Jungwald aus Pappeln
dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
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Synthetische Biologie

Mit Turbobäumen das Klima retten

Treibstoffe aus Algen, Leder aus Pilzen oder Fleisch aus dem Labor – die synthetische Biologie erlebt derzeit einen enormen Aufschwung. Für Tara Shirvani ist sie eine der Schlüsseltechnologien, um die gegenwärtigen Probleme der Klimakrise zu lösen. Im Interview erklärt die in Wien geborene Expertin für Nachhaltigkeit, Klimafinanzierung und Umweltschutz, wie Turbobäume das Klima retten und Bakterien Plastik beseitigen sollen.

science.ORF.at: Frau Shirvani, im letzten Jahr ist Ihr Buch „Plastikfresser und Turbobäume“ erschienen. Der hoffnungsfrohe Untertitel des Buches lautet: „Wie wir das Klima retten, den Müll aus dem Meer holen und den ganzen Rest auch noch glänzend hinbekommen.“ In Ihrem Buch beschreiben Sie auch sogenannte Hybridpappeln, denen Gene von Kürbissen oder Algen synthetisch eingebaut werden, damit sie schneller wachsen. Warum können derartige Turbobäume etwas zum Klimaschutz beitragen?

Tara Shirvani: Es dauert ungefähr 20 Jahre, bis aus einem Setzling der Pappel ein ausgewachsener Baum geworden ist. 20 Jahre haben wir im Klimaschutz aber nicht mehr. Auf der anderen Seite brauchen wir enorme Flächen an Waldgebieten, um einen relativ kleinen Prozentsatz der CO2-Emissionen zu reduzieren; daraus ergibt sich die Frage, gibt es einen Weg, diesen ganzen Prozess zu beschleunigen? Gibt es eine Möglichkeit, dass ich weniger Bäume pflanzen muss, um höhere Mengen an CO2-Emissionen aus der Atmosphäre zu saugen? Und diesbezüglich gibt es bereits einige Firmen und zunehmend auch sehr viel Forschung in diesem Bereich, vor allem in Nordamerika, die sagen, ja, wir können diese Hybridpappeln bauen, die haben viel effizientere Gene, die dazu beisteuern, dass der Photosyntheseprozess viel effizienter ist.

In Ihrem Buch schreiben Sie von visionären Zukunftsprognosen, etwa dass im Jahr 2030 aufgrund der synthetischen Herstellung von Fleisch der Bedarf an Kühen für die Rindfleischproduktion um bis zu 70 Prozent sinken könnte. Die Idee, Rinderzucht zu reduzieren und auf den freigewordenen Flächen Wälder anzupflanzen, um das Klima zu retten, erscheint auf den ersten Blick plausibel. Aber ist das wirklich realistisch?

Tara Shirvani
Oxford University

Tara Shirvani, geboren in Wien, forschte für ihre Doktorarbeit an der Oxford-Universität zum Thema Algentreibstoffe und publiziert regelmäßig über Anwendungsbereiche der synthetischen Biologie in Bezug auf den Klimaschutz. Zuletzt erschien ihr Buch „Plastikfresser und Turbobäume“.

Shirvani: Jedes Nahrungsmittel ist im biologischen Sinn eigentlich eine Verpackung von Nährstoffen. Der Inhalt des Pakets besteht aus Proteinen, Fetten, Kohlenhydraten und Vitaminen. Durch die synthetische Biologie haben wir jetzt die Möglichkeit, einige dieser wichtigen Nährstoffe präzise und viel billiger herzustellen, in einem Prozess, der viel effizienter ist als eine ganze Kuh zu züchten. Nehmen wir das Beispiel der Milch her: die Kuhmilch, so wie wir sie kennen, besteht ja eigentlich nur zu drei Prozent aus dem Schlüsselprotein, das die Milch ausmacht; die restlichen Prozent sind ja eigentlich nur Wasser, Zucker und dann einige Fette. Es geht nur um die drei Prozent dieses Schlüsselproteins, um die Milch wirklich zu ersetzen, dann habe ich genau idente Kuhmilch. Und wenn ich weiß, welche Gene dafür verantwortlich sind, kann ich diese drei Prozent durch synthetische, biologische Werkzeuge ersetzen. Dann kann ich eigentlich die komplette Kuhmilchindustrie radikal, exponentiell und sehr schnell umstellen. Den Rest der Kuh braucht man dann eigentlich gar nicht mehr, denn es dauert ja relativ lange, bis eine Kuh heranwächst und als Teil der Nahrungsmittelproduktion eingesetzt werden kann. In Australien und in Asien gibt es bereits Unternehmen, die sagen: okay, diese drei Prozent des Schlüsselproteins, das verantwortlich ist für die Milchproduktion, das ersetzen wir jetzt synthetisch.

Die Synthetische Biologie wird bereits in der Nahrungsmittelproduktion eingesetzt. Große internationale Konzerne aus der Fleisch- und Lebensmittelbranche beteiligen sich mit viel Geld an Startups und Pionierunternehmen. Allein 2021 flossen 1,9 Milliarden Dollar Risikokapital von Kapitalgebern wie Bill Gates oder dem britischen Milliardär Richard Bronson in diesen Industriezweig. Haben Sie schon einmal ein synthetisch hergestelltes Krustentier oder Fleisch gekostet?

