Einer der untersuchten Wale im eWhale-Projekt
Thalinger
Thalinger
Projekt „eWhale“

Umwelt-DNA erleichtert Walforschung

Zu Walen in europäischen Gewässern gibt es oft nur wenige Daten. Im Rahmen eines länderübergreifenden Forschungsvorhaben sammeln Fachleute gemeinsam mit der Bevölkerung Wasserproben und darin enthaltenes Erbgut, um ein weitreichendes und nicht invasives Wal- und Biodiversitätsmonitoring aufzubauen.

Alle Lebewesen hinterlassen winzige DNA-Spuren in ihrer Umgebung – egal ob an Land oder im Wasser. Diese Umwelt-DNA (auch „eDNA“ vom englischen „environmental DNA") wird durch die vielen technischen Fortschritte der vergangenen Jahre auch für die Forschung immer relevanter. Ein Beispiel: „Jeder Fisch gibt ein bisschen von seinem Erbgut an das Umgebungswasser ab – über die Atmung, den Kot, die Schleimschicht oder die Schuppen“, erklärt die Biologin Bettina Thalinger von der Universität Innsbruck gegenüber science.ORF.at. „Und diese DNA-Spuren können wir dann in Wasserproben nachweisen und analysieren.“

Unzureichende Datengrundlage

Thalinger ist die Koordinatorin des Projekts “eWHALE“, das seit Jänner 2023 läuft. Die Idee dahinter: „Um Wale und andere bedrohte marine Tierarten wirksam zu schützen, müssen wir zuerst auch ihre Lebensräume verstehen und unter Schutz stellen“, so die Biologin. Sie schätzt aber, dass es zumindest bei der Hälfte aller Walarten in europäischen Gewässern keine ausreichende Datengrundlage gibt, um den Schutz ihrer Lebensräume effektiv voranzutreiben.

Besonders wichtig wäre daher ein weitreichendes Monitoring der Tiere. Mit gewöhnlichen Forschungsansätzen komme man dabei aber schnell an die Grenzen des Machbaren. „Bei manchen Walarten lassen sich die Individuen anhand von äußerlichen Merkmalen nicht voneinander unterscheiden. Gewebeproben der Wale sind außerdem schwierig zu bekommen und eignen sich nicht, um die Tiere über längere Zeiträume hinweg zu dokumentieren“, erklärt Thalinger.

Wasserproben mit Wal-DNA

Im Projekt „eWHALE“ spielt die von den Walen ans Wasser abgegebene Umwelt-DNA daher eine zentrale Rolle. Durch die molekulare Analyse der Proben sei es möglich Arten, Familienverbände und in Zukunft eventuell sogar einzelne Individuen zu identifizieren und viele weitere Aspekte über ihre Lebensweise zu erfahren. „Immer dann, wenn eine Art schwer zu erforschen ist, wenn ein Bereich schwer zugänglich ist, oder wenn man räumlich und zeitlich hochauflösende Daten braucht, also wenn man zum Beispiel wissen will, wie sich etwas monatlich verändert – das sind die großen Stärken der Forschung mit Umwelt-DNA“, so Thalinger.

Lauren Rodriguez (Doktorandin im eWhale-Projekt in Innsbruck) bei der Probenentnahme auf den Azoren
Lauren Rodriguez
Die am Projekt beteilgte Doktorandin Lauren Rodriguez bei der Probenentnahme auf den Azoren.

Biodiversa +

Biodiversa+ ist eine seit 1. Oktober 2021 laufende Förderinitiative der Europäischen Kommission. Als Teil der Biodiversitätsstrategie 2030 der Europäischen Union will man damit eine Brücke zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis schlagen und Erkenntnisse für ihre Planung und Umsetzung liefern.

Seit über einem Jahr sammeln Forscherinnen und Forscher aus Österreich, Portugal, Frankreich, Italien, Irland, Norwegen und Island gemeinsam mit Wirtschaftspartnern Wasserproben an verschiedenen Standorten in Europa. „Der südlichste Punkt unseres Forschungsgebietes liegt bei den Azoren, dann haben wir Partner im Golf von Genua, in Frankreich, in Irland und auch im Norden in Island und in Norwegen“, erklärt die Biologin. Das Projekt wird im Rahmen der Biodiversa+ Initiative vom Wissenschaftsfond FWF gefördert und soll bis Ende 2025 laufen.

