Ein Finger tippt auf einer Tastatur auf die Taste „Open Access“
momius – stock.adobe.com
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Wissenschaftspublikationen

Auch Open Access ist „Lizenz zum Gelddrucken“

Studien, die auf öffentlich finanzierter Forschung beruhen, sollten sich nicht hinter teuren Bezahlschranken von Verlagen verstecken, sondern für alle frei zugänglich sein: Dieser Open-Access-Grundsatz gilt seit Jahresbeginn. Doch die Verlage haben schnell reagiert und dürfen sich weiter auf Riesengewinne freuen.

Wissenschaftliche Studien zu publizieren ist eine Lizenz zum Geld drucken. Die fünf weltgrößten Verlage – Reed-Elsevier (Relx Group), Springer Nature, Wiley-Blackwell, Taylor & Francis und Sage – machen jedes Jahr Umsätze von mehreren Milliarden Euro und haben Gewinnspannen von bis zu 40 Prozent. Zusammen veröffentlichen sie laut einer Berechnung aus dem Jahr 2015 mehr als die Hälfte aller Studien weltweit.

Das Produkt, mit dem sie handeln, ist krisensicher und wird in mehrfacher Hinsicht von der öffentlichen Hand subventioniert: Die Studien stammen von Forscherinnen und Forschern, die vorwiegend an öffentlich finanzierten Hochschulen arbeiten; ihre Ergebnisse werden von Kollegen und Kolleginnen im Peer Review unentgeltlich beurteilt und in Zeitschriften veröffentlicht, deren Abos die öffentlich finanzierten Bibliotheken teuer bezahlen.

“Plan S“: Nur noch Open Access wird gefördert

Dieses Subskriptionsmodell war zumindest jahrzehntelang Praxis. Dagegen hat sich schon vor vielen Jahren Widerstand aus der Wissenschaftswelt heraus entwickelt – unter anderem die Open-Access-Bewegung, die den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen für alle fordert. Dieser Idee schlossen sich 2018 die größten Förderorganisationen Europas an. 25 entsprechende Einrichtungen, darunter auch der österreichische Wissenschaftsfonds FWF, und Unterstützer wie die WHO und der britische Wellcome Trust verpflichteten sich zum sogenannten „Plan S“: Sie fördern nur noch Studien, die ab dem Zeitpunkt der Publikation für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind – und nicht erst nach einer Sperrdauer von sechs bis zwölf Monaten wie heute oft üblich.

In Kraft getreten ist der „Plan S“ zu Jahresbeginn 2021. Wer nun glaubt, dass sich Hochschulen damit Geld sparen, irrt. Denn statt fürs Lesen der Studien (Abos) bezahlen sie die Verlage nun für das Veröffentlichen eines Open-Access-Artikels – die sogenannten „article processing charges“ (APCs). Diese ergeben sich laut den Verlagen aus der geleisteten Arbeit für die Betreuung der Autoren und Autorinnen, die Organisation des Peer-Review-Prozesses, die Herausgabe des Artikels und die Bereitstellung von Infrastruktur – und können in der Höhe der Kosten eines Kleinwagens liegen.

Studenten in einem Lesesaal der Universitäts-Bibliothek Wien
APA/GEORG HOCHMUTH

Bis zu 9.500 Euro pro Artikel

Eine Open-Access-Studie etwa in der renommierten Zeitschrift „Nature“ kostet 9.500 Euro, wie der Verlag Springer Nature bekanntgab – die Studie ist dafür ab dem ersten Tag für alle frei in „Nature“ zugänglich (“Goldener Weg“ von Open Access). 8.500 Euro verlangt der Verlag Elsevier für eine Publikation unter den gleichen Bedingungen in seinem Flaggschiff-Journal „Cell“. Wer in „Natural Sciences“ des Verlags Wiley-Blackwell Open Access veröffentlichen will, zahlt aktuell 4.500 Euro, auch Taylor & Francis verlangt bis zu 4.000 Euro für einen Open-Access-Artikel.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 10.3., 13:55 Uhr.

