg für revolutionäres Plastik

Eine junge Strömung der zeitgenössischen Kunst setzt auf Verfahren aus Forschungslaboren und experimentiert mit biologischen Materialien wie Mikroorganismen. Die britische “Bio Art"-Künstlerin Anna Dumitriu etwa verwendet genetisch veränderte Hefekulturen, die die Plastikproduktion revolutionieren und nachhaltig machen könnten.

Ursprünglich kommt Anna Dumitriu aus der Malerei. Doch heute steht sie nicht mehr stundenlang an der Staffelei. “Ich verbringe mindestens genauso viel Zeit in Forschungslaboren wie in meinem Studio", erklärt die Britin. Sie ist eine Pionierin der Bio Art. Der Begriff wurde im deutschsprachigen Raum vom österreichischen Künstler Peter Weibel im Jahr 1981 eingeführt. Er definierte als erster in einem Aufsatz die Kunstrichtung, die biologische Systeme als künstlerisches Ausdrucksmittel verwendet. Auch Anna Dumitriu benutzt biotechnische und chemische Verfahren für ihre Kunstwerke. Sie will jedoch damit auch Menschen bahnbrechende und faszinierende Forschungsergebnisse näherbringen und hat damit eine besondere Form von Wissenschaftsvermittlung geschaffen.

Dumitriu kollaboriert seit Jahren mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Ihre Werke werden international ausgestellt, und so wurde auch Diethard Mattanovich vom Institut für Mikrobiologie und Mikrobielle Biotechnologie der Universität für Bodenkultur Wien auf sie aufmerksam.

Pilz-Mode

Ein Team aus Forscherinnen und Forschern züchten Hefepilze, die etwa für die Anfertigung von Halsketten und anderen Kunst- und Schmuckstücken verwendet werden können. Mayrs Magazin berichtet über die „Pilz-Mode“.

Vom Labor ins Künstlerhaus

Mattanovich beschäftigt sich im sogenannten “VIVALDI-Projekt“ damit, Vorgänge zu entwickeln, um CO2 in hochwertige Chemikalien umzuwandeln. Dafür programmiert er Hefepilze genetisch um, so dass sie anstatt CO2 zu erzeugen das Treibhausgas abbauen und verstoffwechseln – und sogar noch in Säuren umwandeln, die für die industrielle Produktion von Nutzen sind.

“Hefen ernähren sich ähnlich wie wir Menschen. Sie brauchen organisches Material, Zucker etwa, um sich ernähren und wachsen zu können. Dabei wird CO2 freigesetzt", erklärt der Forscher. Biotechnologisch kann jedoch der Hefe Erbmaterial von Bakterien und Pflanzen eingesetzt werden, um diesen Stoffwechselzyklus umzudrehen.

Ausstellung von von Anna Dimitriu
Anna Dimitriu
Aus der Ausstellung von Anna Dumitriu

Mattanovich war von Dumitrius Arbeit angetan und so lud er sie in sein Wiener Labor ein. In Folge entstand eine ganze Ausstellung mit dem Titel “Fermenting Futures", die im Wiener Künstlerhaus zu sehen war und derzeit in Schweden im Nobelpreis-Museum zu sehen ist. “Wir erzählen die Geschichte der Hefe, die Menschen seit jeher für das Backen von Brot und Brauen von Bier verwendet haben und die trotzdem sehr wenige kennen. Und die Besucherinnen und Besucher erfahren auch, was zukünftig mit Hefe möglich sein kann, was moderne Biotechnologie kann – und sie können darüber nachdenken, ob all diese Möglichkeiten auch ausgeschöpft werden sollen", so Anna Dumitriu über das gemeinsame Projekt.

Eine Halskette aus Plastikmüll und Hefepilzen

Für eine Ausstellung in der rumänischen Kulturhauptstadt 2023 Timisoara entwickelte Anna Dumitriu nun ein weiteres Kunstwerk, das auf der Forschung von Mattanovichs Gruppe basiert und auf den ersten Blick wie eine aufwendige Kette aus Korallen aussieht: Doch tatsächlich besteht das Werk aus Kabelbindern und roten Säckchen, in denen Obst wie Orangen verkauft werden. Diese Alltagsgegenstände bestehen aus Nylon und landen nach Gebrauch als Plastikmüll in der Natur.

Sendungshinweis

Auch „Mayrs Magazin – Wissen für alle“ widmet sich der „Pilzmode“: 24.11., 18:29 Uhr, ORF 2.

Etwas versteckt in der Kette sind jedoch auch Kügelchen und kleine Plastikscheiben angebracht: In ihnen sind die genetisch veränderten Hefe-Kulturen aus dem „VIVALDI-Projekt“ zu sehen. Sie können nicht nur CO2 verstoffwechseln, sondern auch Bernsteinsäure herstellen, aus der Nylon gewonnen werden kann. Kommerziell ist dieses Verfahren jedoch noch nicht spruchreif. Die rote Farbe, mit der die Kabelbinder bemalt wurde und die ihr den Eindruck einer Koralle verleiht, werden übrigens ebenfalls aus Bernsteinsäure herbestellt.

Die „Korallenkette“ aus Plastikmüll und Hefepilzen
Anna Dimitriu

So ist die Zukunft der nachhaltigen Plastikproduktion bereits in der Halskette verarbeitet. Ein komplexer biotechnologischer Vorgang und seine mögliche praktische Anwendung sind somit durch ein Kunstwerk leichter begreifbar gemacht worden. Aktuell ist die rote Halskette nun in Oundle im britischen Northamptonshire ausgestellt.

Kunst beeinflusst Wissenschaft

Doch nicht nur die Kunst profitiert von der Forschung. Auch die Wissenschaft hat von der Zusammenarbeit gelernt, erzählt Mattanovich: “Wir haben Aspekte aufgegriffen, mit denen wir uns vorher nicht beschäftigt haben. So haben wir im Labor kleine Mengen an Bioplastik hergestellt, weil es einfach für ein Kunstwerk gebraucht wurde."

Durch die Wissenschaftsvermittlung, die durch die BioArt ermöglicht wurde, erhofft sich Mattanovich mehr Verständnis und öffentliche Diskussion seiner Forschung: “Damit unsere Arbeit und die entwickelte Technologie einen relevanten Einfluss auf die weltweite CO2-Bilanz hätte, müsste sie eben im großen Stil produziert werden. Dafür bräuchte es wirtschaftliche Anreize und gute Rahmenbedingungen. Die erdölbasierte Produktion wird begünstigt, indem die Folgekosten der Gesellschaft überlassen bleiben. So haben es neue Technologien schwer, die aber diese Folgekosten nicht mit sich bringen und sogar abmildern können."