3D-Darstellung von Nervenzellen im Gehirn
whitehoune – stock.adobe.com
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Organoide

Wie das Gehirn seine Größe erreicht

Das menschliche Gehirn enthält weitaus mehr Neuronen als das Gehirn anderer Tiere. Mit Hilfe von Organoiden fand ein Forschungsteam nun heraus, dass sich einige menschliche neuronale Stammzellen über einen viel längeren Zeitraum vermehren können als erwartet und so die Vielzahl an Nervenzellen produzieren.

Im Mäusegehirn befinden sich 75 Millionen Neuronen, bei einem Menschen bis zu 86 Milliarden. Wie ein vom Wiener Biologe Jürgen Knoblich geleitetes Team mit Hilfe von Gehirnorganoiden und mathematischen Modellen jetzt herausfand, können sich einige wenige Stammzellen im menschlichen Gehirn sehr oft vermehren, indem sie sich sehr lange „symmetrisch“ teilen, bevor aus ihnen durch „asymmetrische Teilung“ spezialisierte Nervenzellen werden.

„Unser Modell zeigt, dass aus den sich langfristig symmetrisch teilenden Stammzellen die meisten neuronalen Populationen im menschlichen Gehirn entstehen“, so die Forschenden. Bei Mäusen würde die symmetrische Teilung nach wenigen Tagen Gehirnentwicklung ausbleiben.

Menschliche Stammzellen können auch Ausfälle gut wettmachen, berichtet Knoblich: Wenn 90 Prozent von ihnen absterben, können die restlichen zehn Prozent überlebenden Zellen alle Hirnstrukturen und Nervenzelltypen korrekt bilden. Knoblichs Erkenntnisse zum Wachstumspotenzial und Widerstandsfähigkeit menschlicher Gehirnzellen wurden im Fachjournal „Nature Cell Biology“ veröffentlicht.

Organoide für Therapietests

In einer weiteren Studie untersuchte Knoblich und sein Team bestimmte Erbgutveränderungen, die dazu führen, dass beide Gehirnhälften nicht durch einen Nervenstrang, den „Corpus callosum“, verbunden sind. Dafür erzeugten die Forscher und Forscherin Stammzellen aus Blutzellen von zwei Patienten mit der entsprechenden Genveränderungen im ARID1B-Gen.

Daraus ließ man dreidimensionale Hirnorganoide wachsen. „Wir platzierten je zwei Gehirnorganoide in eine 3D-gedruckte Form, in der sie durch einen Mikrokanal verbunden waren“, heißt es in einer Aussendung des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien zu der nun in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“ veröffentlichten Studie: „Das Forschungsteam beobachtete, wie sich die beiden Organoide durch Nervenfortsätze, auch Axone genannt, miteinander verbanden.“ Gesunde Organoide hatten viele miteinander verknüpfte Axone, bei jenen mit ARID1B-Genveränderungen (Mutationen) war ihre Anzahl Axone stark reduziert.

Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass in Nervenzellen mit solch einer Mutation Gruppen von Genen weniger stark aktiv sind, die die Reifung von Nervenzellen (Neuronen) und die Bildung von Axonen vorantreiben. „Das erklärt, warum mutierte Neuronen nicht in der Lage sind, weitreichende Axone, etwa für das Corpus callosum, zu bilden“, schrieben sie: „Wir arbeiten bereits mit der Patientenorganisation ‚The Foundation for ARID1B Research‘ zusammen, um (an den Gehirnorganoiden, Anm.) eine Gentherapie zu testen, bevor sie in die Klinik kommt.“