Einen anderen Weg schlägt u.a. die American Association for the Advancement of Science (AAAS) ein, die die Zeitschrift „Science" herausgibt. Sie räumt „Plan S“-Autoren und -Autorinnen ab sofort die Möglichkeit ein, ihre Artikel zeitgleich zur „Science“-Veröffentlichung in frei zugänglichen Online-Repositorien zu publizieren („Grüner Weg“). Bis zu 31 Prozent aller „Science“-Artikel könnten damit sofort öffentlich zugänglich werden, schätzt die AAAS. Die neue Regelung gilt aber vorerst nur für ein Jahr, man wolle dann überprüfen, wie sich das finanziell auswirkt. Prinzipiell sieht aber auch die AAAS die Produktionskosten eines „Science“-Artikels in der Höhe von 9.500 Euro, ähnlich wie bei „Nature“.

Keine Einsparungen

Die Kostenbeispiele zum „Goldenen Weg“ sind die höchsten ihrer Art, viele Open-Access-Artikel sind auch billiger zu haben – je nach Stellenwert der Zeitschrift. „Im Schnitt rechnen wir mit einer Publikationsgebühr von 2.500 Euro pro Artikel“, sagt Birgit Kromp, Open-Access-Expertin und Leiterin der Fachbibliotheken Physik und Chemie an der Universität Wien. Damit gebe es keine Möglichkeit für Einsparungen. Aktuell zahlen die Bibliotheken noch für das Lesen subskriptionspflichtiger Zeitschriften, aber auch schon fürs Publizieren verschiedener Open-Access-Varianten. Die klassischen Verlage haben neue, reine Open-Access-Zeitschriften gegründet, dazu kommen (nicht mehr ganz) neue reine OA-Verlage, wie etwa die Public Library of Science.

Insgesamt würden dadurch Mehrkosten von fünf bis zehn Prozent entstehen, sagt die OA-Expertin Birgit Kromp von der Uni Wien. „Einsparungen kann es schon deshalb nicht geben, weil der Publikations-Output insgesamt jedes Jahr sechs bis sieben Prozent steigt“, ergänzt Falk Reckling, Open-Access-Experte vom Wissenschaftsfonds FWF. „Wir wollen die Kostenexplosionen nur in den Griff bekommen.“

Studenten in einem Lesesaal der Universitäts-Bibliothek Wien
APA/GEORG HOCHMUTH

2015 hatte Reckling errechnet, dass die Gesamtausgaben der öffentlichen Hand für wissenschaftliche Publikationen in Österreich bei 60 bis 70 Millionen Euro pro Jahr liegen. 36 Millionen davon waren für Zeitschriften reserviert. Im Jahr 2015, als Open Access noch kleiner war, wurde der Löwenanteil für Subskriptionen verwendet – also für Zeitschriften-Abonnements. Reckling schätzte damals, dass sich in einer künftigen „reinen Open-Access-Welt“ etwa elf Millionen Euro pro Jahr einsparen ließen. Doch davon ist man aktuell weit entfernt.

Treiber der Coronavirus-Forschung

Einsparungen seien auch nicht das einzige Ziel von Open Access, betont Birgit Kromp von der Uni Wien. „Wenn Artikel frei zugänglich sind, kann man sie auch ganz anders verwenden. Die Literatur wird leichter durchsuchbar, das macht Metastudien einfacher.“ Bestes Beispiel dafür sei die aktuelle Coronavirus-Forschung, bei der aktuelle Studien nicht nur auf den Preprint-Servern von biorXiv und medrXiv frei zugänglich sind. Auch die großen Wissenschaftsverlage stellen ihre Covid-19-Studien frei zur Verfügung. „Das war ein Treiber der Corona-Forschung“, sagt Kromp.

Open Access könnte auch die Wissenschaft in Entwicklungs- und Schwellenländern beflügeln, denn die Kosten liegen dann zu 100 Prozent bei den Ländern, die neues Wissen produzieren, und das sind tendenziell die finanzstarken Industrienationen – das Lesen sei hingegen für alle gratis.

Der Umstieg auf eine reine Open-Access-Welt sei aber auch mit Fallstricken verbunden. „Um Forschungsergebnisse zu lesen, haben bisher auch Firmen bezahlen müssen – etwa die Pharmaindustrie. Dieses Geld können sie sich in Zukunft sparen, denn für das Veröffentlichen zahlen ja die Wissensproduzenten, also vor allem die Hochschulen“, so Kromp. Den Anteil müssten in Zukunft diese und andere öffentlich finanzierte Einrichtungen übernehmen – eine Umverteilung der Kosten von privat zu öffentlich.