Nicht-invasive Forschung

Dass die Umwelt-DNA in der Forschung immer größere Relevanz bekommt, liege vor allem am technischen Fortschritt der vergangenen Jahre. „Möglich gemacht hat das sicher, dass die Laborverfahren zur Untersuchung von DNA in den letzten Jahren besser und vor allem auch viel billiger geworden sind“, so Thalinger.

Der größte Vorteil an dieser Forschungsart liegt laut der Biologin aber vor allem darin, dass die Wale durch das Sammeln der Wasserproben nicht gestört werden. „Es ist damit wirklich möglich, die Tiere auf eine nicht-invasive Art zu dokumentieren und zu analysieren“, so Thalinger.

Um eine aussagekräftige Referenzdatenbank aufzubauen, entnimmt das „eWHALE“-Team derzeit manchmal auch noch Gewebeproben von einzelnen Individuen. Sobald damit eine ausreichend große Datenmenge generiert wurde, wollen die Forscherinnen und Forscher aber komplett auf diesen Schritt verzichten und die Walpopulationen ausschließlich mittels der DNA in den Wasserproben untersuchen.

Einbindung der Bevölkerung

Um das Forschungsteam beim Projekt zu unterstützen, wird auch auf die Beteiligung und das Interesse der Bevölkerung gesetzt. Menschen, die bei Projektpartnern eine Walbeobachtungstour gebucht haben, bekommen die Möglichkeit, selbst Wasserproben zu sammeln. „Die Probenentnahme ist einfach und soll während der Beobachtungfahrten stattfinden. Gemeinsam mit den Tour-Anbietern wollen wir den Citizen-Science-Aspekt in das Projekt einbringen“, erklärt Thalinger.

Auf diese Weise soll eine hohe Anzahl an Proben über eine große räumliche Distanz entnommen werden, was bei den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern gleichzeitig das Bewusstsein für den Schutz mariner Lebensräume stärkt. „Wenn die Öffentlichkeit in die Forschung direkt eingebunden wird, erhöht sich auch die Bereitschaft der Menschen, die Lebensräume der Wale zu schützen.“

Citizen Scientists und Whalewatching Agenturen sind stark in das Projekt eWhale einbezogen. Im Bild zu sehen ist das Schiff Opal der beteiligten Walbeobachtungsagentur North Sailing in Island.
Ales Mucha
Citizen Scientists sollen beim Projekt mithelfen, wie etwa auf dem Schiff Opal der Walbeobachtungsagentur North Sailing in Island

Auswertung der Proben

Erste Proben wurden bereits gesammelt – die Forscherinnen und Forscher in den beteiligten Laboren sind derzeit dabei, sie auszuwerten. „Aus den ersten Ergebnissen entwickeln wir dann eine Monitoring-Strategie“, erläutert Thalinger die nächsten Meilensteine. Mit der Strategie will das Team in weiterer Folge aufzeigen, wie den Walpopulationen effektiv geholfen werden könnte. Entscheidungsträgern soll das in weiterer Folge dabei helfen, entsprechende Naturschutzmaßnahmen umzusetzen.

Neben dem Forschungslabor in Innsbruck sind auch die leistungsstarken Labore des französischen Institut national de recherche pour l’agriculture, l’alimentation et l’environnement (INRAE), des Institute of Marine Research in Norwegen und des University College Cork in Irland an der Auswertung beteiligt.

Kostengünstig und effektiv

„Unser Traum ist, dass wir letztendlich einzelne Individuen über die Umwelt-DNA-Spuren genau verfolgen können“, so die Biologin. Technisch sei das derzeit aber noch nicht möglich – zumindest nicht ohne detaillierte Referenzdatenbanken, die das Team um Thalinger gerade versucht zu generieren. Laut Thalinger ist der Einsatz von Umwelt-DNA in der Erforschung der europäischen Walpopulationen jedenfalls vielversprechend, um die Tiere künftig relativ kostengünstig und unter Einbindung der Bevölkerung im Blick zu behalten.