Drohnenfoto der Ausgrabung 2023 im Poseidon-Heiligtum von Kleidi-Samikon
ÖAW-ÖAI/Marie Kräker
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Monumentalbau

Poseidon-Tempel größer als angenommen

Der griechische Geschichtsschreiber Strabon hat vor rund 2.000 Jahren in seinem 17-bändigen Werk „Geographika“ ein regional bedeutendes Poseidon-Heiligtum an der Westküste der Peloponnes erwähnt. Nach langer Suche wurden im Vorjahr Reste eines Tempels entdeckt. Jetzt entpuppte er sich als großer Monumentalbau.

Die bei einer Hügelgruppe gelegene Fundstelle bei Kleidi-Samikon liegt in einer von Lagunen und Küstensümpfen dominierten Landschaft. Aufgrund der exponierten und sicheren Lage in der Nähe des Meeres etablierte sich dort schon in mykenischer Zeit eine Siedlung, die über mehrere Jahrhunderte Bestand hatte und von der aus sich der Weg durch die Sümpfe kontrollieren ließ. Weil warme Schwefelquellen in der Nähe der Hügelgruppe entspringen, wurde die strategisch wichtige Landenge bei Kleidi auch als die „Thermopylen der Peloponnes“ beschrieben. Aufgrund der relativ präzisen Angaben bei Strabon wurde dort seit Langem das Heiligtum des Poseidon vermutet.

Durch geophysikalische Untersuchungen entdeckte ein Team österreichischer, deutscher und griechischer Forscherinnen und Forscher unterhalb der antiken Festung Samikon Hinweise auf einen tempelartigen Grundriss. Im Vorjahr legten sie die ersten Teile eines lang gestreckten Gebäudes frei, bei dem es sich sogar um den Tempel des Meeresgottes selbst handeln könnte. Laut Birgitta Eder, Leiterin der Außenstelle Athen des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), ist damit die Lage des lang gesuchten Heiligtums identifiziert, denn sie passt sehr gut zu Strabons Beschreibungen, der auch auf die Schwefelquellen in der Nähe Bezug nimmt.

Größer als erwartet

Bei den jüngsten Grabungen wurden nun weitere Teile des Tempels freigelegt, und das Gebäude entpuppte sich als deutlich größer als die geophysikalischen Untersuchungen ursprünglich erwarten ließen. Es handelt sich um einen Bau von etwa 28 Metern Länge und mehr als neun Meter Breite, der aus zwei Innenräumen, einer Vorhalle sowie einer Rückhalle oder einem Schrein für das Kultbild besteht. „Der Grundriss des Tempels ist ungewöhnlich. Bisher kennen wir keine vergleichbaren Bauwerke“, erklärte Eder.

3D-Modell der 2023 freigelegten Fläche des Poseidontempels in Kleidi-Samikon, Ansicht von Süden, im Vordergrund die Fundamente der Tempelfront, in der Mitte die ausgegrabene Säulenbasis.
ÖAW-ÖAI/Marie Kräker
3D-Modell der 2023 freigelegten Fläche des Poseidon-Tempels in Kleidi-Samikon, Ansicht von Süden, im Vordergrund die Fundamente der Tempelfront, in der Mitte die ausgegrabene Säulenbasis.

Welche Funktion die beiden Räume hatten, ist noch unklar. Es könnte sich um einen Doppeltempel handeln, in dem zwei Gottheiten verehrt wurden, oder um hintereinanderliegende Säle. Einer davon könnte als Versammlungsort für den kultischen Verband (Amphiktyonie) von Städten der Region Triphylien gedient haben, die das Heiligtum schützten und verwalteten, vermuten die Archäologen.

Zwei Bauphasen

Die Forscher konnten zudem zwei Bauphasen des Gebäudes nachweisen: „Der archaische Tempel aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. wies im ersten Saal in der Mittelachse zwei tief fundamentierte Säulen auf. Die Innengestaltung des zweiten Saals war vielleicht ähnlich, wir konnten sie aber noch nicht in der Tiefe erforschen“, erklärte Eder.

Dieser Tempel wurde gut rund 200 Jahre später umgestaltet. Dabei wurden die alten Dachziegel gleichmäßig als Untergrund für einen neuen Fußboden aufgebracht, um den Boden zu stabilisieren und gegen das Grundwasser abzudämmen. Diese Dämmung funktioniert bis heute: Dort, wo Ziegel fehlen, ist der Boden feucht und schlammig.

Leistungsstarke Gemeinschaft

Der große archaische Tempel lässt auf eine ökonomisch leistungsstarke Gemeinschaft der triphylischen Städte schließen, die ihn in ihrem zentralen Heiligtum im 6. Jahrhundert v. Chr. errichteten. „Wir hoffen, mit der Erforschung des Heiligtums Licht auf die frühe Geschichte der triphylischen Städte werfen zu können, die erst im 4. Jahrhundert v. Chr. prominent in den historischen Quellen auftauchen“, so Eder.

Strabon beschreibt das Poseidon-Heiligtum als „Hain mit wilden Olivenbäumen“. Deshalb wollen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in den nächsten Jahren mehr über das Ausmaß der Anlage herausfinden und klären, ob es noch Überreste weiterer Gebäudestrukturen, Altäre, Hallen etc. gibt.