Forscher mit Petrischale im Labor
stanislavss – stock.adobe.com
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Organoid

Miniherzen werden immer realitätsnäher

Einem Wiener Forschungsteam ist es erstmals gelungen, Miniaturherzen mit mehreren Kammern im Reagenzglas zu züchten. Die Modelle werden dem natürlichen Vorbild immer ähnlicher. Deshalb könnten sie das Erforschen von Herzkrankheiten und die Entwicklung neuer Therapien erleichtern.

Sie sind zwei bis drei Millimeter groß, haben mehrere Kammern und schlagen wie echte Herzen in der frühen Entwicklungsphase eines Embryos: Die Mehrkammer-Herzorganoide aus dem Labor des Wiener Biologen Sasha Mendjan sind die ersten ihrer Art und sollen als bisher genauestes Modell für künftige Untersuchungen auf der ganzen Welt dienen.

Wenig neue Behandlungen

Ein solches Modell des gesamten menschlichen Herzens ist laut Mendjan dringend nötig, wie er gegenüber science.ORF.at erklärt: „Das Feld der Herzpharmakologie hat sich in den letzten 20 bis 25 Jahren nicht sehr weiterentwickelt, weil eben genau diese Modelle gefehlt haben.“ Neue Therapien und Arzneimittel, die gegen Herzerkrankungen oder verbreitete Missbildungen helfen, lassen demnach auf sich warten.

Organoide

Organoide sind Zellgruppen, die im Labor künstlich dazu angeregt werden, wenige Millimeter große Organstrukturen zu bilden. Durch die Ähnlichkeit zu natürlichen Organen sind sie wichtige Informationsquellen für die Forschung.

In seinem Labor am Institut für molekulare Biotechnologie (IMBA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) forscht der Biologe daher schon seit Jahren an möglichen Ansätzen, um mit einem Organoid so nahe wie möglich an das natürliche Herz heranzukommen. Erste Erfolge verzeichnete die Forschungsgruppe im Jahr 2021, als sie das erste kammerartige Herzorganoid präsentierte.

Erstes Mehrkammer-Herzorganoid

Bei dem damaligen Modellorgan handelte es sich vorerst jedoch nur um die linke Herzkammer. Darauf aufbauend konnte das Forschungsteam nun auch noch eine rechte Pumpkammer und den Vorhof des Herzens nachbauen sowie die verschiedenen Bereiche zu einem rhythmisch schlagenden Organoid zusammenfügen. Entstanden sind die ersten Mehrkammer-Herzorganoide, die das Team auch Mehrkammer-Kardioide nennt.

Pulsierendes Herz-Organoid

Dem Team am IMBA ist es erstmals gelungen, mehrere Kammern zu einem pulsierenden Herz-Organoid zu verbinden

Die dafür nötigen Schritte und die Erkenntnisse aus ersten Untersuchungen mit den Miniaturherzen präsentieren die Forscherinnen und Forscher aktuell im Fachjournal „Cell“. „Auch wenn unsere Organoide viel komplexer sind als bisherige Modelle, sind sie immer noch sehr vereinfachte Versionen des tatsächlichen Organs“, stellt Mendjan klar.

Zellen organisieren sich selbst

Wie schon bei der linken Herzkammer nutzten die Forscherinnen und Forscher menschliche Stammzellen als Basis für die Mehrkammer-Kardioide. Die dabei eingesetzten induzierten pluripotenten Stammzellen sind in der Lage, sich in viele unterschiedliche Organe zu entwickeln.

Mit nur wenigen gezielten Signalen des Teams wurden die Zellen dazu angeregt, den Prozess der Selbstorganisation einzuleiten und sich in die gewünschten Organstrukturen zu entwickeln. „Das heißt, die Zellen wissen, was sie zu tun haben. Und durch diesen Prozess können wir auch etwas über die Entwicklung verstehen, was wir bis jetzt noch nicht verstanden haben“, so Mendjan.

Erster Herzschlag beobachtet

Obwohl das Herz die zentralste Rolle im menschlichen Körper übernimmt, sind einige Details zur Entwicklung und der Funktion immer noch unklar. Auch die Entstehung von verbreiteten Missbildungen und Herzkrankheiten ist für Forscherinnen und Forscher oft noch ein Rätsel.

Das Wiener Forschungsteam konnte mit den Mehrkammer-Organoiden erstmals etwa direkt beobachten, wie ein menschliches Herz zu schlagen beginnt. Laut Mendjan verläuft der Prozess schrittweise, bis das rhythmische Pulsieren irgendwann einem natürlichen Herzschlag ähnelt. „Zuerst ist die linke Herzkammer der Schrittmacher, dann wird es der Vorhof und erst später entwickeln sich die echten Schrittmacher, die dann auch bei uns im adulten Herz wichtig sind.“

Querschnitt eines Mehrkammer-Kardioids
Tobias Illmer/IMBA
Der Querschnitt eines Mehrkammer-Kardioids mit dem Vorhoforganoid (cyan), dem linken Kammerorganoid (weiß) und dem rechten Kammerorganoid (magenta)

Neue Medikamente denkbar

Da die Modelle zahlreiche neue Beobachtungen wie den ersten Herzschlag zulassen, könnten sie auch der Arzneimittelherstellung nutzen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen, und angeborene Herzfehler treten bei rund jedem fünfzigsten Neugeborenen auf. „Bei vielen Missbildungen und Krankheiten wissen wir nicht genau, wie sie entstehen“, erklärt der Biologe.

Mendjan selbst möchte sich in Zukunft vor allem der Verbesserung der Organoide widmen, hofft aber, dass andere Forschungsteams die Modelle für die Medikamentenforschung nutzen. Es sei möglich, große Mengen der Miniaturherzen herzustellen und sie in Studien unter anderem auf Defekte durch Genveränderungen zu untersuchen. Außerdem könnten sie dazu dienen, die Wirkung verschiedener Teratogene zu erforschen. Dabei handelt es sich um Stoffe, die Fehlbildungen in Embryonen auslösen können – „etwa Plastik in der Umwelt oder verschiedene Arzneimittelstoffe“, so Mendjan.

Einsatz für Transplantationen noch weit entfernt

Dass die Miniaturherzen bald auch bei Transplantationen zum Einsatz kommen könnten, ist laut dem Biologen derzeit noch undenkbar. Eine Entwicklung in diese Richtung sei aber nicht ausgeschlossen. Viele wichtige Bausteine seien bereits bekannt, trotzdem brauche es noch Jahre an intensiver Forschung, um die Kardioide tatsächlich zu einem genauen Nachbild eines erwachsenen menschlichen Herzens züchten zu können. „Ich kann hier noch überhaupt keinen Zeitraum angeben, aber ich denke schon, dass das irgendwann möglich sein wird.“