3D-Darstellung von Nervenzellen im Gehirn
whitehoune – stock.adobe.com
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Gedächtnis

Wie das Gehirn entscheidet, was wir uns merken

Das Gehirn entscheidet unterbewusst, was wir uns merken und was nicht. Laut einer neuen Studie landen Erlebnisse und Erfahrungen dann im Langzeitgedächtnis, wenn bestimmte Signale im Gehirn die Informationen „markieren“. Experimente mit Mäusen legen nahe, dass Belohnungen dabei eine wichtige Rolle spielen.

Ob beim Lernen für einen Test, beim Zurechtfinden in einer neuen Umgebung oder beim Kennenlernen bisher unbekannter Personen: Nachdem Menschen etwas erleben, erzeugen die Nervenzellen in ihrem Hippocampus mehrere unterschiedliche Signale.

Darunter sind auch die im Englischen als „Sharp Wave Ripples“ bekannten spitzen Signalwellen, die entstehen, wenn sich die elektrostatische Ladung in den Gehirnzellen ändert. „Jede Erfahrung und jedes Erlebnis bekommt dabei eine ganz eigene Wellenform zugeteilt“, erklärt der Neurowissenschaftler György Buzsaki von der New York University Grossman School of Medicine gegenüber science.ORF.at.

Erinnern oder vergessen?

Dass die „Sharp Wave Ripples“ Einfluss darauf haben, welche Informationen in das Langzeitgedächtnis übertragen werden, ist schon aus früheren Untersuchungen bekannt. „Was man bisher nicht wusste, ist, wie das im Detail funktioniert und vor allem auch, wie das Gehirn entscheidet, ob wir uns an ein Erlebnis lange erinnern sollen oder ob wir es bald wieder vergessen können“, erklärt Buzsaki.

Zusammen mit einem Forschungsteam um die Doktorandin Wannan Yang von der New York University Grossman School of Medicine suchte der Neurowissenschaftler daher nach den Mechanismen, die der Bildung des Langzeitgedächtnisses zugrunde liegen. Die daraus entstandene Studie präsentieren die Forscherinnen und Forscher derzeit im Fachjournal „Science“.

Gehirn braucht Pausen

Für das Gedächtnis besonders wichtig ist laut dem Neurowissenschaftler, dass das Gehirn Informationen nicht ununterbrochen aufnimmt. „Es gibt verschiedene Phasen – jene, in der die Eindrücke und Informationen gesammelt werden, und danach aber auch immer wieder kurze Ruhephasen.“ In diesen meist nur ein paar Millisekunden dauernden Zeitabschnitten halte das Gehirn für einen Augenblick inne, um das Erlebte zu verarbeiten. In diesen Abschnitten produzieren die Neuronen auch die spitzen Signalwellen.

Dass das Gehirn auf mehrere Ruhephasen angewiesen ist, zeige sich auch im Alltag. Sie seien etwa der Grund dafür, warum man beim Lesen komplizierter Texte immer wieder mit den Gedanken abschweift. Wenn man etwas lernen und sich lange daran erinnern möchte, sei es daher wichtig, immer wieder Pausen einzulegen, um den Gehirnzellen Zeit zu geben, die neuen Informationen zu verarbeiten.

Signalmenge ausschlaggebend

Im Rahmen der Studie zeigten die Forscherinnen und Forscher auf, dass vor allem die Menge der spitzen Signalwellen ausschlaggebend ist, welche Informationen in das Langzeitgedächtnis übergehen und welche nicht. „Je mehr davon gleich nach dem Erlebten von den Nervenzellen produziert werden, desto wahrscheinlicher ist es auch, dass man sich später daran erinnert“, so Buzsaki.

Das liege vor allem daran, dass die während des Tages entstandenen Signalwellen später im Schlaf Tausende Male unterbewusst wiederholt werden. Wenn nach einem Erlebnis von vornherein mehr Signalwellen vorhanden sind, führe das automatisch auch zu mehr Wiederholungen im Schlaf und so schließlich zu einer effektiveren Einprägung in das Langzeitgedächtnis.

Zu dem Ergebnis kam das Team mit Hilfe von Mäusen: Die Tiere mussten durch Labyrinthe laufen, während die Forscherinnen und Forscher die Signale in den Mäusegehirnen aufzeichneten. Wenn nach einem Versuch mindestens fünf bis zwanzig spitze Signalwellen im Hippocampus der Tiere entstanden, merkten sie sich die verschiedenen Abzweigungen zum Ziel besser. Jene Informationen, nach denen weniger oder keine Signalwellen gemessen wurden, vergaßen die Mäuse hingegen schnell wieder.

Belohnung stärkt Erinnerungen

Wie viele spitze Signalwellen nach einem Erlebnis entstehen, sei auch beeinflussbar. Im Experiment mit den Mäusen zeigte sich, dass ihre Neuronen mehr „Sharp Wave Ripples“ produzierten, wenn die Tiere nach dem Labyrinth mit Zucker belohnt wurden. „Die Belohnung spielt für das Gedächtnis also eine wichtige Rolle“, so Buzsaki. Laut dem Neurowissenschaftler liegt das wahrscheinlich daran, dass die Maus auch in Zukunft eine Belohnung erhalten möchte und sich das Erlebte unterbewusst einprägt, um später erneut an Zucker zu kommen.

Bei Menschen sei das ähnlich. Wie die Belohnung aussieht, sei dabei individuell jedoch meist sehr unterschiedlich und situationsabhängig. Auch die Aussicht, am nächsten Tag bei einem Test gut abzuschneiden, könne für manche Personen eine solche Belohnung darstellen. „Verschiedenen Menschen sind unterschiedliche Dinge wichtig“, so Buzsaki.

Gedächtnis stärken, Erinnerungen löschen

Die Mechanismen zu kennen, die der Bildung des Langzeitgedächtnisses zugrunde liegen, sei aus mehreren Gründen relevant. Einerseits ist es laut Buzsaki ein weiterer Schritt hin zu einem generell besseren Verständnis des menschlichen Gehirns und damit auch der Ursachen für Krankheiten wie etwa Alzheimer.

Nach weiteren Untersuchungen auf dem Gebiet sei es mit Hilfe der „Sharp Wave Ripples“ vielleicht auch irgendwann möglich, die Merkfähigkeit von Personen künstlich zu verbessern oder umgekehrt besonders traumatische Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis gezielt zu löschen.