Shirvani: Ich habe einmal eins gekostet, ja, das war im Urlaub in Singapur, weil dort ist ja eigentlich das Mutterschiff der Produktion von all diesen alternativen Proteinen. Es gibt sicher noch Verbesserungsbedarf beim Geschmack und wie sich diese Fasern im Mund anfühlen, aber es ist schon spannend, wie schnell eigentlich in diesem Bereich jetzt schon Fortschritte gemacht wurden. Das bekannteste Beispiel ist der Impossible Burger. Das ist dieser alternative Rindfleischburger, den es jetzt auch schon auf dem Markt gibt; dort sind einige der Nährstoffe bereits komplett synthetisch hergestellt, und auch die Farbe des Blutes von diesem Burger ist synthetisch hergestellt; und da ist der Geschmack eigentlich fast schon identisch, was wirklich beeindruckend ist.

In Singapur ist Hühnchenfleisch aus Zellkultur bereits erhältlich. Nun sind auch in den USA zwei Produkte zugelassen. Das alles klingt auch irgendwie nach Science Fiction: Beeindruckend und unheimlich zugleich.

Shirvani: Wenn wir uns jetzt überlegen würden, einen alternativen Planeten oder den Mars zu besiedeln, dann können wir ja weder ertragreiches Land noch unsere Nahrungsmittel mitnehmen, wie wir sie heute produzieren. Wir kennen die DNA-Struktur aller Nahrungsmittel und aller Nährstoffe wie Proteine, Kohlenhydrate und Fette, und wir haben die Werkzeuge, die Biologie zu lesen, zu schreiben und zu verändern; und das zu einem Bruchteil der Kosten und noch viel einfacher als noch vor zehn Jahren. Dadurch können wir auch viele dieser Nährstoffe auf biologische Art und Weise im Labor herstellen. Ich glaube, synthetische Biologie hört sich immer sehr synthetisch an, aber wir nehmen ja dieselben Informationen, die es in der Natur gibt, und bauen sie als Teil eines komplett neuen Systems nach.

Ö1-Sendungshinweis

Alle Folgen des Radiokollegs „Anthropozän – Das Zeitalter des Menschen“ können sie über ORF Sound nachhören.

Wie funktioniert dieses „Genom Editing“ in der synthetischen Biologie? Kann man sich darunter ein baukastenartiges Zusammenfügen einzelner Stoffwechselfunktionen vorstellen?

Shirvani: Wir haben jetzt die Möglichkeit die Biologie wie Software zu programmieren; wir haben verstanden, wie man den Code der DNA knacken kann und wie man Teile der DNA, die für alle Eigenschaften von Organismen zuständig sind, replizieren und wieder neu zusammenbauen kann. Und da ich weiß, dass eine gewisse Reihenfolge von DNA-Buchstaben eine gewisse Eigenschaft erzeugen wird oder dafür verantwortlich ist, habe ich heute auch die Werkzeuge, die jetzt zum ersten Mal billig und einfach genug sind, um sie einzusetzen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch die Erforschung von synthetisch hergestellten Bakterien, die sogar Plastik fressen und in Stoffe verwandeln können sollen, die weniger schädlich für die Umwelt sind. Eine Gefahr der Synthetischen Biologie liegt aber wie bei der Anwendung der Agro-Gentechnik darin, dass wir nicht wissen, wie sich Lebewesen mit künstlichem Genom in der freien Natur verhalten. Als Laie stellt man sich dann mutierte Bakterien vor, die außer Kontrolle geraten und etwa im Meer alles fressen, was ihnen unterkommt?

Shirvani: Ich verstehe ihre Furcht oder Ihre Sorgen, aber Bakterien sind ja nicht gleich Bakterien. Viele Bakterien wie die plastikfressenden Bakterien, die können eigentlich außerhalb der Laborumgebung überhaupt nicht überleben. Viele dieser Bakterien sind abhängig von bestimmten Nährstoffen; das ist ein sehr kontrollierter industrialisierter Prozess in diesen Reaktoren. Man hat in der Forschung auch herausgefunden, dass man einigen dieser Bakterien, die man wie die Plastik fressenden Bakterien im Meer aussetzen möchte, auch spezifische Fähigkeiten einsetzen kann, sodass sich diese Organismen ab einem gewissen Zeitpunkt oder in einem gewissen Ökosystem dann auch selbst zerstören würden.

Man hat den Eindruck, dass es in Europa noch ein viel stärker ausgeprägtes, romantisches Naturkonzept gibt als etwa in den USA: Die Vorstellung der vormodernen Einheit von Mensch und Natur unter Ausschluss des technologischen Industriezeitalters.

Shirvani: Deutschland importiert etwa ein Drittel des Tierfutters für Schweine und Hühner – einen Großteil davon als Soja – aus Südamerika und den USA. Dieses Tierfutter besteht zu 90 Prozent aus genetisch verändertem Maiskorn oder Sojabohnen. Keine dieser Nahrungsmittel sind ohne synthetische Biologie hergestellt worden, also im Fall von Deutschland ist es bereits jetzt schon so, dass das ganze System der Landwirtschaft seit Jahren abhängig ist von der synthetischen Biologie. Sie produzieren es nur nicht im eigenen Land, aber ohne geht’s eigentlich nicht. Die Realität ist, dass wir in unserem Alltagsleben eigentlich schon so verflochten sind mit der synthetischen Biologie, aber das Problem ist, dass man in der Politik damit natürlich überhaupt keine Wahlen gewinnen kann. Wir können aber keine Nachhaltigkeit durchsetzen, wir können nicht Konzepte wie eine Kreislaufwirtschaft oder eine Bioökonomie durchsetzen, wenn wir selektiv „Nein“ sagen zur Biotechnologie oder Gentechnik. Und das eine schließt das andere nicht aus. Und in Europa, würde ich sagen, ist das Naturverständnis noch sehr von Nostalgie geprägt, im Vergleich zu anderen Teilen der Welt.