Illustration: Rekonstruktion eines Jägers und Sammlers aus der Gravettien-Kultur (vor 32.000-24.000 Jahren), inspiriert von den archäologischen Funden der Fundstätte Arene Candide (Italien)
Tom Bjoerklund
Tom Bjoerklund
Steinzeitschmuck

Offenbar neun Kulturkreise in Europa

Anhand zahlreicher Objekte, die Menschen vor 34.000 bis 24.000 Jahren als Schmuckstücke getragen haben, hat ein Forschungsteam analysiert, wie viele kulturell einander nahestehende Gruppen Europa in dieser Zeit bewohnt haben. Berücksichtigt wurden dabei auch Funde in und um Krems (NÖ). Laut der Studie gab es damals insgesamt neun Kulturkreise.

Für ihre soeben im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ erschienene Studie trugen die Forscher und Forscherinnen um Erstautor Jack Baker von der Universität Bordeaux Informationen über insgesamt 134 Schmuckstücke zusammen, die an 112 Fundorten, die in dieser altsteinzeitlichen Epoche besiedelt waren, ausgegraben wurden. An 17 dieser Stätten wurden auch Gräber mit Überresten von 32 Individuen gefunden.

So auch am Wachtberg in Krems, wo österreichische Wissenschaftler im Jahr 2005 unter mächtigen Löss-Schichten eine weltweit einzigartige Grabstätte fanden: Eine rund 31.000 Jahre alte Doppelbestattung zweier Säuglinge unter einem Mammut-Schulterblatt. In der Gravettienzeit entstand auch die „Venus von Willendorf“, die Steinzeitjäger und -Sammler dort vor rund 30.000 Jahren zurückließen. Auch auf diesen Fundort in der heutigen Wachau nimmt die Studie Bezug.

Schmuck zeigt Zugehörigkeit

Schmuckgegenstände eignen sich laut den Studienautoren und -autorinnen gut zur Analyse von kulturellen Bezügen der einstigen Gruppen zueinander – vor allem, da Analysen von DNA aus dieser Zeit rar sind. Der Wachtberg-Fund ist eine Ausnahme: So konnte anhand des Erbguts der vermeintlichen „Zwillinge“ etwa geklärt werden, dass es sich tatsächlich um männliche eineiige Zwillinge handelte. Baker und sein Team bezogen auch Erbgutdaten in ihre Studie mit ein, sehen aber in Schmuckstücken besonders lohnende Hinweise auf kulturelle Zugehörigkeit, da diese – anders als manche Grabbeigabe – vermutlich täglich getragen wurden.

Da in der damaligen Gravettienkultur die Praxis des Herstellens vielfältiger solcher Objekte aus Muschelschalen, allerlei Tierknochen, Zähnen, Geweihen, Bernstein oder anderen festen Materialien offenbar einen starken Aufschwung erlebte, könnten diese Dinge und ihre Beschaffenheit auch als eine Art Erkennungsmerkmal für die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen gedient haben, schreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in ihrer Arbeit. Die statistischen Analysen legen nun nahe, dass es über diesen langen Zeitraum hinweg neun Kulturkreise gegeben haben könnte. Sechs davon identifizierten sie auf Basis der Funde in einstigen Siedlungen, drei davon auf Basis der Grabstätten. Zwischen den „Clustern“ gibt es teilweise Überschneidungen.

Kulturell verbundene Gruppen

Laut den Analysen liegen die Funde aus dem heutigen Niederösterreich, die auch die früheren Siedlungen und nunmehrigen Grabungsstätten Grub/Kranawetberg und Ollersdorf/Heidenberg umfassen, wie etwa auch jene im nahe der österreichischen Grenze gelegenen Dolní Vestonice (Tschechien), im zentraleuropäischen Kulturkreis, der sich vom heutigen Süddeutschland über weite Teile des Alpen- und Karpatenbogens erstreckt. Geht man aber von den genetischen Daten und den Informationen, die die Grabstätten in Niederösterreich und Tschechien beinhalten aus, seien diese eher in Richtung osteuropäischer Cluster zuzuordnen. Die heutige Wachau lag demnach schon damals im Spannungsfeld zwischen Zentral- und Osteuropas Kulturräumen.

Laut den Autoren zeigt die neue Analyse, dass die vermuteten Zugehörigkeiten zu den verschiedenen Kulturkreisen nicht nur von geografischen Naheverhältnissen bestimmt wurden. Zudem finden sich Hinweise auf Kulturkreise, etwa im Osten Europas oder auf der Iberischen Halbinsel, die zuvor nicht im Blick der Wissenschaft waren, und zu denen es noch keine genetischen Daten gibt. Insgesamt scheint es in der Gravettienzeit bereits eine breitere Palette an kulturell verbundenen Gruppen in Europa gegeben zu haben als bisher vermutet, heißt es.